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Fakten zur Aufführung 

CANTOS DE SIRENA
(La Fura dels Baus)
10. Januar 2015
(Premiere)

Luzerner Theater, Verkehrshaus


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Wie Sirenen klingen

Das katalanische Regieteam Fura dels Baus ist bekannt für seine spektakulären Inszenierungen und vielfältigen Regieeinfälle. Dazu gehören Lichteffekte, jede Menge technischer Spielereien genauso wie akrobatische Artisteneinlagen. In allen großen Opernhäusern haben sie bereits Regie geführt, unvergessen auch ihre gefeierte Ring-Tetralogie für die Opernhäuser Valencia und Florenz.

Während der Ruhr 2010 wurde die Idee zu dem Projekt Cantos de Sirena geboren. Damals waren Fura dels Baus eingeladen und brachten einen norwegischen Eisbrecher als Veranstaltungsplattform mit. Vertraut mit den germanischen Sagen und dem Werk Richard Wagners, nannten sie ihren Beitrag Global Rheingold. Die Rheintöchter, Loreley und andere Nixen und Medusen traten in Erscheinung. So auch äußerte Carlus Padrissa, führendes Mitglied der Gruppe, seinen Traum, die Gesänge dieser Sirenen in einem Schiffsbauch in Szene setzen zu wollen. Birgit Meyer, Intendantin der Kölner Oper, griff die Idee begeistert auf und konnte auch Dominique Mentha, den Intendanten der Luzerner Theater, als Koproduzenten dafür gewinnen. Dazu kam, dass Schweizer Schokolade und Luzern für Carlus Padrissa seit seiner Jugend ein geschätzter positiver Begriff ist, und in Luzern das Verkehrshaus, eine moderne  Begegnungsstätte und Museum für Transportmittel, gleichzeitig als passender Aufführungsort zur Verfügung stand. So fügten sich über vier Jahre alle notwendigen Dominosteine des großangelegten Projektes zusammen.

Howard Aman, musikalischer Leiter der Luzerner Theater, komponierte und arrangierte die Musik zu diesem Musiktheater. Breite harmonische Klangbögen, langgezogen und  farbenreich instrumentiert, dominieren. Holprig allerdings ist der Übergang zu bestehenden, in Originalversion einbezogenen, klassischen Opernarien, meist wahre Ohrwürmer, die sich von der ansonsten modern elektronisch metallen klingenden Komposition abheben, aber inhaltlich zum Libretto passen. Das schafft Marc Rosich, indem er auch auf einen deutschen Helden zurückgreift. Es wird eine moderne Faustgeschichte.

Das Premierenpublikum wird in den  mystisch ausgeleuchteten, mit Nebelschwaden durchfluteten Keller des Verkehrshauses geleitet.  Kürzlich von der Swissair ausrangierte Flugzeugsessel sind auf zwei Tribünen aufgestellt, dazwischen ein langer Gang. Aus dem Nichts beginnt ein amputierter Arm mit Laserpointer in der Hand das Geschehen zu dirigieren. Speziell vom Bühnenbildner Roland Obeter entworfene Klangmaschinen  werden in den Raum geschoben und senden sphärische dunkle Töne, von elektronischer Hand bewegt.  Nebelhörner erschallen, und der Fischer Faust zieht mit seinen Seemännern sein Schiff herein. Generell bewegt sich alles langsam, schleichend, es gibt keine gezwungene Hektik, an die Musik angepasst. Lichteffekte dominieren im meist matt ausgeleuchteten Raum. Der Held wirkt deprimiert und ist mit seiner philosophischen Weisheit am Ende. Verzweifelt begeht er Selbstmord und wird im Todeskampf von den Stimmen der Sirenen zu einem Pakt überredet. Er kauft sich Zeit. Zeit, um seinen Körper der Kunst zu verkaufen. Faust begibt sich auf den künstlerischen Egotrip. Er verjüngt sich und lässt sich in einer blutigen Schönheitsoperation zur attraktiven jungen Fausta umwandeln. Alles spielt nun in einem virtuellen Raum, und Fausta bricht zu einer Erlebnisreise auf, greift nach den Sternen, schwebt durch die galaktischen Nebel und erkundet die virtuelle Liebe im Web. Immer wieder hängen Gestalten von der Decke herab oder werden, an einer Hebebühne befestigt, herumgefahren. Medusenähnliche Sirenen werden in Aquarien herumgeschoben.  Fausta greift auch gottähnlich in den Schöpfungsprozess ein. Aus einer Zentrifuge schleudert sie geklonte Körper aus Lehm mit kurzem Ablaufdatum heraus. Sie modelliert auch den perfekten Mann, um ihre Begierden zu befriedigen. Im zum mechanischen Kabarett umfunktionierten Liebesakt erkennt sie die Grenzen der virtuellen Welt ohne menschliche Gefühle. Das normale natürliche Leben, verkörpert in Mais und Schokolade, setzt zum Liebestaumel um die Heldin an. Aber die Zeit des Paktes ist abgelaufen.

So geschehen und gesehenist es ein idealer Stoff für die Kreativität der Katalanen. Eingeschränkt durch die technischen Möglichkeiten und die Nähe des Publikums, wirken Effekte desillusionierend und auch langatmig. Alle Sinne sind einbezogen. So werden auch kleine kulinarische Köstlichkeiten gereicht, um Empfindungen der Heldin dem Publikum nicht vorzuenthalten. Das ist beschäftigt, dem Geschehen und den Handeln der verschiedenen Personen in wechselnden Rollen folgen.

Die Sänger sind wahrlich gefordert, moderne elektronisch-technische Klänge zu erzeugen, klassische Arien, begleitet von akrobatischen Bewegungsabläufen, zu trällern und natürlich auch zu schauspielern. Der jungen Deutschen Marie Luise Dressen gelingt es, wie eine gefühllose puppenhafte Heldin zu wirken, auch im gesanglichen Ausdruck bleibt sie emotionslos. Mit den barocken Arien lässt sich das realisieren, romantische Meisterwerke wirken stumpf. Die Sopranistinnen Stella Motina und Carla  Maffioletti bleiben in ihrer Interpretation lyrischer oder auch dramatischer, je nach Gefühlslage.

Am Ende wird die Heldin an einer Maschinerie festgemacht und passend für die Schweiz mit Schokolade überzogen. Dunkle Schokolade als Symbol für Lust und Liebe. Ein köstlicher Überzug, der allem noch eine wohlschmeckende Note geben kann. So auch dieser Kreation von Fura dels Baus, die von inhaltlichen und regietechnischen Ideen überschäumt und beeindruckt, in der Umsetzung aber im Raum überfrachtet und unschlüssig wirkt. Haben da die Sirenen zu viel gesungen?

Das Premierenpublikum ist gespickt mit politischer und künstlerischer Prominenz. So ist  auch der designierte Intendant der Luzerner Theater, Benedict von Peter, anwesend. Das Publikum spendiert lebhaft Beifall und ist vom technischen Spektakel beeindruckt.  

Helmut Pitsch







Fotos: Ingo Höhn