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Fakten zur Aufführung 

IOKASTE
(Stefan Heucke)
8. Juni 2014
(Uraufführung)

Theater Marl, Ruhrfestspiele


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Beim Zeus

Auf abgedunkelter Bühne flackern sieben Feuer auf hohen Ständern, - eine Beisetzungszeremonie, ein heimliches Logentreffen, ein Besuch beim Delphischen Orakel? Der Ort bleibt rätselhaft und unspezifisch. Auch der struppige Typ auf dem Portrait über der Szene lässt sich vielfach interpretieren. Wenn dann noch eine kühle, eher disharmonische Musik einsetzt und der Ruf ertönt „ Ein grausiger Fluch!“, weiß der Besucher, ihn erwartet kein entspannter Theaterabend. Das machen auch die beiden Protagonistinnen deutlich: In strenge, schwarze Anzüge ohne jeglichen Schmuck gekleidet, schreiten sie barfuss in stets verhaltenem Tempo über die Bühne – Verfremdung als Prinzip. Birgit Remmert, Mezzosopran übernimmt die Gesangsbeiträge des Abends, Veronika Maruhn die umfangreichen Sprechpartien der unterschiedlichsten Figuren.

Jörg Maria Welke entdeckt in dieser wirren antiken Welt den „Vatermörder wider Willen, ahnungslosen Gatten seiner Mutter und zärtlichen Vater seiner eigenen Geschwister“. Ihm reichen wenige Accessoires zur Kennzeichnung der einzelnen Figuren, wenn er von Iokaste, der Mutter des Oedipus, ausgehend, das kaum entwirrbare Geflecht der Beziehungen und Verfehlungen zwischen Menschen, Halbgöttern und Göttern der griechischen Mythologiewelt auf die Bühne bringt. Klaus Walter Steins Bühnengestaltung, Andrea Grafs Kostümentwürfe und das von Frederik Decker gesteuerte Licht tragen zur Abstrahierung des Geschehens geschickt bei. Ein gelungener Einfall sind die auf Podesten platzierten Glasköpfe, denen nahezu beliebig jede Identität verliehen werden kann, wenn ihnen eine Krone aufgesetzt, ein Bogen oder ein Schwert umgehängt oder ein Tuch übergeworfen wird. Die Szene ist und bleibt kühl, wirkt abstrakt, unwirklich bei stets flackernden Podestfeuern.

So erlebt der Zuschauer auch die von Welke entworfenen Texte und die Gesangsbeiträge eher als kühl, entfremdet. Mit der in zwei Personen geteilten Figur der ehemaligen Königin von Theben Iokaste sorgt Welke zunächst für einige Verwirrung. Im Laufe der Aufführung stellt sich aber diese Figurendoppelung als gelungene Interpretation einer ohnehin vielfach gespalteten Persönlichkeit heraus, die viel an Plausibilität gewinnt.

Um die Übersicht über die beteiligten Personen und ihre Verflechtungen und Verwicklungen zu behalten, benötigte man eigentlich eine Art Organigramm. Denn auch Remmert und Maruhn verkörpern unterschiedliche Personen, ohne ihr Äußeres wesentlich zu verändern. Minimale Gesten und Wechsel im Gesang und Sprachduktus müssen ausreichen, um den Wechsel zu einer anderen Figur anzudeuten. Nur die eindringlich vorgetragenen Texte und die oratorienähnlichen Gesangspartien helfen bei der Orientierung. Sängerin und Schauspielerin meistern diese diffizile Aufgabe hoch professionell mit viel Engagement.

Zu einem abstrakten, eher kühlen Gesamteindruck trägt die von Stefan Heucke geschaffene Musik wesentlich bei. Mal minimalistisch knapp, mal voluminös wechselt Rüdiger Bohn mit einem erweiterten Kammerorchester immer wieder Klang, Farben und Duktus, ohne die Sprecher in den Hintergrund zu drängen. So bleibt die Musik weitgehend Begleitung, färbt aber durch ungewohnte Instrumentierung etwa im Perkussionsbereich oder bei den Bläsern das Bühnengeschehen nachhaltig. Das entspricht durchaus dem Gesamtcharakter der Inszenierung, die durch die Musik eine weitere Verdichtung erfährt.

In einer Zeit, in der aus biologischer Notwendigkeit und Einsicht längst die ethische Norm des Inzestverbotes geworden ist, fällt es durchaus schwer, die Handlungsmotive und Beurteilungen der griechischen Figuren von Homer und Sophokles nachzuvollziehen. Auch ein Gottesverständnis auf der Basis des Satzes „Nichts bindet einen Gott“ ist unserer rational bestimmten Weltsicht kaum zu vermitteln. So gesehen ist eine Neubearbeitung dieses antiken Stoffes absolut zwingend, falls man nicht eine rein historische Interpretation vornimmt. Dass dabei ein wenig der Dramatik verloren geht, ist kaum zu vermeiden. Und so bleibt dann auch der stark formal umgestaltete und präsentierte Text des Abends eher wenig aufregend, wenngleich ihn Birgit Remmert und Veronika Maruhn variationsreich und engagiert vortragen. Die souveräne Gestaltung ihrer Figuren trägt erheblich zum Erfolg des Abends bei; ihnen vor allem gelingt es, mit geradezu minimalistischen Mitteln die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten.

Wenn dann – genau terminiert – die letzten Feuer langsam verlöschen und Iokaste I und Iokaste II sich mit sinkender Stimme langsam aus dem Geschehen und von der Bühne zurück ziehen, braucht das Auditorium einige Minuten, um aus dieser verwirrenden Götterwelt wieder „aufzutauchen“. Dann bricht tosender, wachsender Beifall mit zahlreichen Bravorufen und Fußgetrampel auf – die Theaterfreunde bedanken sich für einen schwierigen, aber sehr gelungenen Theaterabend, der einen alten Stoff in modernem Gewand überzeugend präsentiert.

 

Horst Dichanz





Fotos: Krusebild