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Fakten zur Aufführung 

CAPRICCIO
(Richard Strauss)
16. Oktober 2015
(Premiere)

Südthüringisches Staatstheater Meiningen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Oper über die Oper

Mitten im Zweiten Weltkrieg, von 1940 bis 1942, schrieb Richard Strauss seine letzte Oper Capriccio – wie eine Zuflucht vor der Zerstörung rundum in die scheinbar heile Welt der Kunst, und sie sollte auch das letzte dort uraufgeführte Werk sein, bevor das Münchner Nationaltheater im Bombenhagel unterging. Es ist eine Oper für Gebildete, für Intellektuelle, die sich mit grundsätzlichen theoretischen Fragen zum Theater befasst, nämlich ob das Wort oder die Musik Vorrang haben sollte, und es ist ein Werk, das handlungsarm ist und sich in Konversation erschöpft. Also nichts für unsere Zeit, die action liebt. Umso mehr muss deshalb das Äußere, die Personenführung, das Publikum faszinieren.

Im Meininger Theater gelingt das hervorragend dem irisch-zypriotischen Regisseur Anthony Pilavachi zusammen mit seiner Ausstatterin Tatjana Ivschina. Gleichzeitig versteht man, warum das anspruchsvolle Werk wegen seiner theaterimmanenten Problemstellung heute kaum mehr auf dem Spielplan steht, dass es aber viel Sinn macht, zum 325-jährigen Jubiläum der Meininger Hofkapelle gerade diese Oper zum ersten Mal hier aufzuführen, wo der Komponist als 21-Jähriger seine Dirigentenlaufbahn begann. Noch bevor die eigentliche Musik – das Sextett – beginnt, lässt der Regisseur den zeitlichen Hintergrund der Strauss-Oper deutlich werden: Die Streicher stimmen ihre Instrumente in einem leicht ramponierten Salon mit Sandsäcken und geborstenen Fensterscheiben; da ertönt Sirenengeheul, Flugzeugdröhnen; Bombeneinschläge und Feuerschein lassen die Zerstörung durch den Krieg geradezu bedrohlich spüren, und als der Angriff vorüber scheint, geht der Blick des Theaterdirektors quasi zurück in eine Epoche, in der solcher Weltenbrand noch nicht präsent war, in dem sich die Kunst der Oper noch entwickelte, ins 18. Jahrhundert vor der französischen Revolution. Vor seinem inneren Auge werden die Personen lebendig, die vorher auf dem großen Bild, das der Haushofmeister abstaubte, nur verschwommen zu sehen waren. Sie entsteigen dem Gemälde, und damit beginnt die Musik und somit die Diskussion darüber, wer von der Gräfin Madeleine mehr oder überhaupt geliebt wird: der Dichter Olivier als Vertreter des Wortes und Schöpfer eines Huldigungs-Sonetts oder der Komponist Flamand als Vertreter der Musik, der auch prompt das Gedicht vertont. An der angeregten Debatte und dem heiter verspielten Hin und Her beteiligen sich auch der Bruder der Gräfin und die von ihm verehrte Schauspielerin Clairon, deren Auftreten mehr oder weniger als affektiert und künstlich ironisiert wird. Die theoretische Erörterung über die Kunstform der Oper lockert ein hübsches Tanzpaar auf, denn die Tänzerin, Julia Grunwald, versucht dabei den Adligen zu erobern, was zu komischen Differenzen und choreografischen Entgleisungen mit ihrem Partner, Nikolay Korobko, führt, und auch ein italienisches Sängerpaar benimmt sich äußerst grotesk, weil es neben dem Gesang allzu sehr kulinarischen Genüssen zugeneigt ist. Doch während der Theaterdirektor, der Haushofmeister und die Musiker ebenso wie der mit einem Judenstern gebrandmarkte Souffleur heutige Kleidung tragen und somit auf die Entstehungszeit der Strauss-Oper hinweisen, sind alle anderen Figuren mit äußerst prächtigen Kostümen und Frisuren des höfischen Rokoko ausgestattet.

So ergibt sich mühelos eine unbeschwerte Atmosphäre der Retrospektive in eine heile Kunstwelt, abgehoben von materiellen, tagesaktuellen oder politischen Sorgen, beschäftigt nur mit der Theorie des Theaters. Alles dreht sich um den Geburtstag von Gräfin Madeleine und als Geschenk zu diesem Anlass um eine festliche Aufführung eines ihr angemessenen Stücks. Soll es eine Oper sein und wie soll sie aussehen? Darum streiten Dichter und Musiker, amüsiert beobachtet von den übrigen; in beide Herren scheint die Gräfin verliebt; letztlich aber kann sie sich für keinen der beiden entscheiden. So endet das Ganze mit der Aufforderung des Haushofmeisters: „…das Souper ist serviert“, also eigentlich trivial. Zur geradezu schwärmerisch glänzenden Musik von Strauss macht der Bedienstete das Licht aus.

Im Publikum aber klingt das noch lange nach, besonders die wunderbar romantische Mondschein-Musik wie auch die Erinnerung an frühere Strauss-Opern, etwa an den Rosenkavalier. Doch im Gegensatz dazu gibt es in Capriccio keine Melodien, die haften bleiben; der meist permanente Parlando-Ton erschwert ein wenig die unmittelbare Rezeption, und auch die vielen Anspielungen erfordern permanentes Mitdenken. Doch die musikalische Darbietung vermag in Harmonie mit der bildlichen Aufbereitung die Aufmerksamkeit immer wieder zu fesseln.
Philippe Bach leitet die Meininger Hofkapelle sehr umsichtig, die vor allem im zweiten Teil der einaktigen Oper bei den lyrisch akzentuierten Passagen durch feine instrumentale Momente gefällt.

Das Geschehen wird geführt und kommentiert von Theaterdirektor La Roche; Ernst Garstenauer verkörpert ihn überzeugend als Mann von Geist und Praxis und singt ihn trotz Indisposition mit seinem fülligen, großen Bass bis zum Ende ohne spürbare Ermüdungserscheinungen. Marián Kreijcik ist ein auch stimmlich angenehm auftretender Dichter Olivier, während Daniel Szeili als Flamand manchmal etwas plump wirkt mit seinem etwas gewaltsam geführten Tenor. Als Haushofmeister bewährt sich Mikko Järviluoto, und zu dem vergessenen kleinen Souffleur Monsieur Taupe passt gut die etwas schneidende Stimme von Stan Meus. Dem recht tapsigen, aber freundlichen italienischen Sänger, Siyabonga Maquungo, hätte man einen etwas kräftigeren Tenor gewünscht, denn so wird er leicht durch den hellen Sopran und das kapriziöse Auftreten seiner Kollegin Elif Aytekin in allem überflügelt. Mit der Schauspielerin Clairon betritt eine attraktive, selbstbewusste Dame die Bühne; Rita Kapfhammer kann sie herrlich geziert darstellen und mit ihrer flexiblen Stimme auftrumpfen. Dae-Hee Shin als ihr Geliebter und Bruder der Gräfin imponiert durch seine glaubhafte Rollengestaltung und seinen sicheren Bariton mit bestens vernehmlicher Artikulation. Leider kann man bei der charmanten brasilianischen Sopranistin Camila Ribero-Souza nicht alles verstehen; da hilft die Übertitelung schon sehr, doch die Sängerin, die wunderbar hoheitsvoll die scheinbar verliebte Gräfin verkörpert, meistert die anstrengende Partie mit ihrer dramatisch bestimmten, in den Höhen manchmal etwas scharf klingenden Stimme souverän.

So ist ihr auch der lange, begeisterte Jubel des Publikums im ausverkauften Haus sicher; das feiert alle Beteiligten, darunter die als schwarz-weiße Harlekine auftretenden Mitglieder des Männerchors, einstudiert von André Weiss, ausgiebig mit lautem Beifall.

Renate Freyeisen

 

Fotos: foto-ed