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Fakten zur Aufführung 

SUNSET BOULEVARD
- BOULEVARD DER DÄMMERUNG

(Andrew Lloyd-Webber)
8. Dezember 2014
(Einmaliges Gastspiel)

Forum Leverkusen


Points of Honor                      

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Träume aus Licht

Musiktheater zu inszenieren, ist doch wirklich so einfach. Man nimmt eine Hand voll Sängerdarsteller beiderlei Geschlechts und jeglichen Alters, einen Strauß bunter Einfälle, aus dem die Fantasie wie ein Feuerwerk blitzt, ein gut aufgelegtes Orchester mit einem Leiter, der wirklich Spaß an der Aufführung hat, und ein wenig wohldosiertes Licht. Dann lässt man das Ganze auf der Bühne so aussehen, als sei es das Leichteste von der Welt, und schon ist auch das Publikum begeistert.

Regisseur Gil Mehmert jedenfalls macht das so mit dem Musical Sunset Boulevard – Boulevard der Dämmerung, das er als Gastspiel im Forum Leverkusen vor vollbesetztem Haus zeigt. Gut, die großartige Musik von Andrew Lloyd-Webber zum Buch von Christopher Hampton und Don Black wird ihm die Arbeit sicher erleichtert haben. Und das Team an seiner Seite hat ihm offenkundig auch keine Steine in den Weg gelegt. Heike Meixner hat die Bühne mächtig voll gestellt. Eine Paravent-ähnliche Wand mit einer Marmorstruktur läuft über drei Wände. Links davor eine Treppe, die zu oberen Gemächern führt. Mittig ein Podest, das ständig andere Räume und Szenen erlaubt. Und rechts ein Turm, der, je nachdem, wie er gedreht wird, mal Orgel, mal Wohnraum oder auch mal Bestandteil des Foyers in der Villa des alternden Stars ist. Immer wieder tragen Schauspieler und Statisten Requisiten herein, ganz selbstverständlich, und bauen mit wenigen Handgriffen eine neue Kulisse auf. Für Auf- und Abbau des Oldtimers gibt es jeweils Sonderapplaus, weil das einfach nur witzig und originell aussieht. Die Akteure kleidet Meixner in prachtvolle, farbenfrohe Kostüme, die der amerikanischen Mode der 1950-er, 1960-er Jahre nachempfunden sind und die Rollen wunderbar charakterisieren. Das ist bis auf das i-Tüpfelchen durchdachtes Ausstattungstheater, das viel Spaß macht, weil es die Handlungsräume wirklich in den Köpfen des Publikums entstehen lässt und den Fortgang der Ereignisse verständlich erklärt. Rolf Spahn spielt opulent mit dem Licht und taucht die Bühne immer wieder in spannende Atmosphären. Melissa King schließlich entwickelt eine Choreographie, die streckenweise Westside-Story-Feeling entstehen lässt. Diese Melange formt Mehmert zu einem Gesamtereignis, das sich leicht wie eine Daunenfeder auf der Bühne niederlässt und spannend wie ein Thriller abläuft.

Norma Desmond ist ein berühmter Stummfilmstar, der, wie so viele Darsteller in der Realität, mit dem Anbruch der Tonfilm-Ära in Vergessenheit gerät. Sie lebt in einer der prachtvoll-kitschigen Villen auf dem Sunset-Boulevard und träumt von einer neuen Karriere. Cornelia Drese zeigt sie in all ihrer Exaltiertheit, in ihrer Verwundung und in ihrer Weltvergessenheit, ohne auch nur einen Moment über die Stränge zu schlagen. Selbst, als sie am Ende geistig völlig verwirrt ihren letzten Auftritt feiert, bleibt sie glaubwürdig. Stimmlich meistert sie die anspruchsvolle Rolle mit Bravour. Oliver Arno tritt als Erzähler auf. Er ist auch Joe Gillis, erfolgloser Drehbuchautor, der auf der Flucht vor seinen Gläubigern in die Villa kommt und dort von Desmond vereinnahmt wird, um ihr Drehbuch zu überarbeiten. Arno ist eine Idealbesetzung, weil er wie Drese nicht als Musical-Sänger antritt, sondern seine Rolle psychologisch fein zeichnet. Die beiden lassen sich Zeit, ihre Rollen schon fast ins Opernhafte auszuschöpfen. Auch Julia Lissel, die die Produktionsassistentin Betty Schaefer spielt, mit der Gillis in Liebe verfällt, gleicht sich dem hohen Niveau an. Mit ihrem schönen Mezzo gerät das Liebesduett mit Arno vorbei am Kitsch ergreifend. Die älteren Herren des Ensembles zeigen auch gleich noch, dass eine überzeugende Darstellung keine Frage des Alters ist. Grandios Hardy Rudolz als Butler Max, der sich später als Normas erster Ehemann und ihr Regisseur entpuppt. Selbst für den, der den Inhalt des Musicals kennt, ist sein Song ein großer Moment, in dem er seine „wahre Identität“ enthüllt. Auch in den Nebenrollen gibt es keine Ausfälle, so dass ein wahres Gesamtkunstwerk entsteht.

Sängerinnen und Sänger haben es vergleichsweise einfach, sauber über die Musik zu intonieren, ist der Bühnenton doch recht laut gestellt, so dass ausnahmsweise stellenweise die Musik im Graben in den Hintergrund gerät. Das erlebt man auch nicht so oft. Trotzdem präsentiert Heiko Lippmann einen wunderbaren Musical-Live-Sound. Vor seinem Pult sitzt dabei das Orchester, das aus Musikern des Sinfonieorchesters des Nationalen Akademischen Bolschoi Opern- und Ballett-Theaters der Republik Belarus besteht.

Es ist ein erhabener Moment, wenn sich das Publikum des vollbesetzten großen Saals im Forum Leverkusen zu stehenden Ovationen erhebt, vor Begeisterung johlt und Bravo ruft. Und das genießt das Ensemble, sichtlich und wohlverdient. Eine seltsame oder zumindest seltene Konstellation entsteht, als das Orchester zum Ausmarsch des Publikums eine Zugabe gibt. Aber es hat was.

Wohl jeder amerikanische Komponist träumt bis heute von der großen amerikanischen Volksoper. Aber keiner ist dieser Fantasie so nahe gekommen wie Andrew Lloyd-Webber mit Sunset Boulevard. Und Mehmert hat das mit seinem Stück über das Älterwerden sichtbar gemacht. Chapeau.

Michael S. Zerban







Fotos: Bernd Böhner