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Fakten zur Aufführung 

DER WILDSCHÜTZ
ODER DIE STIMME DER NATUR

(Albert Lortzing)
9. Mai 2015
(Premiere)

Theater Magdeburg


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Komik in fantasievoller Kulisse

Mitten in der Ouvertüre nach vier Minuten fällt ein Schuss. Das Geheimnis der Wilderei im gräflichen Jagdgebiet wird gelüftet: Ein Esel war es, den Schulmeister Baculus als vermeintlichen Rehbock niederstreckte. Auf dem fantasievoll gemalten Prospekt verheißt ein schönes „Fräulein“ in verführerischer Venus-Pose auf amouröse Abenteuer und erotische Irrungen und Wirrungen im Jagdrevier von Graf Ebersbach. Über der Szene schwebt unausgesprochen die Frage „Wer mit wem?“. Die Antwort offenbart sich erst ganz zum Schluss mit der verblüffenden kollektiven Erkenntnis „So hat uns nicht getäuscht die Stimme der Natur“.

Aron Stiehl hat mit seiner spritzigen und sehr humorvollen Inszenierung der Komischen Oper Der Wildschütz von Albert Lortzing gezeigt, dass Humor zeitlos ist. Auf verschiedenen Ebenen dieser Oper werden Witz und Satire vor allem in der Charakterisierung der handelnden Personen bedient, um Lortzings Absichten aufzudecken, die Umstände seiner Zeit als Parodie vorzuführen. Ob der Hang zum Höheren als Flucht aus der Biedermeieridylle  beim Baculus, das Faible für die griechische Tragödie der Gräfin und den Amouren des sich in sexuellem Notstand befindlichen Grafen bis  zu den emanzipatorischen Versuchen der Baronin Freimann in mehrfachen Verkleidungen  und einem „Auge“ auf den „Stallmeister“-Baron Kronthal. Es geht zu wie in einem Tollhaus. Drunter und drüber mit Verkleidungen und Verwechselungen, mit echten und falschen Gefühlen. Und das alles als hinreißendes Theater mit verblüffenden szenischen Gags. Regisseur Stiehl und Bühnenbildner Simon Holdsworth lassen die Akteure in einem heutzutage als „altmodisch“ geltenden Kulissentheater agieren. Das Dorf ist eine Miniatur-Spielzeuglandschaft, in der Julie Martin du Theil als Baronin Freimann, in einem Nachen und von Delphinen begleitet  wellenumspült, textgenau zu ihrer Arie Auf des Lebens raschen Wogen ihren Auftritt hat. Der Auftritt von Graf und Stallmeister, Baron Kronthal, wird umrahmt von Jagdszenen auf Riesen-Öl-Schinken, die mit den Köpfen der Jagdgesellschaft plötzlich zum Leben erweckt werden. Ein falscher Hase und ein echter Jagdhund bekommen auf offener Szene Beifall. Und wenn beim nächtlichen Gewitter der gräfliche Salon in sattes Grün von Gräsern und Farnen mutiert, wird zur Gewissheit, was man schon am Anfang ahnte: Stiehl lässt die Geschichte „en miniature“ in einer Wiesenlandschaft, in der alle Proportionen stimmen, spielen. Ein eigener Kosmos – klein, unwirklich und doch ganz nah.

Dass in Magdeburg das alles funktioniert, die Ideen des Regisseurs so kongenial szenisch und musikalisch realisiert werden, ist dem gesamten Ensemble ohne Ausnahme geschuldet. Erfolgsgarant einmal mehr der wandlungsfähige Chor unter Leitung von Martin Wagner. Ob als schrille Dorfgemeinschaft im aufgeplusterten Schwarzwaldlook – die Kostüme hat Dietlind Konold entworfen – oder als  vom „Antiken-Wahn“ der Gräfin gelangweilte Dienerschaft im Schloss – jeder der Sänger ist ein Solist, und die Spielfreude querbeet durchs Ensemble ist eine wahre Freude. Wagner hat mit dem Opernchor, Mitgliedern der Magdeburger Singakademie und dem Opernkinderchor des Konservatoriums Georg Philip Telemann etwas ganz Besonderes erreicht.

Roland Fenes als Graf Ebersbach singt mit Noblesse und ist ansonsten ein durchtriebenes erotisches Schlitzohr. Sein gesungenes Motto Heiterkeit und Fröhlichkeit lebt es gleich mit einem Dutzend leichtbekleideter Dorf-Teenager walzerselig aus. Seinem „Stallmeister“-Schwager, dem stimmschönen Ralf Simon, gönnt er das vermeintliche Gretchen nicht, das in Wirklichkeit seine Schwester Baronin Freimann ist. Wenn sie in der berühmten Billardszene um diese junge Frau spielen und Kronthal gar für 5000 Taler dem Schulmeister Baculus dessen vermeintliche Braut abkaufen will, dann erlebt man trotz Schöngesang im Quintett Ich habe Numoro Eins ein Lehrstück in Sachen Moral. Undine Dreißig als spleenige Gräfin mit einem Hang zur Antike und deklamatorischen Eskapaden macht aus ihren Auftritten darstellerische Kabinettstückchen. Allgegenwärtig versucht Baculus seine Wilderei zu vertuschen, sein Gretchen dafür zu „opfern“. Johannes Stermann überragt nicht nur von der Statur her die Szene. Er singt und spielt den Schulmeister hinreißend und verleitet mit seiner 5000-Taler-Arie das Publikum zu Beifallsstürmen. Dass sein Gretchen, dargestellt von Milena Arsovska, bei ihm bleibt, ist Strafe oder Glück. Auf alle Fälle gibt es für die Verwirrungen und Verfehlungen zum Finale eine alle versöhnende Erklärung: So hat uns nicht getäuscht die Stimme der Natur.

Langanhaltender Beifall und Ovationen für das Ensemble. Michael Balke am Pult der Magdeburgischen Philharmonie hält das turbulente Geschehen auf der Szene musikalisch zusammen und agiert sogar bei der Antiken-Vorlesung der Gräfin eifrig mit.

Herbert Henning







Fotos: Nilz Böhme