Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

WÄR' NUR NICHT DIE SEHNSUCHT SO GROß
(Carsten Süss)
29. Januar 2015
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Mönchengladbach


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Sehnsucht nach Operette

Die Operette ist tot. So ist es überall zu lesen. Wenn ein Theater die Aufführung einer Operette ankündigt, kann es sicher sein, dass das Haus gerappelt voll ist. Gefühlt liegt der Altersdurchschnitt dann in der Regel noch einmal deutlich höher als bei einer Opernaufführung. Zeitgenössischen Komponisten fällt es im Traum nicht ein, sich an einer Operette zu versuchen. Währenddessen feiert sich das Musical als „legitimer Nachfolger“ und kommerzielle Erfolge, die manchen Operndirektor vor Neid erblassen lassen. Da können die Themen noch so abstrus sein. Irgendetwas ist da gewaltig aus der Balance geraten.

Und doch gibt es eine Menge Leute, die weiter an die suggestive Kraft und den Zauber einer Operette glauben. Carsten Süss ist einer von denen. Als Tenor ist er ein gestandener Sänger, auf vielen Bühnen dieser Welt zu Hause. Vor rund acht Jahren begann er, Dialogversionen für Operetten-Produktionen zu schreiben. Etwa zwei Jahre ist es her, dass er im Schauspiel des Staatstheaters Wiesbaden seine erste eigene Revue unter dem Titel Unter der roten Laterne vorstellte. Jetzt gibt er im Theater Krefeld Mönchengladbach sein Regie-Debüt mit der Operetten-Revue Wär‘ nur die Sehnsucht nicht so groß. Und es ist nicht etwa ein „Best of“ von Léhar bis Kálmán, sondern vielmehr eine Reminiszenz an die „Wilden Zwanziger“ des vergangenen Jahrhunderts. Als Komponisten wie Oscar Straus, Emmerich Kálmán, Leo Fall, Jean Gilbert oder Paul Abraham deutschsprachige Operetten am Puls der Zeit schrieben, sich neuen Formen und Stilen öffneten und damit das Gesicht der klassischen Operette verändert haben. Ein jähes Ende fand diese Entwicklung mit der so genannten Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Süss hat Lieder aus den Operetten dieser Komponisten ausgewählt und sie in eine operettengerechte Handlung eingeflochten. Michael Preisler hat die Lieder neu arrangiert und mit Zitaten garniert. Herausgekommen ist nicht nur eine Partitur mit großartiger Operettenmusik, sondern auch ein Stück, das seinem Titel durchaus gerecht wird.

Im Studio des Theaters Mönchengladbach hat Rina Cervinscaia eine zweiteilige – von Hand betriebene – Drehbühne aufgebaut. Auf der einen Seite ist die Wohnung der Seligmans zu sehen. Drei Türen führen zu Sohn Arthurs Zimmer, zur Wohnung hinaus und zur Küche. Links deuten ein Sessel, Wandlampen, ein Sideboard mit einem Grammophon darauf ein Wohnzimmer an. In der Mitte ein Rokoko-imitiertes Tischchen, auf dem Fotos und eine Menora, ein siebenarmiger Kerzenleuchter, Platz finden. Rechts im Vordergrund schließlich ein Esstisch mit drei Stühlen. Es ist die Wohnung der Witwe Deborah Seligman, die seit dem Tode ihres Ehemanns dort mit Arthur lebt. Auf der anderen Seite ist die Wohnung der frivolen Nachbarin Ethel Ackerman, gleichfalls verwitwet, aber deutlich lebenslustiger, zu sehen. Ein Sofa, Eisbärfell mit Kopf und der klassische Teewagen als Bar stehen dort im Vordergrund. Die Kostüme, ebenfalls aus Cervinscaias Hand, könnten aus den 1960-ern stammen, wirken aber so fludrig, dass keine rechte Freude daran aufkommen mag. Insbesondere Rachel Goldbergs Kostüme hätten sicher geschickter ausfallen können. Dafür gibt es reichlich davon. Kostümwechsel sind zu nahezu jeder Szene angesagt. Ein zusätzlicher Kraftaufwand für die Darsteller, den sie allerdings in der Inszenierung einsparen. An einigen Stellen blitzt der Revue-Charakter auf, dann macht die Vorstellung richtig Spaß. Rampensingen wirkt in einem Studiotheater eher aufdringlich als gekonnt gemacht. Insgesamt aber entsteht eine Aufführung, die atmosphärisch sehr genau und einfühlsam daherkommt.

Daran haben auch die Sängerdarsteller ihren sichtlichen Spaß. Debra Hays fühlt sich in der Rolle von Mutter Seligman richtig wohl, singt mit viel Einfühlungsvermögen. Ihr Du, mein Schönbrunn ist beispielsweise wunderbar ausgesungen. Noch das Hauchen der letzten Phrase ist zu hören. Schauspielerisch gelingt ihr das jüdisch-amerikanische Lebensgefühl ausgezeichnet. Als Sohn Arthur gelingt Matthias Wippich eine weitere Glanzrolle. Seine Tonlagenwechsel sind bewundernswert, sein Spiel ist eine wahre Wonne. Wie er das große Baby auf der Suche nach sich selbst und seiner Identität spielt, die kleine Bühne ebenso ernst nimmt wie die große Oper, ist eindrucksvoll. Und es gelingt ihm, die Liebe zu Rachel darzustellen, ohne im Ohnsorg-Theater zu landen. Rachel wird von Amelie Müller dargestellt. Eine schöne Stimme, der es – zumindest hier in der Premiere – noch an Selbstbewusstsein mangelt. Da darf sie in den Folgevorstellungen ruhig etwas auf die Tube drücken. Darstellerisch merkt man ihr die Spielfreude an. Auch da fehlt es einfach nur ein wenig an Selbstbewusstsein, um sich in die Herzen der Zuschauer zu spielen. Dass sie in die unglücklichen Kostüme geraten ist, dafür kann sie schließlich nichts. Aber von ihr möchte man sicher mehr sehen. Die Rolle von John Wong ist ein wenig unglücklich geraten. Als Liebhaber von Ethel Ackerman kommt er nicht überzeugend an und die Liebe zu Amber Rosenstock bleibt sehr verhalten. James Park löst das mit viel Spielfreude und ausgefeilter Stimme. Seine scheiternde Liebhaberin, die ihn mit Geld zu halten versucht, Ethel Ackerman, ist Janet Bartolova. Sie ist stimmlich wie darstellerisch so gut, dass sie sich vermutlich ziemlich über die Kostüme ärgert, die so billig ausfallen, dass sie den Auftritt unnötig schmälern. Vielleicht liegt es am Dress-Code, dass es Amber Rosenstock so leicht fällt, ihr den jugendlichen Liebhaber auszuspannen. Manon Blanc-Desalle muss mit einer unsäglichen Perücke auftreten, was sie nicht an einer sehr schönen Interpretation von Amber hindert. An der Deutlichkeit ihrer Aussprache wird die Opernstudio-Teilnehmerin sicher noch arbeiten, aber der Ausdruck stimmt.

Michael Preiser hat eine mehr als ansprechende Partitur geschaffen. Mit dem Sextett, das aus den Reihen der Niederrheinischen Symphoniker stammt, setzt er es geradezu liebevoll um. Wenn er nicht selbst mit seinem Flügel beschäftigt ist, unterstützt er die Musiker mit beidhändigem Dirigat. Dass er sich nur wenig um die Musiker kümmert, ist sicher Ergebnis intensiver Probenarbeit. Das Zusammenspiel zwischen Combo und Bühne klappt jedenfalls überwiegend reibungslos.

Entstanden ist in summa eine mehr als hervorragende Studio-Produktion, die in erster Linie daran krankt, dass zu wenig junges Publikum zugegen ist. Denn sowohl der Stoff als auch die Musik ist absolut geeignet, die Menschen zu begeistern, die sich ansonsten eher für Musicals interessieren. Das Publikum dieses Abends bedankt sich mit anhaltendem Applaus und Füßetrampeln. Man muss sich sehr viel mehr mit Operette beschäftigen. Das hat Carsten Süss an diesem Abend klar gemacht.

Michael S. Zerban







Fotos: Matthias Stutte