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Fakten zur Aufführung 

GIANNI SCHICCHI/DER BAJAZZO
(Giacomo Puccini/
Ruggero Leoncavallo)
20. Juni 2014
(Premiere)

Das Meininger Theater


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Theaterillusion und Wirklichkeit

Zwei unterschiedliche Kurzopern verschiedener Komponisten sinnvoll zusammenzuschließen, gelingt nur, wenn beide einen ähnlichen Ansatz aufweisen. Das Meininger Theater verbindet nun Ruggero Leoncavallos zweiaktiges Verismo-Drama I Pagliacci mit dem heiteren Einakter Gianni Schicchi aus Giacomo Puccinis Triptychon. Üblicherweise aber wird Der Bajazzo zusammen mit Cavalleria Rusticana von Mascagni gespielt. Warum nun gerade diese Kombination? Die Meininger erklären das mit zwei Gründen: Es geht hier jeweils um „Spiel im Spiel“, und in beiden Fällen wendet sich einer der Protagonisten in einer Ansprache direkt ans Publikum, durchbricht also die Illusion des Theaters. Beide Stücke beziehen sich auf die commedia dell’ arte, wobei im zweiten Akt des Bajazzo dezidiert eine solche Komödie vorgeführt wird, allerdings mit einem düsteren Ende – aus dem Spiel wird Ernst. Das Theater Meiningen beginnt den Doppelabend mit der Oper Puccinis.

Regisseur Ernö Weil glückt damit eine rundum geschlossene, stimmige, feinsinnige Komödie. Im schwarzen Ambiente von Daniel Dvorák mit dem Bett samt Vorhängen in der Mitte, erhellt nur durch viele Kerzen – es ist ja ein Sterbezimmer – versammelt sich die habgierige Verwandtschaft des verblichenen Buoso Donati in Trauerkleidung von Annette Mey und vergießt Krokodilstränen, bei der Verlesung des nach vielem Suchen gefundenen Testaments aber, durch das sie alle enterbt sind, fließen bittere Tränen der Enttäuschung und Empörung. Innerhalb der Familie ist lediglich der junge Rinuccio ein Lichtblick und deshalb bunt angezogen. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Familie aus der Zeit von Dantes Göttlicher Komödie – da kommt der Stoff her – sondern um einen in sich zerstrittenen Clan aus unseren Tagen. Das gibt dem Ganzen zusätzliche Brisanz, zumal die Personen ganz individuell geführt und gezeichnet sind und so den komödiantischen Effekt verstärken. Gianni Schicchi, zuerst verachtet wegen seiner armen Herkunft, dann aber von den „vornehmen“ Donatis als Retter in höchster Not akzeptiert, liefert, als der „echte“ Tote lieblos in einer Truhe verstaut ist, als vermeintlicher Buoso im Bett die von allen gewünschten testamentarischen Verfügungen vor dem eilends herbeigerufenen Notar. Nur bei den begehrten Liegenschaften vermacht Gianni alles – sich selber. Die Verwandtschaft kann da nur still mit den Zähnen knirschen, denn andernfalls flöge der ganze Schwindel auf, und die Bestrafung durch die Stadt Florenz träte ein, von der Gianni in seinem Warn-Liedchen singt. Genauso können sie nichts dagegen unternehmen, dass Rinuccio seine geliebte Lauretta, die Tochter Schicchis, heiraten darf, denn die ist jetzt reich. So kann sich zum Schluss, als die betrogenen Erben noch ein paar Gegenstände an sich raffen, ein Fensterlein auftun über dem Bett, und das amüsierte Publikum beobachtet das Liebepaar beim Austausch von Zärtlichkeiten. Schicchi aber kommt mit Feuerlöscher und Riesenkerze und erklärt die Posse für beendet, sich selbst aber für nur bedingt schuldig, denn er habe Buosos Geld bestens angelegt und dabei das Publikum noch gut unterhalten. Für den Bajazzo gilt letztere Aussage nicht in jeder Hinsicht. Denn Regisseur Ansgar Haag, für den eigentlich vorgesehenen Regisseur kurzfristig eingesprungen, versucht hier eine nochmalige Steigerung des Prinzips „Spiel im Spiel“, versetzt das Geschehen aus dem Italien des 19. Jahrhunderts in unsere Zeit. Da will eine Theatertruppe von Heute eben das Stück Der Bajazzo aufführen, und die Beteiligten versammeln sich im ersten Akt zur Stellprobe, während anfangs noch Kinder vorne mit Bauklötzchen spielen. Es soll also Theater über Theater im Theater sein – etwas verwirrend. Ein Regisseur, der im Prolog dem Publikum das Vorhaben seiner Aufführung erläutert hat, ist gleichzeitig auch der Sänger Tonio und später, im zweiten Akt, der Diener Taddeo in der Komödie. Er muss also ständig die Rollen wechseln. Schon das ist etwas misslich; auch dass die Scheinwerferbatterie grell in den Zuschauerraum leuchtet und so die deutsche Übersetzung der italienischen Operntexte nicht mehr oder schwer lesbar ist, wirkt ungeschickt. Bühnenbildner Helge Ullmann begnügt sich im ersten Akt mit Stühlen und einem Klavier für die Probe; der Hintergrund im Halbrund ist ein weißer Vorhang. Im zweiten Akt aber blickt man ins 19. Jahrhundert; die Dorfbewohner, von Annette Mey in dunkle Kleidung gesteckt, schauen auf Holzbänken einer Vorstellung von Komödianten zu. Das ist angeblich die Hauptprobe; aber durch die realistischen Zutaten, etwa den Hintergrund mit einer Gebirgslandschaft, inspiriert von den historischen Meininger Kulissen der Zeit des Theaterherzogs Georg II. und durch die herrlich karikierenden commedia-dell-arte-Kostüme wirkt das alles sehr „echt“, nicht wie ein „Versuch“, zumal sich das Geschehen von der vorher nur angedeuteten Eifersuchtstragödie zwischen Nedda und Canio zum tödlichen Drama zwischen den Eheleuten zuspitzt. Und wenn sich dann wieder die grellen Scheinwerfer herabsenken zu den Schlussworten Tonios „Die Komödie ist aus“, hat man, so scheint es, nicht an einer Probe teilgenommen, sondern eher an einem, wie es der Verismo wollte, schaurig effektvollen, realistischen Geschehen. Gerade die als Illusion gekennzeichneten komödiantischen Szenen nehmen dem Ganzen den Ernst, etwa wenn Nedda als Colombine zum Fenster, einem transportablen Rahmen, hinausschaut, durch den dann später ihr Liebhaber Arlecchino hinaussteigt, auf der Flucht vor dem Bajazzo, wenn er seiner Geliebten ein Huhn mitbringt, das sie auch gleich rupft, in einen „Ofen“ im Boden versenkt und sofort wieder schön gebraten auf dem Teller hervorholt. Solche witzigen Einfälle bilden einen starken Kontrast zum brutalen Mord an Nedda und Silvio.

Beide Opern aber hält die musikalische Leitung von Leo McFall bestens zusammen. Denn die Meininger Hofkapelle spielt fein abgestuft und sängerdienlich, ordnet sich etwa im Gianni Schicchi nach dem hübschen Tumultuoso-Vorspiel, zu dem der kleine Junge ungerührt auf einem Kinderauto durch die heuchlerische Trauergesellschaft kurvt, dem Geschehen unter und ist unmerklich ein Dialogpartner zu den Streitereien der bösartigen Erben, illustriert vor allem gut in der Testamentsszene die Absichten der raffgierigen Verwandtschaft. Die Sänger stehen dem nicht nach. Alle überragt, auch von Statur und Spiel her, der kraftvolle Stephanos Tsirakoglou als Schicchi; eine Wonne auch, wie er mit verstellter Stimme den verstorbenen Buoso nachäfft. Seine Tochter Lauretta, die in dem bekanntesten Stück der Oper, im Arioso O mio babbino caro ihren Vater umschmeichelt, findet in der Sopranistin Elif Aytekin eine liebreizende Verkörperung; in der Premiere wirkt ihre schön timbrierte Stimme manchmal noch etwas angestrengt. Die böse Clique der Donatis wird angeführt von Tante Zita, Ute Dähne, als intrigante Geizige sehr überzeugend. Rinuccio, ihr Neffe, ist dank des klangvollen, sicheren Tenors von Rodrigo Porras Garulo ein eher sympathischer Vertreter der Familie, bekommt zu Recht seine Lauretta. Dagegen wirken Gherardo, Stan Meus, und seine zickige Frau Nella, Sonja Freitag, eher abschreckend. Das Oberhaupt der Erbschleicher, Simone, wird von Ernst Garstenauer mit Würde und einem fülligen Bass verkörpert. Dessen etwas schwächlicher Sohn Marco, Marián Krrejcík, und seine elegante Frau La Ciesca, Camila Ribero-Souza, mit angenehm rundem Sopran sowie Betto von Signa, als zittriger Alter von Mikko Järviluoto dargestellt, vervollständigen die so genannte bessere Gesellschaft. Als der Arzt, Dimitar Sterev, und der Notar, Steffen Koellner, samt zwei etwas tapsigen Zeugen erscheinen, wird der dreiste Betrug vollzogen. Die Familie schweigt, sonst hätte sie Bestrafung zu befürchten, und so siegt die Frechheit.

In Leoncavallos Bajazzo gibt es eigentlich nur Verlierer, musikalisch gesehen aber nicht. Auch hier unterstreicht die Meininger Hofkapelle effektvoll die Handlung; schon mit den kurzen, knappen Orchesterschlägen zu Beginn entsteht die passende Atmosphäre; fein lyrisch gelingt die Begleitung im Vogellied der Nedda, und das Intermezzo zwischen beiden Akten, einschmeichelnd begonnen, endet mit großem inneren Zug. Zwar eilt der Chor, einstudiert von Sierd Quarré, am Anfang des zweiten Aktes dem Orchester etwas voraus, aber ansonsten imponiert er durch ausgewogenen Klang und feine Abstufungen, etwa im Glockenchor. Canio, den brennend eifersüchtigen Ehemann, stellt Xu Chang mit viel aufgestauten Affekten auf die Bühne. Sein weiter, manchmal etwas hell schneidender, höhenverliebter Tenor bewältigt alle Klippen seiner Partie bestens, doch bei der berühmtesten Nummer seiner Rolle, Lache, Bajazzo, fehlen ihm dann doch einige Facetten des Ausdrucks für unterschwellige Trauer und Leid. Sonja Freitag als seine Frau Nedda zeigt schon äußerlich an, dass sie nicht zu ihm passt; ihr heller, in der Mitte nicht allzu farbenreicher Sopran meistert die Höhen sicher; nur im Vogellied hätte man sich noch mehr lyrische Qualität gewünscht. Marián Krejcík als ihr Geliebter Silvio verfügt über einen weichen, nicht allzu starken Bariton, und Stan Meus als Beppo fällt eher darstellerisch als sängerisch auf. Von Gestaltung und Ausdruck her aber überzeugt Dae Hee Shin als Tonio am meisten mit seinem angenehm timbrierten, sehr sicheren Bariton.

Das Premierenpublikum im voll besetzten Meininger Haus spendet lange jubelnden Beifall für alle Akteure.

Renate Freyeisen

Fotos: foto-ed