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Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
1. Mai 2015
(Premiere)

Teatro alla Scala, Milano


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Große Stimmen in historischer Inszenierung

In Mailand herrscht Ausnahmezustand vor dem altehrwürdigen Opernhaus, dem Teatro alla Scala. Nicht weit entfernt demonstriert eine Gruppe von Extremisten gegen die gleichzeitig eröffnete Weltausstellung. Autos werden in Brand gesetzt, Geschäfte geplündert und auch Banken beschädigt. Dementsprechend groß ist das Polizeiaufgebot vor dem Opernhaus zum Schutz der vielen Ehrengäste und der erlauchten Mailänder Gesellschaft. Diese drängen sich unter Regenschirmen schnell ins Haus, um dort die, allen Unkenrufen zum Trotz, doch noch rechtzeitig eröffnete Weltausstellung gebührend zu feiern. Viel wurde in den letzten Tagen über die zeitlichen Verzögerungen und die unfertigen Ausstellungspaläste diskutiert. Aber jetzt herrscht Erleichterung und gute Stimmung im Publikum, das elegant herausgeputzt ins Parkett strömt. Die Königsloge ist kitschig mit Rosengestecken umrahmt. Fast möchte man eine Anspielung an Dornröschen vermuten – sollen die Politiker dort wachgeküsst werden? Allen voran nimmt Ministerpräsident Matteo Renzi mit Frau und Tochter neben dem Bürgermeister der Stadt Platz. Viel Aufmerksamkeit bekommt der allseits beliebte, ehemalige Staatspräsident Giorgio Nepolitano bei seinem Einzug ins Parkett. Schnell wird es dunkel, und das Orchester unter der Leitung von Riccardo Chailly stimmt impulsiv und lautstark die italienische Hymne an, zu der sich alle stolz erheben. 

Weiter geht es kräftig in Tempo und Lautstärke im Dirigat des zukünftigen musikalischen Leiters der Scala. Konturen, Melodramatik und Spannung verblassen unter bisweilen gedrängter, hastiger Spielweise. Auch im Zusammenspiel mit den Sängern kommt der Eindruck auf, dass in dieser Produktion und musikalischen Erarbeitung Zeitdruck herrschte und zu wenig geübt wurde. Besonders auffällig im Auftritt von Ping, Pang und Pong. Angelo Veccia, Roberto Covatta und Blafoj Nacoski passen stimmlich nicht wirklich zusammen und finden in den Einsätzen und im Rollenspiel nicht immer reibungslos zusammen.

Auch in der Regie werden sie von Nicolaus Lehnhoff zu Kopien von dümmlichen Hofnarren alla Commedia dell'Arte degradiert und wie Michelinmännchen aufgedunsen in schwarzweiße Kostüme gesteckt, entworfen von Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer. Im Gesamteindruck wirkt diese Inszenierung von Lehnhoff, die er bereits 2002 für Amsterdam schuf, einfältig mit vielen vermeintlichen Effekten, die bereits aus anderen Inszenierungen bekannt sind. Zeitlos und im Ort unbestimmt ist die bildliche Gestaltung. Es bleibt schlicht, keine Palastpracht, keine Massenszenen, kein gefeierter Triumph der Liebe. Die Palastfassade und der Platz davor ist von Bühnenbildner Raimund Bauer eintönig in dunklem Rot gestaltet, Blut, das an den Händen des schrecklichen Regimes der unbarmherzigen Prinzessin klebt. Passend hierzu sind die Höflinge in schwarze Ledermäntel gesteckt, tragen Hüte und allesamt weißgeschminkte Gesichter. Dazu tritt eine weitere Gruppe in schwarzen Mänteln auf, angsteinflößend wie eine verfemte Geheimpolizei mit abgehackten Händen, rote Lichter an den Armstümpfen.

Auch der mutige und siegreiche Prinz Kalaf, anmutig, aber mit zu wenig Schmelz in der Stimme tritt Aleksander Antonenko im langen, schwarzen Ledermantel auf. Bedauernswert die Erscheinung der schillernden Titelheldin Prinzessin Turandot. Aus dem Nichts kommt sie aus einem Seitengang sehr bodenständig auf die Bühne. Nichts von magischem Anreiz und Unnahbarkeit oder königlichem Prunk ausstrahlend. Dazu ist sie ebenfalls in einem langen, schwarzen Mantel gesteckt, darunter ein Kleid mit langem Schlitz, eine plüschige Federstola um den Hals und mit einem fragilen Kopfschmuck, der wie ein Schleier um einen Käfig wirkt. Glanz und dramatische Wirkung verleiht ihr hingegen die kräftige, vollklingende Stimme von Nina Stemme. Sie meistert die anspruchsvolle Partie souverän, ohne scheinbar an stimmliche Grenzen zu kommen. Nichts wirkt schrill oder gepresst, fein und klar schraubt sich ihr Sopran in die Höhe. Am meisten Applaus erhält an diesem Abend die Italienerin Maria Agresta für ihre emotional geladene und selbstbewusst gestaltete Liu. Stimmlich weich im Klang und elegant im Gesang vermittelt sie Turandot ihr Gefühl von Liebe und ihre Bereitschaft, dafür zu sterben. An dieser Stelle setzt die musikalische Besonderheit dieses Abends ein. Bei seinem Tod 1924 hinterließ Giacomo Puccini diese Oper unvollendet. 2001 schuf der italienische Komponist Luciano Berio aus den 30 gefundenen kompositorischen Fragmenten seine Gestaltung des Finales, die 2002 von Chailly uraufgeführt wurde und der sich der Mailänder Dirigent als Verfechter verschrieb. Die moderne Klangwelt dieser Komposition verbindet sich harmonisch mit Puccinis Verismo. In der Instrumentation steckt sie voller impressionistischer Färbung, expressiv verbreitet sie elastische Disharmonie, die sich spannungsgeladen in den charakteristischen Melodien Puccinis auflöst.

Gemessene 11 Minuten dauert der Schlussapplaus mit ein paar Bravos für Maria Agresta, bevor sich die Gesellschaft zufrieden und höflich verabschiedet. Wie im Märchen auf der Bühne hat sich auch draußen in der Stadt die Lage beruhigt.

Helmut Pitsch

 



Fotos: Marco Brescia/Rudy Amisano