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Fakten zur Aufführung 

THE ROCKY HORROR SHOW
(Richard O'Brien)
27. März 2015
(Premiere)

Südthüringisches Staatstheater Meiningen


Points of Honor                      

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Reisregen für spleeniges Kultmusical

Boring schallt es dem Erzähler auf der Bühne aus dem Publikum entgegen. Der schmunzelt bloß mit Blick auf die „Langweilig-Rufe“. Denn was für Rocky-Horror-Show-„Ersttäter“ wie eine Beleidigung klingt, ist ganz allein eines: Kult! Es gehört zu Richard O’Briens Rocky Horror Show fürs Publikum dazu, genüssliche borings zu schmettern, Reis oder Klopapier zu werfen und es mit der Wasserpistole regnen zu lassen. Jetzt feierte das Kult-Musical am Südthüringischen Staatstheater Meiningen Premiere. 25 Minuten Applaus am Ende zeigen: Die Besucher sind begeistert von der schrägen Persiflage auf Frankenstein und Konsorten.

In Meiningen braucht man kein eingefleischter Rocky-Horror-Show-Kenner zu sein, um die große Bühnenparty gebührend mitzufeiern. Vor der Vorstellung können die Theaterbesucher „First-Aid-Tüten“ kaufen mit allem, was es für einen echten Kultabend braucht. Und das Publikum wird zunächst unterwiesen, wann „Leuchtstäbe durch ein beherztes Knicken“ zum Glühen gebracht werden oder sich das Toilettenpapier in ein „girlandenartiges Wurfelement“ verwandeln darf. Musik setzt ein, jetzt erst landet die durchgedrehte Partygesellschaft vom Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania im Raumschiff auf der Erde.

Ein Blick auf die Geschichte: Das frisch verlobte und überaus biedere Pärchen Brad und Janet bleibt mit einer Reifenpanne im Wald liegen. Auf der Suche nach Hilfe landen die beiden in einem alten Schloss, das jedoch von skurrilen Gestalten bevölkert wird: Außerirdischen vom Planeten Transsexual. Hausherr ist der Wissenschaftler Frank N. Furter, der gerade das muskulöse Retortenwesen Rocky zur persönlichen sexuellen Belustigung erschaffen hat. Es kommt zu jeder Menge erotischer Verwirrung: Janet wirft jegliche Moral ab und gibt sich dem niedlichen Rocky hin, alle haben etwas mit Frank, das Spektakel endet im tödlichen Inferno.

Regisseur Lars Wernecke geht mit seiner Version der Rocky Horror Show wenig Risiko ein. Das Musical hat nun mal eingefleischte Fans, die zu dem bunten, durchgedrehten Partyspektakel gerne auch von weiter her anreisen. Zu sehen ist es zum bereits zweiten Mal am Landestheater Meiningen, diesmal in Kooperation mit der Ballettkompanie des Landestheaters Eisenach. Warum das Musical derart Kult ist, kann wohl niemand wirklich erklären – vermutlich, gerade weil das spleenige Werk, das 1973 zum ersten Mal über die Kinoleinwände flackerte, so unglaublich schräg ist. Wernecke setzt auf genau dieses Schräge – indem er etwa selbst die Band in knallgrünen, hautengen Alien-Kostümen auf der Bühne platziert und dem Publikum fast schon eine Parodie auf die Parodie bietet. Zu gruseln braucht sich definitiv niemand – allerhöchstens vielleicht vor Brads Pullunder mit Rauten in Altrosa und Hellbraun, ehe der das biedere Outfit gegen Strapse und Corsage tauscht.

Statt auf Horror setzt Wernecke auf quietschbunte Partylaune. Und so braucht es auf der Bühne auch kein Gruselschloss-Ambiente. Vielmehr platziert Bühnenbildner Christian Rinke einen riesigen runden Podest auf der Bühne, darauf spielt die Band, steht das UFO, spielt sich manches Sex-Szenchen ab.  Der Podest lässt sich drehen – handbetrieben von Typen in Leder und mit Masken. Lichteffekte mal in Pink, mal in Grün machen alles noch skurriler. Zudem lassen riesige, silberglitzernde Säulen in Phallusform nicht daran zweifeln, dass die Bewohner des Planeten Transsexual nur eines wollen. Am Rande sitzt der Erzähler wie im heimischen Wohnzimmer vor dem Fernseher rauchend und trinkend in einem Glaskasten. Transylvania also nur eine Ausgeburt kranker, menschlicher Fantasie?

Auch zeichnet das Ballett des Landestheaters Eisenach für optischen Spaß verantwortlich. Julia Grunwald und Andris Plucis setzen dabei weniger auf ausgefeilte, komplexe Choreographie, sondern vor allem auf viel Bewegung und gute Feierstimmung. Kostümbildnerin Danielle Jost sorgt für die angemessene Rocky-Horror-Outfits: Strapse, Dessous, High-Heels, nackte Haut und Perücken für Männer wie Frauen auf der einen Seite, das biedere Liebespärchen auf der anderen. Unglaublich süß: Julia Steingaß als Janet im rosa Mäntelchen mit Haarband und hochgeschlossenem 1950-er-Jahre-Kleidchen. Sowieso gilt: Die Besetzung ist gerade auch optisch hervorragend gewählt, die Gestalten aus der Galaxie Transylvania überragen das Menschenpaar um Kopflängen.

So klein Julia Steingaß mit Blick auf die körperliche Statur, so groß dagegen ihre Stimme: Sie kann bieder-süß, aber auch wunderbar rockig. Ihr Touch me wird zum gesanglichen Glanzlicht. Klarer Star des Abends ist jedoch Sven Zinkan als Frank N. Furter, seine Musical-Erfahrung ist nicht zu überhören. Er singt unglaublich kraftvoll, packt mal Fieses, mal jede Menge Gefühl in die Stimme. Tipp fürs Publikum: Am Ende applaudieren, bis Zinkan sein I’m going home wiederholt. Bei der Zugabe legt er emotional nochmal zwei Nummern obenauf. Ach ja, Star des Abends ist er übrigens auch mit Blick auf Po-Wackeln auf High-Heels.

Gesanglich nicht so überzeugend: Phillip Henry Brehl als Brad, andererseits wirkt seine Schnulze wiederum bewusst so verzweifelt, rührselig und pathetisch, dass sie ins skurrile Gesamtbild passt. Und: Brehl schauspielert hervorragend als spießiger, schmächtiger Beschützertyp, den die Leidenschaft überkommt. Als starke Besetzung im wahrsten Sinn des Wortes entpuppt sich Hagen Bähr als naiver, putziger Rocky mit goldener Glitzercreme am ganzen Körper, treudoofem Blick, riesigem Dauergrinsen und in ständigen Muskelposen. Schwerer hat es Björn Boresch als cooler Eddie, denn wer den Film kennt, erwartet fast zwangsläufig einen Typen mit Meat-Loaf-Rockerstimme. Boresch reißt`s aber wieder raus in seiner zweiten Funktion am Abend als Dr. Scott. Schottischer kann man ein „R“ kaum rollen als in seinem From the day I was born. In weiteren Rollen: Mara Amrita als Columbia, Jannike Schubert als Magenta, Reinhard Bock als cooler Erzähler und Renatus Scheibe als Riff-Raff.

Der Chor im Hintergrund sorgt den Abend über für nette Effekte – übrigens auch optisch: Iris Eckert, Juliane Voigt, Antje Vollstädt und Wolfram Hoffmann tragen ebenfalls hautenges Aliengrün, darüber schwarze Dessous. Die fünfköpfige Band Rudi and the Martians unter Leitung von Rudolf Hild spielt gut, hält sich dabei eng an der Filmmusikvorlage. Kleine instrumentale Glanzlichter: Berndt Klinkes Saxophoneinlagen. Ein Wermutstropfen allerdings – und das leider fast den ganzen Abend über: Die Musiker sind bei den Party- und Rockpassagen viel zu laut, übertönen die Sänger. Dadurch rückt die vielfach wirklich gute Gesangsleistung in den Hintergrund. Ansprechend ausgesteuert sind lediglich die ruhigeren Songs.

Einen entscheidenden Anteil am gelungenen Premieren-Abend hat bei der Rocky Horror Show nicht allein das Ensemble, sondern vor allem auch das Publikum. Es geht mit, spielt mit. Toastbrote, Reis und Klopapier fliegen, Plastikklapperhände lärmen. Die echten Profis im Publikum erkennt man daran, dass sie es nicht mit der kleinen Wasserpistole aus dem First-Aid-Paket regnen lassen, sondern einen „Supersoccer“ aus der Tasche ziehen. Dass bei der Zugabe am Ende fast der ganze Saal steht, liegt diesmal nicht nur daran, dass sich das Publikum mit stehenden Ovationen bedankt. Viele nutzen den Moment zudem, um endlich mittanzen zu dürfen.

Michaela Schneider

 

Fotos: foto-ed