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Fakten zur Aufführung 

DER WILDSCHÜTZ
(Albert Lortzing)
25. März 2015
(Einmaliges Gastspiel)

Forum Leverkusen


Points of Honor                      

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Zu viel Trauer

Es ist Tag 1, nachdem ein Flugzeug an einer Felswand in den französischen Alpen zerschellt ist. 150 Menschen kommen ums Leben, darunter auch zwei Opernsänger. Wie geht man damit um, wenn man am Abend ausgerechnet eine komische Oper, noch dazu ein Gastspiel, auf dem Spielplan hat? Das Forum Leverkusen tritt die Flucht nach vorn an, weil eine Absage der Aufführung keinen Sinn macht, wohl auch wenig im Sinn der Toten gewesen wäre. Vor dem Beginn der Aufführung treten also Dramaturgin Claudia Scherb und Bariton Jan Friedrich Eggers, der an diesem Abend den Graf von Eberbach gibt, vor den Vorhang. Sie bringen ihre Trauer über die Toten und ihr Mitgefühl für die Angehörigen zum Ausdruck. Jan Friedrich Eggers hat Maria Radner, die mit nur 34 Jahren mitsamt ihrer kleinen Familie aus dem Leben gerissen wurde, persönlich gekannt und mit ihr gearbeitet. Davon erzählt er, von ihrer Lebensfreude und von dem Spaß, den sie hinter der Bühne hatten, während vorn eine hochernste Aufführung stattfand. „Und so“, schließt er, „stehen wir heute vor der umgekehrten Situation.“ Während es auf der Bühne hoch hergehen soll, herrscht dahinter tiefe Betroffenheit. Und so wird wieder einmal deutlich, wie nahe Spaß und Ernst beieinanderliegen, „zwei Seiten derselben Medaille sind“. So sollen wir uns doch gerade, wenn wir erlebt haben, wie schnell und unvermittelt das Leben zu Ende gehen kann, an unserem Leben freuen. Lange haben die beiden mit sich gerungen, wie sie mit der Situation „richtig“ umgehen, haben auch Ralf Waldschmidt, Intendant des Theaters Osnabrück, das den heutigen Abend ausrichtet, in ihre Überlegungen einbezogen. Der stärkste Applaus dieses Abends gibt Scherb und Eggers das Gefühl, dass sie den richtigen Ton gefunden haben.

Und auch die übrigen Menschen, die an diesem Abend auf der Bühne agieren, zeigen sich hochprofessionell und versuchen, das Publikum mit der Verwechslungskomödienoper Der Wildschütz von Albert Lortzing zu unterhalten. Dabei macht es ihnen Regisseurin Sandra Wissmann mit ihrer Inszenierung schon nicht leicht. Brav und bieder geht es zu, der eine oder andere Schwank wird platt präsentiert. Da wird aus einem „Dunnerlittchen“ dann „versehentlich“ ein „Dunnerflittchen“. Das erinnert mitunter schon an das Komödienstadl. Alexandre Corazzola hat ein Bühnenbild entworfen, dem man zwar das knappe Budget ansieht, das aber trotzdem nicht ohne Raffinesse bleibt – vor allem im Hinblick auf Gastspiele. Die Bühne wird künstlich durch drei Wände verkleinert, so dass sie ohne Schwierigkeiten auf verschiedene Bühnengrößen passt. Im ersten Akt, der im Dorf spielt, zeigen sie eine hölzerne Oberfläche, im zweiten und dritten Akt im Schloss des Grafen werden sie aufgeklappt und zeigen Spiegelflächen. Auf dem Boden gibt es Rollkunstrasen und Plastikblümchenbeete. Um den Symbolismus des Spiegels als Zerrbild eigener Eitelkeit weiter zu bemühen, gibt es Winkelstellwände, die ebenfalls mit spiegelnden Flächen bezogen sind. Im Vorspiel während der Ouvertüre dient eine davon, die Akteure vorzustellen, die nacheinander auf die Bühne kommen und sich im Spiegel betrachten, im dritten Akt dienen sie als eine Art – nutzloses – Labyrinth. Bei den Kostümen stilisiert Uta Meenen die Mode der Mitte des 19. Jahrhunderts, also der Entstehungszeit der Oper. Das ist beim Publikum eine sichere Bank, auch wenn es kaum zu einer besseren Inszenierung beiträgt. Im gut besuchten Saal des Forums Leverkusen, in dem der Altersdurchschnitt auch durch die Anwesenheit eines Kindes nicht sinkt, gibt es schon ein Erschrecken, als Evmorfia Metaxaki nach der Jacke auch noch ihre Bluse ablegt. Beruhigung tritt ein, als altmodische Unterwäsche zu Tage tritt.

So wie Wissmann im Verlauf der Aufführung immer mehr die Personenführung vernachlässigt, stellt Lortzing keine unüberwindbaren Anforderungen an die gesangliche Leistung. Schwieriger wird es für die Akteure in einem solchen Rahmen schon mit dem Schauspiel. Aber hier erbringen bis hin zum Chor und den Statisten alle gute bis sehr gute Leistungen, soweit es die Regie zulässt. Metaxaki gibt die Baronin Freimann, Schwester des Grafen. Die Spielfreude hält noch viele Reserven bereit, bei der Verständlichkeit ihres Gesangs werden die Grenzen erreicht. Das gilt sicher in noch stärkerem Maße für Mezzosopranistin Almerija Delic, die der Gräfin wenig Profil verleiht. Erika Simons ist da als Gretchen sehr viel überzeugender. Ebenso wie Jan Friedrich Eggers, der dem Grafen eine gleichbleibend dümmlich-adelige Attitüde verleiht. Bei beiden hat man das Gefühl, dass hier noch viel mehr drin gewesen wäre. Tenor Daniel Wagner hat gleichfalls unter mangelnder Personenführung zu leiden, singt den Baron Kronthal mitunter mit nasalem Unterton. Alles dreht sich in diesem Stück um Schulmeister Baculus, den Opportunisten, den Korrupten, oder freundlicher ausgedrückt: Um einen, der verzweifelt sein Lebensglück auf allen Ebenen sucht, während er immer mehr davon verliert. Großartig gestaltet das Oliver Weidinger, den die Maske rollengerecht mindestens um Jahre altern lässt. Sein Bassbariton überzeugt durchgängig, und wie er den Baculus auch in schauspielerischer Hinsicht auslotet, ist schon eine Freude. Genadijus Bergorulko als Haushofmeister Pancratius entspricht in seiner Sprechrolle voll und ganz dem perfekten Butler, während Katarina Andersson als Nanette, Kammermädchen der Baronin, blass bleibt.

Markus Lafleur hat Opernchor, Extrachor der Herren und Kinderchor so gut einstudiert, dass sie auch in den zahlreichen Spielszenen sehr überzeugend klingen. In der Bewegung der Chöre gibt es auch bei Wissmanns Arbeit keine Einwände.

Weniger eindrucksvoll zeigt sich die kleine Besetzung des Osnabrücker Symphonieorchesters unter Leitung von An-Hoon Song. Der Dirigent braucht die große Geste, zählt gar mit den Fingern vor, bemüht sich intensiv um den Einsatz der Sängerinnen und Sänger, erreicht aber letztlich nicht die gewünschte Balance zwischen Graben und Bühne, vermag der Musik Lortzings keine Besonderheiten abzugewinnen, ohne dass man sich über die Musik beschweren müsste.

Drei Stunden werden sehr lang, wenn sie ohne wesentliche Höhepunkte auskommen müssen. Da hat man Zeit, sich um das Eigenleben im Publikum zu kümmern. Die Hustenorgien nach der Pause kommen auch ohne Theaternebel aus. Nebenan liest er ihr aus dem Opernführer vor. Es gibt keine Übertitelung und manches bleibt unverständlich, da ist es naheliegend, im eigens mitgebrachten Opernführer mitzulesen. In der Reihe dahinter werden die Ereignisse auf der Bühne lebhaft kommentiert – „Guck mal, der trinkt den Tee gleich selbst“ – und ein paar Plätze weiter plappert besagtes Kind unaufhörlich. Da ist es schon ein Spaß, wenn es zu den Dreiviertel-Takten mitklatscht. Ein Handy klingelt zwischendurch. Klar, dass die Besitzerin den Anruf annimmt und mit dem Gesprächspartner wichtige Informationen austauscht. Aber schließlich flüstert sie ja. Drei Stunden sind zu lang. Und während die Akteure auf der Bühne sich nach ordentlicher Leistung verbeugen, müssen sie zusehen, wie die Zuschauer den Saal verlassen, während einige sich noch den Applaus abringen, bis der Vorhang fällt. Das ist schlicht unfreundlich. Aber vielleicht haben auch viele Menschen die Ereignisse der letzten beiden Tage emotional überfordert. Verständlich wäre es.

Michael S. Zerban







Fotos: Jörg Landsberg