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Fakten zur Aufführung 

BÖSE GEISTER
(Adriana Hölszky)
31. Mai 2014
(Uraufführung)

Nationaltheater Mannheim


Points of Honor                      

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Alptraum in der Wohnstube

Es gibt kein Entrinnen. Die Menschen sind depraviert, ihres Selbst beraubt, sozialer und moralischer Bindung entglitten. Dostojewski hat in seinem Roman Böse Geister, auch unter Dämonen bekannt, die Auflösung eines gesellschaftlichen Gefüges und den Verlust verbindlicher Normen beschrieben. Gewaltherrschaft und Umsturzversuche beschreiben die Perversion von Macht. Die Menschen verlieren ihren Halt, sie taumeln der Hoffnungslosigkeit entgegen. Ein düsteres, längst vergangenes Bild? Gerade erleben wir im Osten Europas, wie schnell scheinbar Festgefügtes brüchig werden kann, wie Führerkult entsteht und „Recht“ gegen subjektiven Machtinstinkt getauscht wird.

Das Libretto von Yona Kim mit drei Materialgruppen aus Szenenfolge, Chortexten und Tagebuchbericht der Hauptfigur Stawrogin, der aus Langeweile böse ist und dessen einstige Vergewaltigung der Matrjoscha wie ein Schatten über dem Geschehen liegt, hat Adriana Hölszky als Auftragswerk des Nationaltheaters Mannheim in Musik gesetzt. Mit den ihr eigenen Techniken der Zersplitterungen und Schichtungen, wenn die Musiksprache zum Klangraum wird und Texte atomisiert wieder aneinander gerieben werden. Auch in diesem musiktheatralischen Werk misst die Komponistin dem Chor eine tragende, überragende Rolle zu. Der agiert aus dem rückseitigen Zuschauerraum in der Einstudierung von Tilman Michael überragend. Dazu kommen die instrumentalen Akzente des Nationaltheater-Orchesters, und Roland Kluttig, Spezialist für Neue Musik, verknüpft die Fäden zu einem dinglichen Patchwork. Musik, die gleichermaßen sensibel wie bedrückend das Thema einkreist.

Regisseur Joachim Schlömer macht auf der von Jens Kilian angerichteten, dunklen Bühne mit der an Urgoßmutters Kleider erinnernden Kostümierung von Heide Kastler einen Alptraum im Wohnzimmer, das vom Gemälde einer dominierenden Mutter beherrscht wird. Allerdings hätte der geradezu kafkaesken Nicht-Handlung eine stilisierte, ja kalte Kargheit vielleicht noch besser angestanden als das Auf und Ab der Figuren durch verschiedene Räume, die sie sinnentleert durchmessen. Dennoch: Sie sind seelisch zerstört. Orientierungslos. Und das wird auf beklemmende Weise spürbar.

Die Sängerdarsteller um Steven Scheschareg als Hauptfigur Stawrogin sind sehr gut besetzt: Evelyn Krahe, Martin Busen, Zvi Emanuel-Marial, Iris Kupke, Ludovica Bello, Magnus Piontek, Benedikt Nawrath und Thérèse Wincent verdeutlichen Fatalismus als individuelle Dramen, die gleichzeitig wie durch ein Kaleidoskop die Handlungs- und Textpartikel zu einer bedrängenden Atmosphäre verdichten.

Das Premierenpublikum kaschiert eine gewisse Ratlosigkeit durch respektvollen, herzlichen Beifall für die Uraufführung.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Hans Jörg Michel