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Fakten zur Aufführung 

DER PROZESS
(Philip Glass)
26. April 2015
(Premiere am 2. April 2015)

Theater Magdeburg


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Realität als Alptraum

Das Unwirkliche der Situation wird gleich zu Beginn deutlich. Mit den Worten „Wo bleibt mein Frühstück?“ reagiert der Bankprokurist Josef K. auf seine nächtliche Verhaftung. Er gerät in das Räderwerk der Justiz, aus dem es für ihn kein Entrinnen gibt. Immer mehr ergreift ihn Hilflosigkeit und Verzweiflung. Die Realität wird zum Alptraum, das Absurde wird zur Normalität ohne Ausweg. Christopher Hampton hat die Novelle Der Prozess von Franz Kafka zu einer Vorlage für eine Kammeroper bearbeitet. Philip Glass, der als Vertreter der Minimal Music gilt und bisher 30 Bühnenwerke komponierte, hat im Auftrag des Music Theatre Wales, des Royal Opera House London, des Theaters Magdeburg und der Scottish Opera dieses spannende Bühnenwerk geschaffen.

Es wurde im Oktober vergangenen Jahres in London uraufgeführt und erlebte im Schauspielhaus Magdeburg als Inszenierung des Opernhauses und mit dem Inszenierungskollektiv der Londoner Uraufführung eine umjubelte deutsche Erstaufführung. Dabei gelingt dem Regisseur Michael McCarthy eine beeindruckende Symbiose von Musik und dramatischem Geschehen, das in einer unaufhaltsamen Katastrophe für den unschuldig verhafteten Josef K. endet. Hampton hat in der Bearbeitung der Kafka-Vorlage sehr genau auf das Virtuelle, Unwirkliche und Makabre der Situation gesetzt. Das Stück wirkt wie eine Versuchsanordnung, in der Josef K. wie in einem Vakuum von den auf ihn einwirkenden Kräften unbehelligt bleibt und sich doch nach und nach verändert. Das unterstützt in kongenialer Weise die Ausstattung von Simon Banham. Ein geschlossener Raum mit Tisch, Bett und zwei Stühlen verändert sich in rascher Folge. Aus Türen, Fenstern, einem Aktenschrank, Ritzen beobachten in starren Posen und stetem Wechsel die sieben Protagonisten in wechselnden Rollen das Geschehen um Josef K. – Metapher für eine allgegenwärtige Beobachtung und Observierung. Das Kafkaeske von Stück und Inszenierung liegt in der Betonung des Experimentellen. Die sieben Sänger nehmen die Identitäten von 17 Rollen an. Sie wollen Josef K. manipulieren, sind als Beteiligte und Unbeteiligte auf der Szene präsent und haben das Ziel, Josef K. zu manipulieren. Und dadurch, dass sie mit dem spärlichen Mobiliar die Bühne ständig verändern und immer neue Räume für die Aktionen von Josef K. entstehen lassen, wird das Experimentelle betont.
Die Komposition zur Kafka-Vorlage von Philip Glass trifft sehr genau die szenischen Konstellationen. Die Minimal Music erhält durch die Instrumentation mit sechs Blas-und vier Streichinstrumenten, Klavier und einem großen Schlagwerk eine besondere Klangfarbe. Hermann Dukek gelingt mit der Magdeburgischen Philharmonie eine außergewöhnlich packende musikalische Interpretation. Die rhythmischen Wiederholungen, Variationen, ariosen Intermezzi haben immer zum Geschehen auf der Bühne einen direkten Bezug. Die Musik beschreibt eine eigene Geschichte, eine eigene musikalische Lesart des Stoffs im Kontext der Veränderungen im Seelenleben des Josef K. zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

Im Gegensatz zu den anderen Personen aber bleibt Josef K. musikalisch ein „Mann ohne Eigenschaften“. Johnny Herford ist wie auch in London ein fulminanter Josef K., der stimmlich und darstellerisch die schwere Partie exzellent meistert. Er zeigt die wachsende Hilflosigkeit und das eskalierende Ausgeliefertsein, Ohnmacht und Resignation. Alle anderen Protagonisten zeigen sängerisch und darstellerisch jeweils in mehreren Rollen brillantes Musiktheater: Roland Fenes als Advokat Huld und Untersuchungsrichter, Michael J. Scott stimmgewaltig als Maler Titorelli und Student, Thomas Florin  beeindruckend vor allem als Gefängniskaplan, Paul Sketris als Aufseher und Onkel Albert  und Markus Liske unter anderem als Franz und Kaufmann Block. Herausragend interpretieren Julie Martin du Theil und Sylvia Rena Ziegler mit großem stimmlichen Einsatz ganz unterschiedliche Frauenrollen, die Josef K. als „Objekt der Begierde“ verführen und wieder verlassen.

Josef K. stirbt, ohne dass die Schuldfrage geklärt ist. Für ihn gibt es kein Entrinnen aus dem Räderwerk der Justiz. Minutenlanger, enthusiastischer Beifall am Schluss. Ovationen für Johnny Herford sowie für Hermann Dukek und die Magdeburgische Philharmonie.

Herbert Henning







Fotos: Andreas Jander