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Fakten zur Aufführung 

ESAME DI MEZZANOTTE
(Lucia Ronchetti)
29. Mai 2015
(Premiere)

Nationaltheater Mannheim


Points of Honor                      

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Eingeschlossen in der Zeitkapsel

Angst geht um, aber nicht die des Torwarts vor dem Elfmeter, sondern eine quälende, das Abitur zu vermasseln. Doch Giro Lamenti, so sein Name, wird auf der Suche nach Literatur zum Prüfungsthema in eine surreale Welt versetzt. Raum und Zeit scheinen aufgehoben, eine Bibliothek verfällt zu Papierfetzen und Staub, und ein skurriles Panoptikum an Figuren garniert die Szenenfolge rund um die Hauptfigur, die ihren Namen zu Recht trägt, denn Countertenor Matthew Shaw, der seine Karriere einst als lyrischer Bariton begann, darf „lamentieren“, als ob der ganze Irrsinn des Daseins oder seiner Spiegelungen in ihm fokussiert sei.

Lucia Ronchetti, die italienische Komponistin und vielfache Preisträgerin, hat als Auftragsarbeit des Nationaltheaters Mannheim ihr erstes abendfüllendes musiktheatralisches Werk vorgelegt: Esame di mezzanotte, zu Deutsch etwa „Mitternachtsabitur“ mit dem Libretto von Ermanno Cavazzoni. Die Musik ist von komplexer Raffinesse, denn Ronchetti bedient sich in dieser eher punktuellen als eine Handlung strukturierenden Abfolge musikgeschichtlicher Zitate aus verschiedenen Epochen, die in kunstvoller Individualisierung großartige, dichte, intensive Musik ergeben und gleichzeitig ein Stück Gesellschaftskritik implementieren.

Die hat Achim Freyer einprägsam illustriert. Gerät seine Personenführung eher schematisch, so packt er sein ganzes bildnerisches Arsenal aus. Chiffren und Komik, aber kein Klamauk, surreale Imagination, brillante Lichtführung und schrille Kostümierung führen einen in die Welt geträumter Komödiantik. Schein und Wirklichkeit überlagern sich; gefangen in einer Raum-Zeit-Kapsel, sprich einem Flugzeugrumpf, wissen die Figuren kaum, was sie tun, wie sie sich aus einer absurden Situation befreien könnten. Dazu wird die Bühne auf mehreren Ebenen bespielt, ein Gazevorhang trennt davor den Laufsteg, auf dem Giro Lamenti seine Examensangst herauspalavert; auch eine Art Grubenlampe verhilft ihm nicht zum Durchblick.

Eine höchst aufwändige Produktion leistet sich hier das Nationaltheater, doch der permanent parlierende Text und die ausdifferenzierte Musik lohnen die Anstrengung, zumal mit Johannes Kalitzke ein Spezialist am Pult steht, der Um- und Übersicht bewahrt und mit verschieden platzierten Chören, Orchester und Instrumentalsolisten präzise umgeht. Auch darstellerisch wird den Protagonisten allerhand abverlangt. Da gefallen neben erwähntem Matthew Shaw vor allem auch Bassist Magnus Piontek als Bibliotheksdirektor in Zirkuschef-Montur, sowie Christoph Wittmann, Reuben Willcox, Ziad Nehme, Vera Lotte Böcker, Philipp Alexander Mehr und Daniela Tessmann, die alle ihr individuelles Profil ausleben. Chor und Kinderchor sind exzellent.

Die aufregende Uraufführung eines spannenden und außergewöhnlichen Musiktheaters stößt auf ungeteilten und herzlichen Beifall.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Christian Kleiner