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Fakten zur Aufführung 

RINALDO
(Georg Friedrich Händel)
20. Dezember 2014
(Premiere)

Erholungshaus, Leverkusen


Points of Honor                      

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Barockjuwel an Marionettenfäden

Üblicherweise pflegt auch der enthusiastischste Beifall irgendwann abzuflauen. Das ist im Erholungshaus ebenfalls der Fall, nachdem das Publikum die Akteure der Aufführung einige Minuten vehement gefeiert hat. Dann aber geht es doch noch einmal in die andere Richtung. Der Applaus avanciert zum Orkan. Des Rätsels Lösung: Der obere Vorhang über dem Puppentheater fällt und gibt den Blick auf die acht Puppenspieler frei, die die Marionetten unter sich agieren lassen. Barockoper, dieses Sprachbild muss sein, am seidenen Faden, vernetzt mit einer Kunstform, die die Mailänder Marionetten-Compagnie Colla über zwei Jahrhunderte zu einer Höchst- und wohl auch eigenständigen Form entwickelt hat. Die Begegnung zweier Welten, der des Musik- und der des Marionettentheaters, beschert Leverkusen einen vorweihnachtlichen Glanz, der jeden Superlativ verdient. Einfach zauberhaft und ein eigenes Opernmärchen wie beim Debüt der Produktion vor drei Jahren im Goethe-Theater Bad Lauchstädt.

Der Rinaldo der Compagnia Carlo Colla e Figli und der Berliner Lautten Compagney um ihren Gründer und musikalischen Leiter Wolfgang Katschner, eine Gemeinschaftsproduktion der Händel-Festspiele Halle, des Theater Winterthur und der Associazione Grupporiani Milano, verblüfft zunächst durch den ungewöhnlichen Bühnenaufbau. Im Zentrum das durch Vorhänge optisch verkleinerte Puppentheater. Es wird von Marionetten im Outfit der Christen und Sarazenen bespielt, die sich in der Kreuzrittersaga um die Belagerung von Jerusalem bekriegen, wobei es nicht nur um die Einnahme der Stadt, sondern auch um die der schönen Almirena geht. Je nach Geschehen wechseln die historisierend ausgemalten Bühnenbilder, die mal eine antike Festung, mal eine archaische Landschaft beschreiben. Links und rechts vom Marionettentheater abgesetzt, agieren die sechs Solisten, schön nach Guten und Bösen, je nach Lesart, Angreifern und Verteidigern, positioniert. In der Mitte wiederum, im klassischen Bühnengraben, arbeiten sich die 22 Musiker der Lautten Compagney mit hörbarer Inbrunst an Händels Partitur von 1711 für das Londoner Queen’s Theatre ab. Sie ist sein erster Auftrag damals im Zentrum der Macht des englischen Musiktheaters gewesen.

Schon bei der dreistufig aufgebauten Ouverture steigt die Ahnung von der unbeschreiblichen Sogwirkung, die Puppen auf die Empfindung von Menschen haben können. Die Marionetten, Goffredo und seine Mitstreiter, ziehen ein und das Publikum augenblicklich in ihren Bann. In der Kulisse sind Andeutungen von Jerusalem zu sehen. Ja, dämmert es dem einen oder anderen im Saal, sie, die Puppen, bewegen sich. Und wie sie das können, stellen sie von der ersten Aria des Generals der christlichen Armee Sovra balze scoscesi bis zum Finalchor aller Solisten Vinto è sol della virtu exzellent unter Beweis. Die Holzfiguren, jede ein Kleinod einer subtilen Handwerkskunst, imaginieren die Arien, Duette und Rezitative so lippensynchron mit, als wären sie selbst die Urheber des vokalen Goldes, das Händel seinen Sängern vor über drei Jahrhunderten in die Partitur geschrieben hat. So professionell das Zusammenspiel zwischen Gesang und Spiel, so beeindruckend, wozu die Marionettenbühne noch so imstande ist. Zum Showdown von Sarazenen gegen Kreuzritter besiedeln Krieger der Janitscharen und Schlachtrösser unter prächtigen Wappendecken die Szenerie. Die fürchterliche Zauberin Armida ist auf Drachenflügeln unterwegs. Sie vermag gar Meerjungfrauen aufzubieten, die Rinaldo in einen Hinterhalt locken wie weiland die Sirenen Odysseus.

Das junge Sängerensemble besticht durch eine emphatische, intensive und motivierte Performance, die die musikalische Dimension und den Witz dieser Inszenierung mehr als unterstreicht. Das liegt nicht zuletzt an dem generösen Aufgebot an Countertenören. Es beginnt mit dem glänzend aufgelegten Antonio Giovannini in der Titelpartie, dessen prachtvolle Höhe und virtuose Ausdruckskraft faszinieren. Mit schönem Timbre und geschmeidiger Stimme ist ihm Yosemeh Adjei als Goffredo ebenbürtig. Georg A. Bochow schließlich gestaltet die Rolle des Eustacio mit vokaler Würde. Ist er doch der antike Spindoctor, der einen Weg weiß, der Zauberin Armida das Handwerk zu legen und ein Happy End zu ermöglichen. Gesche Geier bringt für diese Rolle einen dramatischen Sopran mit, der sich in der Höhe zu großer Form aufschwingt, in der Mittellage indes mit sich selbst nicht im Reinen scheint. Marie-Sophie Pollak gibt ihren Sopran-Part der Almirena mit Schmelz und Können. Man kann schon rein gesanglich nachvollziehen, warum Rinaldo alles darauf setzt, sich mit ihr zu verbinden. Florian Götz ist als Argante ein Trumpf dieser Besetzung. Sein Bariton hat Format und Kraft, jedenfalls so viel davon, dass er auch noch die kleinere Rolle des Magiers Mago übernimmt.

Und die Musik? Das Feinste vom Feinsten, das Londons elitäres Publikum damals von diesem deutschen Newcomer mit aktuellen Eindrücken aus Italien hören wollte? Sie wird mitnichten in eine sekundäre Rolle gedrängt. Die Lautten Compagney versammelt exquisite Spezialisten ihres Fachs. Ihre Klasse manifestiert sich im Detail – so bei Martin Rippers grandiosem Spiel auf der Blockflöte – wie in der Summe, insbesondere beim versöhnlichen Finale, wenn Karel Mnuk und Ute Hartwich die Barock-Trompeten schmettern lassen. Katschner, mit demselben Stück gerade auch an der Oper Bonn präsent, ist ein eminent erfahrener Dirigent, der exakt weiß, wann er forcieren und wann er auf Zurückhaltung setzen muss. Obendrein bleibt ihm noch Raum für ein spielerisches Element im Intermezzo, das sich zu einem Ping-Pong-Glanzstück der Percussion steigert.

Das Publikum im Kulturhaus, wie gesagt, ist begeistert. Manche fragen sich beim Hinausgehen hörbar, was denn da genau zu sehen gewesen sei. Das könnte übrigens auch unter Opernexperten der Fall sein. Ist nicht ein so imposantes Musik- als Marionettentheater in Zeiten von Budgetkürzungen auch ökonomisch eine reizvolle Alternative für manches Opernhaus? Mit signifikant weniger Proben und künstlerischem Personal? Carlo Colla e Figli hat jedenfalls in den letzten Jahren sein Repertoire erweitert. Selbst Mozarts Werk hängt da inzwischen an den Fäden, die hier die Welt bedeuten.

Ralf Siepmann

Fotos: Ida Zenna