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Fakten zur Aufführung 

DER FERNE KLANG
(Franz Schreker)
15. Juli 2015
(Premiere am 10. Juli 2015)

Nationaltheater Mannheim


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Ein Mann glaubt nicht an sich

In einem alten Opernführer findet sich ein seltsamer Satz über den Komponisten und Textdichter Franz Schreker: „Meist verschwommene, von krankhafter Erotik handelnde Texte“. Es sei kurz rekapituliert. In der Entstehungszeit der Oper Der ferne Klang um 1912 war Sigmund Freud noch ziemlich neu und entsprechend irritierend, deswegen auch extrem kontrovers diskutiert. Heute entlockt uns Schrekers Text allenfalls ein müdes Lächeln. Nicht wegen  „kankhafter Erotik“, sondern weil viel Verquastheit den Blick auf die aufregend schöne Musik stören könnte. Denn die wird im Nationaltheater Mannheim unter der Leitung von GMD Dan Ettinger exzellent und opulent serviert. Intensive Klangsinnlichkeit, genaues Hineinhören in die farbenreiche und punktuell psychologisierende Instrumentierung sowie passgenaue Dynamik sind wirkliche Pluspunkte.

Lange Zeit nach dem Krieg war Schreker in Vergessenheit geraten. Vor Jahrzehnten machte sich Bielefeld mit Irrelohe auf Entdeckungsreise, und jetzt gehört Schreker – beinahe – wieder zu denjenigen Komponisten, derer im  Spielplan gedacht wird. An dieser Stelle kann man über die Berliner Produktion 2001 nachlesen, die als „Lehrstück der Psychoanalyse“ eingeordnet wird, während die Oper Bonn 2011 eher irisierenden Wunschbildern um Künstlertum und Träumereien nachspürt. Jetzt in Mannheim versucht Tatjana Gürbaca, die unter anderem als Operndirektorin in Mainz stark auf sich aufmerksam gemacht hat, die Verbindung solcher Sichtweisen. Denn die Suche nach dem fernen Klang, dem der junge Komponist Fritz nachjagt und dafür die Liebe zur naiv-bezaubernden Grete vom Lande opfert, erweist sich als Utopie. Selbst viele Jahre später, wenn seine fiktive Oper Die Harfe Erfolg haben könnte, misslingt das Finale: „Der letzte Akt ist verfehlt“, röchelt Fritz in den Armen von Grete vor sich hin.

In Mannheim ist der letzte Akt, der auch Theater an sich ironisiert, nicht verfehlt, weil die Regie ihn nah an seine beiden Vorgänger kettet. Ein Kreis schließt sich, denn aus der einsamen Bauernkate, aus der sich Fritz als monomane Künstlernatur und Grete als dann gefallenes Mädchen aus armseligem Haus in die weite Welt begeben haben, endet die verlorene Liebe wieder vor der verrotteten Hütte. Das macht Sinn. Dazwischen ziemlich schrille Bilder vom Puff auf einem „Eiland“ bei Venedig und Gretes endgültiger Niedergang zur verlorenen Frau. Fast ein bisschen Traviata, nur ohne Schwindsucht. Die stilisiert karge Bühne von Marc Weeger und die passenden Kostüme von Silke Willrett fokussieren den Blick auf die feine Figurenzeichnung. Die Videoeinspielungen – unter anderem von einer zarten jungen Liebe auf dem Blumenfeld – hat Thilo David Heins nicht konträr, sondern akkumulierend eingesetzt. Richtig gut.

Sängerisch und darstellerisch gibt es kaum Einschränkungen. Cornelia Ptassek als Grete und Michael Baba als Fritz trumpfen deutlich stärker auf als während der Premiere. Ihnen zur Seite eine Vielzahl an Sängerinnen und Sänger, mehr noch als in Wagners Götterdämmerung. Hier, wie auch in vielen Wagnerismen gerade im Schlussakt und einem an Wagner partiell gemahnendes Frauenbild, zeigt sich Schrekers Suche nach der ganz großen Kunst, die am besten noch größer sein sollte als die der Vorbilder. Auch Richard Strauss hat kaum mehr Instrumentarium verlangt als Schreker. Und genau darin liegt ein gewisses Scheitern dieser Oper begründet.

Und so bleibt am Ende eine schmerzliche Erkenntnis, wenn Fritz im Schoß von Grete, für ihn letztlich doch nur Mutter-Ersatz, sein Leben schwinden sieht: Die Suche nach dem fernen Klang, dem unerreichbaren Ideal, zerstört die Nähe. Ohne Träume, aber mit Grete, hätte Fritz glücklich werden können. Grete auch. Aber Märchen scheitern an der Realität wie Wahn an der Wirklichkeit, und Fritz scheitert, weil er letztlich nicht an sich glaubt.

Das Publikum in der hier besuchten Vorstellung ist überzeugt bis begeistert.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Hans Jörg Michel