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Fakten zur Aufführung 

KATJA KABANOVÁ
(Leoš Janáček)
17. Oktober 2014
(Premiere)

Das Meininger Theater


Points of Honor                      

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Gefangen im Unglück

Die Tragödie einer jungen, unglücklich verheirateten Frau, gefangen durch Pflichtgefühl in der Ehe mit einem schwachen Mann, tyrannisiert von einer herrschsüchtigen Schwiegermutter, bestimmt von Aberglauben und religiösen Zwangsvorstellungen, schildert Leoš Janáček in seiner 1920/21 vollendeten Oper Katja Kabanová nach dem Drama Das Gewitter von Ostrowskij. Begeistert von der russischen Literatur, beeindruckt von Reisen nach Russland, etwa an die Wolga, hat er ein knappes Musikdrama geschaffen, das sich im Wesentlichen auf das Schicksal der Protagonistin konzentriert, dabei im Gegensatz zur Vorlage aber den zeitkritischen Hintergrund außer Acht lässt. Lediglich das natürliche Umfeld, der große Strom Wolga, spielt eine Rolle. Auch dass Janáček das Libretto gleichzeitig mit der Komposition entstehen lässt, dabei Dialoge monologischen Selbstgesprächen vorzieht, kennzeichnet diese „Oper in Prosa“. Lediglich am Schluss, als Katja, völlig ihrem Wahn der Sündhaftigkeit verfallen, verzweifelt und verlassen von Gott und den Menschen allein am Wasser steht, lässt der Komponist sie längere Zeit mit sich selbst reden. All das hängt auch zusammen mit seinem Bestreben, „lebenswahr“ zu sein. Janáček passt dabei den Duktus seiner Musik der Sprachmelodie an, dem „Fenster der Seele“, hauptsächlich beobachtet an Sprechmotiven aus dem mährischen Dialekt. Wie auch bei seinen anderen Opern interessierte er sich vor allem für die seelischen Abgründe seiner weiblichen Hauptfiguren und was Frauen bewegt an inneren Sehnsüchten, bedrängenden Emotionen und Ängsten; die Männer bleiben dagegen eher blass. Im Kontrast zu den Gesangsäußerungen der handelnden Personen, die weitgehend dem Sprechen in kurzen Dialogen ähneln, stehen die Orchesterbegleitungen und knappen Zwischenspiele; sie vermitteln, wenn auch nur andeutungsweise, Naturstimmungen und menschliche, oft unterschwellige Regungen.

Regisseur Ansgar Haag greift in seiner recht realistischen Inszenierung die Anliegen von Janáček auf; er belässt das Geschehen am Ende des 19. Jahrhunderts in Russland, erzählt in griffigen Bildern die dramatische Geschichte. So lässt Bühnenbildner Dieter Richter den ersten und zweiten Akt in einem hohen, etwas schäbigen Kuppel-Raum mit Schiebetür und Ausblick auf das Flussufer und die Wolga spielen. In diesem Saal zum Garten hin steht auch eine Badewanne, in der Mutter Kabanicha ihren Sohn Tichon, einen erwachsenen Mann, abschrubbt – eine erniedrigende Handlung, die zeigt, dass er ein schwacher Mann, ein Waschlappen ist, ohne eigenen Willen, ohne Durchsetzungsvermögen gegen seine Mutter, die eifersüchtige, machtbesessene Konkurrentin seiner Ehefrau Katja. Auch wenn er diese liebt, wird er sie nicht beschützen. Die Wolga nimmt im dritten Akt als mächtiger Strom mit Schilfgürtel, Boot und Geländer am Ufer das ganze Bild ein; es regnet, blitzt und donnert, das Wasser ist aufgewühlt, die Leute, russisches Volk in dunklen Alltagsgewändern, suchen Zuflucht in einem offenen Unterstand. Dorthin flüchten auch das Liebespaar Varvara und Wanja, beide in gedämpfte Farben gekleidet, in heiterer, spielerischer Laune, was die Kasperlefiguren andeuten, und, herausgehoben aus den Übrigen durch die hellen Kostüme von Kerstin Jacobssen, Katja und ihr Geliebter Boris, denen das Gehetzte, Zerrissene anzumerken ist.

Das Schwermütige der Handlung, das Sehnsüchtige, aber auch die dramatische Verdichtung vermittelt gleich der Anfang, als die Meininger Hofkapelle unter der energischen Leitung von Philippe Bach beginnt; auch im Folgenden lassen die fein durchsichtig oder kurz und heftig gestalteten Orchesterzwischenspiele die besondere Stimmung oder auch latente Bedrohung aufleuchten; auch natürliche Geräusche wie Wind oder Wassertropfen sind zu ahnen. Das bildet eine untergründige Basis zu den Äußerungen der handelnden Personen. Da tritt als reicher, despotischer Kaufmann Dikoj Ludék Vele auf, ein mächtiger Bass und eine ebenso beherrschende Gestalt. Sein Neffe Boris, ein armer Schlucker, ist finanziell von ihm abhängig, wird von ihm unterdrückt. Ondrej Saling, ein sehr heller Tenor, zeigt sich in dieser Rolle jugendlich, beweglich, aber ohne Rückgrat. Geld ist ihm letztlich wichtiger als Liebe, und so entscheidet er sich am Ende fürs Geschäft. Eine gewisse Parallele besteht zwischen ihm und Tichon; auch der wird von seiner Mutter Kabanicha fast sadistisch am Gängelband geführt. Anna Maria Dur gibt diese äußerlich hoheitsvoll, standesbewusst, vordergründig freundlich, innerlich aber hart wie Granit; dazu passt ihr kräftiger, manchmal etwas greller Mezzosopran. Kein Wunder, dass sie sich mit Dikoj so gut versteht. Ihr durch sie permanent gequälter Sohn Tichon wird von Hans-Georg Priese mit vollem, großen, wohl tönenden Tenor gesungen, ist aber eigentlich stimmlich unterfordert; man hat am Schluss nur Mitleid mit ihm. Den Naturforscher und Lehrer Wanja gibt Stan Meus jugendlich unbekümmert, mit etwas flacher Stimme, während Carolina Krogius als freundliche, sympathische Varvara mit ihrem nicht allzu dunklen Mezzosopran und glaubhafter Gestaltung überzeugt. Als Kuligin bleibt Mikko Järviluoto in seiner kleinen Rolle im Rahmen, und auch die beiden Mägde Glascha, Dana Hinz, und Fekluscha, Christiane Schröter, gefallen vor allem darstellerisch. Alles aber konzentriert sich auf das Schicksal der unglücklichen Katja, Camila Ribero-Souza. Sie gefällt als sensible, schwer an den Umständen ihres Daseins leidende, mit Tichon verheiratete Frau, von Skrupeln und Leidenschaft in ihrem ehebrecherischen Verhältnis zu Boris gepeinigt. Stimmlich wirkt sie in den ersten beiden Akten noch etwas unausgeglichen, vor allem, was den Höhenansatz anlangt, aber im dritten Akt begeistert sie mit ihrem kräftigen, runden Sopran. Dass sie ins Wasser geht, übrigens hier ein sehr ästhetisches Bild, ist nur der logische Schritt aus einer Welt heraus, aus der sie am liebsten wie ein Vogel wegfliegen will, in der sie keinen Halt mehr findet.

Das begeisterte Premierenpublikum im leider nicht ausverkauften Haus feiert Ribero-Souza am meisten mit vielen Bravos; aber auch die übrigen Mitwirkenden, wie der sanft klingende Chor der Landleute, die Statisten und vor allem das Regieteam werden ausgiebig für diese angenehm konventionelle Inszenierung bejubelt.

Renate Freyeisen

Fotos: foto-ed