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Fakten zur Aufführung 

ULENSPIEGEL
(Walter Braunfels)
10. September 2014
(Premiere)

Brucknerfest Linz, Alte Tabakfabrik


Points of Honor                      

Musik

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Revolutionärer Narr

Postzivilisatorisches Leben zwischen ausgebrannten Wrackteilen und ewig weiterqualmenden Barrikadenresten, Autoreifen, viel Gerümpel, Paletten, die später zu einer Barrikade aufgeschichtet werden, sieht man in der Mitte des großen Bühnenraums der ehemaligen Linzer Tabakfabrik, der von Zuschauertribünen auf zwei Seiten umrahmt wird und so zum zentralen, alles fokussierenden Aufführungsort wird: Die spanische Inquisition in Flandern, in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts, zählt aber nun mal auch zu den düstersten Kapiteln der Menschheitsgeschichte. Und mittendrin Till Eulenspiegel, ein Schalk, ein provokanter Narr, der sich nicht unterkriegen lässt, der sich aber nach der Folterung und Hinrichtung seines Vaters Klas völlig wandelt und zu einem tolldreisten Berserker und Anführer des Widerstandes der unterdrückten, mehrheitlich protestantischen Bevölkerung wird und mit einer unbändigen Sehnsucht nach Freiheit einen beispiellosen Rachefeldzug organisiert, selbst dem Tode trotzt und gewinnt: Genau davon handelt Ulenspiegel, dessen Uraufführung 1913 in Stuttgart stattfand, von Walter Braunfels, der auch das Libretto sehr frei nach Charles de Costers Roman selbst schrieb und der in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit seinen Opern Die Vögel und Don Gil nach Richard Strauss und Franz Schreker als einer der erfolgreichsten, zeitgenössischen, später leider vergessenen Opernkomponisten galt.

Fast hundert Jahre lag das Notenmaterial unbeachtet im Archiv der Staatsoper Stuttgart. Die Braunfels-Enkelin Susanne Bruse regte an, es dort aufzuspüren und das Werk einer Neubewertung zu unterziehen. Deshalb wurde das Musikdrama im Januar 2011 mit reduzierter Bläserbesetzung zum ersten Mal wieder gespielt, und zwar im thüringischen Gera. Eine Wiederaufnahme fand ein Jahr später im benachbarten Altenburg statt. Da der Erfolg bei Publikum und Kritik so überwältigend war, reifte bei der Kompagnie EntArteOpera nach Der Schatzgräber von Franz Schreker im letzten Jahr der Plan, diese Opernrarität eines wiederum vom NS-Regime verfemten Komponisten im Weltkriegsgedenkjahr als österreichische Erstaufführung gemeinsam mit dem Brucknerfest Linz zu zeigen. Und es hat sich gelohnt. Denn die Oper ist dramaturgisch und theatralisch packend gebaut. Sie berührt immens, sie verfügt über eine tolle spätromantische Musik und sie wurde spannend als topaktuelles Thema der Religionskriege zeitlos im Heute mitreißend umgesetzt.

„Klas ist tot!“ Gellend schreit Nele diese Worte mehrmals aus sich heraus. Und Till Eulenspiegel, der die Botschaft seiner Geliebten über den Tod seines Vaters, den dieser seinetwegen und nach grausamer Folterung erleiden musste, zuerst nicht glauben will, nimmt seine Narrenkappe vom Kopf, schmiert sich die mitgebrachte Asche seines Vaters ins Gesicht: So zeigt Regisseur Roland Schwab diese berührende, symbolhafte Schlüsselszene, die den Eulenspiegel zum Widerstandskämpfer gegen die Unterdrücker werden lässt. Schwab ist in der Halle der ehemaligen Linzer Tabakfabrik mit großer Agilität und unentwegter Aktion, vielen, auch symbolhaften Ideen und drastischer Brutalität ein großer Wurf gelungen. Wenn etwa die Schergen der Inquisition in schwarzen, heutigen Uniformen als Schatten aus dem Kegel von blendenden Autoscheinwerfern hervortreten oder ein anderer mit einer nachziehenden Eisenstange immer wieder sein unheilvolles Kommen ankündigt. Oder wenn die Frauen gejagt und dann auf den Scheiterhaufen gebunden werden.

Mit vollem Einsatz spielen und singen die Sänger, die oft direkt vorm Publikum agieren, was eine starke, direkte Unmittelbarkeit bewirkt. Herausragend erlebt man dabei Christa Ratzenböck als intensive Nele, berührend besonders in ihrer Todesszene. Hans Peter Scheidegger ist zwar ein mächtiger Vater Klas, aber mit recht reifem Timbre ausgestattet. Das Duett zwischen ihm und Nele ist von großer Subtilität. Joachim Goltz ist ein kraftvoller, kerniger, extrem böser und zynischer Profoss, Handlanger des Blutherzogs von Alba. Andreas Jankowitsch ist eine idealer Jost und Schuster. Auch die vielen, kleinen Rollen weisen keine Schwachstellen auf, auch der viel beanspruchte EntArteOpera Chor, hauptsächlich mit Studenten besetzt singt in der Einstudierung von Franz Jochum tadellos und homogen. Und der Titelheld? Marc Horus ist sowohl szenisch wie auch sängerisch sehr ausdruckstark und vermag auch zu berühren. Leider ist er sehr schwer verständlich, geht immer wieder forcierend an seine Grenzen, da es ihm an Stimmvolumen fehlt.

Die spätromantische Musik, die Werner Steinmetz gelungen für Kammerorchester bearbeitet hat, mit Anklängen an Richard Strauss und Richard Wagner, auch das Dies irae aus dem Requiem wird verarbeitet, ist stringent, prachtvoll funkelnd, üppig, immer klar und so soghaft, das man sich ihr emotional kaum entziehen kann. Vor allem dann, wenn sie so transparent, so reich an Farben und mit einem tollen Raumklang zu hören ist, wie vom Israel Chamber Orchestra unter Martin Sieghart. Nur manchmal wird das Orchester, das weit hinten im Raum platziert ist, vom direkt vor den Zuschauern agierenden Chor übertönt.

Und wenn Till Eulenspiegel, nachdem sich Nele schützend vor ihn geworfen hat und so statt seiner erschossen wird, aus ihrer Jacke die blutüberströmte Narrenkappe holt und auf die errichteten Barrikaden klettert, ist das ein starkes Schlussbild.

Großer Jubel und Getrampel eines rundum zufriedenen Publikums.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Julia Fuchs