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Fakten zur Aufführung 

DIE BASSARIDEN
(Hans Werner Henze)
23. Oktober 2015
(Premiere)

Nationaltheater Mannheim


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Der Wahn von Größe

Gewiss, wir alle wollen aus der Geschichte lernen und aus der Mythologie ohnedies. Denn dort ist ja so ziemlich alles vorgegeben, was an menschlichen Abgründen, Verwirrungen und tragischen Verwicklungen auf einen zukommen kann. Hans Werner Henze mag daran gedacht haben, als er die 1966 in Salzburg uraufgeführte Oper Die Bassariden im Libretto von W. H. Auden und Chester Kallman nach Euripides verfasst hat. Denn Größenwahn, Verblendung und die Raserei einer Massenpsychose sind die Ingredienzien, die sich bei Bedarf ins Heute transponieren lassen.

Am Nationaltheater Mannheim hat Frank Hilbrich jetzt The Bassarids inszeniert – in englischer Sprache gesungen, mit deutschen Übertiteln. Pentheus bekommt vom Großvater Kadmos, der schon heftig am Stock geht, die thebanische Königswürde. Kaum im Amt tut er sich durch blutrünstige Dekrete und ideologische Zwänge hervor. Das kann nicht gut gehen, zumal er von Göttern gar nichts hält und Dionysos vernichten will. Nach einigem Wirrwarr wird er vom Mob einschließlich seiner Mama erlegt, wähnte sie doch eine Löwen vor sich. Pech, sie hat des Sohnes Schädel in der Plastiktüte.

Die von Volker Thiele gefertigte Bühne, eine weitläufige Bibliothek, und die Kostüme von Gabriele Rupprecht verlegen das Geschehen ins Heute. Das macht durchaus zeitlosen Sinn. Gewaltsam eindringlich werden die riesigen Chorszenen gestaltet; Hass, Grausamkeit und Opferverlangen finden in der Maßlosigkeit der beiden Kontrahenten ihre Verkörperung: Pentheus, den Karsten Mewes mit beweglicher Baritonstimme singt, mag sich selbst für einen Aufklärer halten, der den antiquierten Götterglauben bekämpft, dafür aber neue Tabus und Ideologien errichtet; Dionysos, vom Heldentenor Roy Cornelius Smith mit abgründiger Präsenz gespielt und gesungen, will Theben auslöschen – es gibt nur einen Kult, und den verkörpert er mit seinen Vasallen und Vasallinnen. Überzeugend Sebastian Pilgrim als Ex-König Kadmos, Rafael Wittmer in der Rolle des blinden Sehers Teiresias und Thomas Berau als Hauptmann, der dem jeweiligen Herrn dient.

Auch die Frauenfiguren sind nahezu ideal besetzt: Heike Wessels mit dramatischem Furor als Pentheus-Mutter Agaue, Edna Prochnik mit ihrem schön geformten Mezzo als Amme Beroe, und Vera-Lotte Böcker als jugendliche Autonoe. Sie alle stehen auf verlorenem Posten und müssen froh sein, von Dionysos „nur“ verbannt zu werden. Überwältigend am Abend zudem die filmischen Zuspielungen und Video-Überblendungen, die manchmal an Pasolini erinnern mögen.

Überragend der von Niels Schweckendiek einstudierte Chor, dem Henze  grandiose Szenen zukomponiert hat; griffig, attraktiv und jederzeit zu knalligen Akzenten bereit das Nationaltheater-Orchester unter dem Gastdirigenten Rossen Gergov, ein Musiker, der keine Probleme mit Henzes Partitur zu haben scheint.

Keine leichte Kost, aber ein wertiger Opernabend, der viel Beifall vom Premierenpublikum erhält.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Hans Jörg Michel