Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
(Jacques Offenbach)
23. November 2014
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Mönchengladbach


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Spannender als Tatort

Gern werden Sonntagabend-Veranstaltungen an Theatern so gelegt, dass wenigstens die ortsansässigen Besucher pünktlich zum Tatort zu Hause sind. In Mönchengladbach setzt man sich nicht nur darüber hinweg, sondern legt gar die Premiere so, dass keiner vor 23 Uhr im eigenen Bett verschwinden kann. Da muss Intendant Michael Grosse schon etwas ganz Besonderes im Köcher haben, wenn er so viel Selbstbewusstsein zeigt. Zunächst mal tritt er selbst vor das Publikum, um einige krankheitsbedingte Umbesetzungen bekannt zu geben, von denen die Hauptrollen – glücklicherweise, wie sich zeigen wird – nicht betroffen sind. Dann beginnt Unfassbares. Und all die Zuschauer, die es vorgezogen haben, sich der Langeweile des Tatorts hinzugeben, um dann „rechtzeitig“ ins Bett zu kommen, dürfen sich richtig ärgern.

Hinrich Horstkotte inszeniert Hoffmanns Erzählungen, wie man so was heute gar nicht mehr macht. Er arbeitet hautnah am Text der Fassung von Fritz Oeser, stellt ein wuchtiges Bild auf die Bühne, das so altbacken wie die heute noch an der Wiener Staatsoper gezeigten Inszenierungen aus den 1970-er Jahren wirkt und bietet Regie-Einfälle, dass es im Wortsinn Funken sprüht. Damals wirkte die Regie etwa eines Otto Schenk noch über den Tag hinaus: Die Vorstellungen sind heute noch ausverkauft und ernten Lobeshymnen statt Kritiken. So etwas könnte der Horstkotte-Inszenierung ebenfalls blühen. Holzvertäfelungen an den Seitenwänden mit zahlreichen Porträts – die alle im Laufe des Spiels ihre ganz besondere Wirkung entfalten – ein Kamin an der rechten Seite mit einem Porträt von Stella darüber, an der Rückwand ein Fenster, mit dem es Besonderes auf sich hat und ein Glasdach mit einem Durchlass für einen Kronleuchter. Selbst der Abendhimmel mit dem groß schimmernden Mond und kippende Wände fehlen nicht. Vor dem Souffleusen-Kasten ein Blatt Papier mit einem stilisierten Totenkopf und einer Schreibfeder. Die Kostüme, ebenfalls in Horstkottes Verantwortung entstanden, reichen vom Frack und Zylinder bis zu geschmackvollen oder auch mal überdrehten Kostümen in den Erzählungen. Hier hat ein Regisseur nicht seinen Auftrag erfüllt, sondern fast bis zu Ende gedacht. Geschenkt die Kleinigkeiten wie die hakelige Liebesszene auf dem Flügel oder ein Umhang für Dapertutto, in dem die Darsteller sich einfach verheddern müssen. So dicht und komplex das Bühnengeschehen, dass gar keine Zeit bleibt, solche Kleinigkeiten zu verinnerlichen oder überhaupt zu bemerken. Mit Detailfreude und Einfallsreichtum, der schier kein Ende kennt, webt Horstkotte eine dichte und komplexe Erzählung, die vom ersten bis zum letzten Moment fesselt und in jeder Minute eine neue Überraschung bereit hält.

Der Eindruck täuscht vermutlich nicht, dass das Theater Krefeld Mönchengladbach hier so ziemlich alles an Ressourcen aufgeboten hat, was in beiden Häusern zu finden war. Dass Horstkottes fulminantes, opulentes Werk auf die Bühne gefunden hat, wird alle Beteiligten an die Grenzen ihrer Fähigkeiten gebracht hat, wenn nicht darüber hinaus. Das gilt auch für das Bühnenvolk. Zugegeben, Max Jota als Hoffmann ist großartig, was die sängerische Leistung und Darstellung angeht. Was aber Eva Maria Günschmann aus ihren Rollen, explizit Niklausse, macht, übertrifft ihn dann doch noch mal. Dabei ist sie stimmlich als Muse noch nicht ganz im Lot, besticht aber insbesondere darstellerisch als Hoffmanns Freund. Die Mezzosopranistin überzeugt, indem sie Oper nicht spielt, sondern „spricht“. Wenn sie sich mit Hoffmann unterhält, klingt das auch so und nicht wie zwei auf der Bühne stehende Sänger. Nur so kann Oper wahrhaft funktionieren. Die Olympia legt Horstkotte gekonnt komisch an – und findet dabei in Sophie Witte die ideale Rollenbesetzung. Weder die Besetzung noch der Erfolg dürften auch nur ansatzweise im Vorfeld zur Diskussion gestanden haben. Und Witte gibt allen mit einer sehr eigenen, wunderbaren Interpretation Recht. So auch Johannes Schwärsky. Der Bariton mit dem Hang zum Bass übernimmt gleich mal vier Rollen: Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dapertutto stehen auf dem Plan. Das Wunderbare ist, dass er jeder Rolle eine eigene Färbung gibt. Während sich die Situation im Verlauf von Hoffmanns Erzählungen ständig mehr dramatisiert, findet sie in der Antonia-Szene einen vorläufigen Höhepunkt. Düster und bizarr wird es, während Izabela Matula die ganze Schönheit ihrer Stimme aufbietet. Ihr formvollendeter Sopran biegt sich weich in die Höhen, ohne in der Mittellage an Dramatik zu verlieren. Wer an diesem Abend nicht begreift, was Oper kann, ist für dieses Genre verloren. Auch die übrigen Rollen sind durchgängig anstandslos besetzt.

Lob gebührt auch dem spielfreudigen Chor und der Statisterie des Theaters. Da darf sich Maria Benyumova zu Recht mit stolzgeschwellter Brust vor den Chor stellen.

Die Niederrheinischen Sinfoniker fühlen sich unter den weitausholenden Gesten von Kapellmeister Alexander Steinitz sichtlich wohl. Mit eher kleiner Besetzung gelingt nicht nur die Balance zwischen Bühne und Graben nahezu perfekt, sondern es gibt auch viel Platz für filigranes Spiel.

Bevor sich das Publikum in alle Stadien der Dankesbezeugung am Ende der Vorstellung vom Johlen bis zum stehenden Applaus begibt, lässt es sich den „Nummernapplaus“ nicht nehmen. In der Pause kann man sich kaum vor enthusiastischen Äußerungen retten. Nach diesem Abend braucht niemand mehr über „Theater in der Provinz“ oder „altbackene Inszenierungen“ zu diskutieren. Regisseur, Dirigenten, Solisten, Ensemble und die übrigen Beteiligten haben der Welt in genau der Kombination gezeigt, wie es geht.

Michael S. Zerban







Fotos: Matthias Stutte