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Fakten zur Aufführung 

LA WALLY
(Alfredo Catalani)
24. Oktober 2014
(Premiere)

Nationaltheater Mannheim


Points of Honor                      

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Verlorene Hoffnung

Eine junge Frau träumt in ihrem Dachkämmerchen vom Ausbruch aus der Enge in ein selbst bestimmtes Leben. Che Guevara schaut von der Wand, er ist ihr Idol. Auch liest sie, ja was wohl? Marx und Mao dürften dabei sein. Auf der Bühne daneben die Geburtstagsparty für ihren Papa, der wird 70, ist schon ziemlich verknöchert und hat für die Feier das Trachtenjankerl angelegt. Seine Geschäfte haben ihn in der Begrenzung seines Alpentals wohlhabend gemacht. Und engstirnig, verengt die Bergwelt doch den Blick. Zum Beispiel kann er die Söldener nicht ausstehen. Die Hoffnungen seiner Tochter prallen an ihm ab, sie hat zu tun, was er bestimmt. Tut sie aber nicht. Am Ende steht ihr Scheitern.

Der Ursprungsroman Die Geierwally ist eine ziemliche Kitschgeschichte, während Alfredo Catalani und sein Librettist Luigi Illica daraus ein Frauenschicksal formen, das zur Uraufführung 1893 den Verismo ahnen lässt, aber auch mit romantischem Pathos durchsetzt ist. Einige musikalische Sujets hat er Weber und Wagner nicht entlehnt, aber gewissermaßen gewidmet, doch bleibt Catalani ein eigenständiger Musikdramatiker, dessen Oper La Wally trotz weniger Neuproduktionen dennoch ihren Repertoire-Platz beansprucht und behauptet.

Regisseur Tilman Knabe erzählt im Nationaltheater Mannheim die Geschichte einer Frau, die sich auflehnt und ausbricht, die sich als Geschäftsfrau selbst verwirklicht und darüber ihre Liebe zurückstellt. Zwar weiß sie, wer der Richtige wäre, doch sie kommen nicht zusammen. Warum? Die schlüssige, wenn auch eindimensionale Antwort wäre, weil ihr das Business wichtiger ist. Denn immerhin prosperiert die Wally AG seit 15 Jahren, und die Inhaberin kommt elegant daher, während sie doch in der Jugend Flippiges bevorzugt hat.

Solche Bilder sind deutlich, vielleicht überdeutlich im Kontrast zur Vater-Welt. Video-Zuspielungen von Habermas bis Dutschke, Ohnesorg bis Meinhof zeigen plakativ, wie sehr einer „guten“ Gesellschaft der heftige Protest implizit innewohnt. Später wird es noch krasser, wenn Mädels in Trenchcoat und Patty-Hearst-Manier das Sturmgewehr im Anschlag halten. Fast schon vergessen, da war 1974 die gekidnappte Enkelin eines Medien-Moguls, die sich mit den Zielen ihrer Entführer identifizierte und an Banküberfällen teilnahm.

Doch Knabe zielt intensiver in die Seelenlandschaft, denn diese Frau, die sich so entschlossen gegen ihren Vater und dessen Heiratsdiktat auflehnt, ist ebenso unentschlossen, weil sie sich selbst und ihrer Liebe, ihren Mitmenschen und ihrer Macht misstraut. Finales Eremitendasein in den Alpen bis hin zu selbstzerstörerischem Eigensinn sowie ein schicksalhaftes Unglück, wenn sie endlich doch noch einen Anfang mit der großen Liebe Giuseppe, diesem Söldener Emporkömmling, wagen will, sind die Folge. Symbolhaft die letzte Impression des Regisseurs: Wally wird von einer anonymen Männerwelt wieder unterdrückt.

Auch das Bühnenbild von Johann Jörg und die Kostüme von Kathi Maurer vermitteln starke Bilder, gerade dann, wenn Angst, Einsamkeit und Verzweiflung mit wenigen Mitteln dargestellt werden. Ludmila Slepneva verkörpert die Titelfigur außergewöhnlich intensiv und beleuchtet mit ihrer berühmten Arie Ebben? Ne andrò lontana facettenreich und voll schmerzvollem Leuchten ihre existenziell gefährdete Befindlichkeit. Ihre Kunst prägt den Premierenabend. Ihr zur Seite der stabile jugendliche Heldentenor von Roy Cornelius Smith als Projektionsfläche von Wallys Liebe; der Vater findet durch Sung Ha zu knorrigem Profil, während Jorge Lagunes den verliebten Nebenbuhler Vincenco als verunsicherten Glückssucher schärft. Evelyn Krahe als gedemütigte Afra überzeugt, und Tamara Banješević in der Hosenrolle des Walter vermittelt zärtliches Mitgefühl. Lockerer Kontrapunkt im Drama: Bartosz Urbanowicz heizt als Pedone die Partystimmung im zweiten Akt wie ein Florian-Silbereisen-Verschnitt fröhlich an. Auch dieser Gag wirkt nicht aufgesetzt, sondern illustriert ein aktuelles Gesellschaftsproblem: Unverbindlichkeit als Prinzip.

Alois Seidlmeier setzt mit seinem Dirigat auf griffige, akzentreiche Effizienz, das Nationaltheaterorchester macht prächtig mit. Der Chor unter Leitung von Anton Tremmel und Statisterie in bühnenfüllender Präsenz fügen sich stimmig ein.

Tilman Knabe erhält heftige Buh-Rufe, in die sich viele Bravos mischen. Dass er das Publikum spaltet, ist nicht neu, er fordert es gerne ein mit seiner These „Theater muss zum eigenständigen Denken provozieren“.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Hans Jörg Michel