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Fakten zur Aufführung 

RICCARDO PRIMO
(Georg Friedrich Händel)
12. April 2015
(Premiere)

Erholungshaus, Leverkusen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Dekorativer Glanz, halbmatt

Auf ihrer kleinen Deutschland-Tournee macht die Lautten Compagney Berlin unter ihrem musikalischen Leiter Wolfgang Katschner mit Riccardo Primo, einer Produktion der Händel-Festspiele Halle, Station im Erholungshaus Leverkusen. Zum Glück, wie sich nach den knapp drei Stunden Aufführungszeit herausstellt. Doch die neuerliche Initiative der Veranstalter, herausragende Stücke der aktuellen Barockopernszene nach Leverkusen zu holen, wird diesmal so recht nicht honoriert. Nicht einmal zur Hälfte ist der Saal belegt, aus welchen Gründen auch immer. Die, die dabei waren, haben das heroisch-patriotische Spiel von der Rivalität zwischen Riccardo I., dem englischen König Richard Löwenherz, und seinem Kontrahenten Isacio, dem Herrscher von Zypern, ganz sicher genossen. Das verrät der zum Schluss große, phasenweise jubelnde Beifall, mit dem das Publikum alle Akteure bedenkt. Mögen den Ferngebliebenen ihr Bereuen, so es sie ergreift, noch lange erhalten bleiben!

Bei den Managern von Musiktheatern und Festspielen ist das im November 1727 am Londoner Haymarket Theatre uraufgeführte Stück in letzter Zeit recht beliebt. Der im Rückblick wohl letzte Superlativ in der Glanzzeit des Opernunternehmers Händel vereint all die Elemente, die eine vitale Barockoper ausmachen. Wilde und wonnige Erlebnisse von Kreuzfahrern auf dem Weg nach Jerusalem, die bei schlechter See mit ihrer Flotte auf einer passend gelegenen Insel notlanden, hier eben Zypern. Eine Story voll packender kriegerischer und amouröser Konflikte, die einen Komponisten von der Qualität Händels alle Register ziehen lassen. Eine große Variationsbreite bei der Besetzung der auch nicht übermäßigen Zahl an Protagonisten, wobei die Entscheidung diesmal auf einen Mezzosopran in der Titelrolle und einen Sopran in der Rolle der Costanza, seiner Auserwählten, fällt. Allseits bekannt ist nicht zuletzt der Umstand, welch dekorativen Glanz ein gerade einmal zwei Dutzend Musikerinnen und Musiker umfassendes Orchester mit hoher Affinität zum Sujet wie die Lautten Compagney zu entfachen vermag. Ein ganz großes Kompliment diesem Spezialensemble einmal mehr für eine hochkonzentrierte und eindringliche Performance.

Stutzig ein bisschen macht zu Beginn das Bühnenbild der Ausstatterin Mechthild Feuerstein. Obgleich bescheiden in den Mitteln, entwickelt sie in episodischen Stationen über die drei Akte ein durchaus wirksames Szenario. In eine zu Beginn weiß gehaltene Trümmerlandschaft hat sie ein stattliches Doppelbett platziert, das sich nach und nach zum Kern eines Zuhauses vervollständigt, bei dem sich die liebenden Paare schlussendlich in die gemachte Version des Möbels legen dürfen. Es ist in der Inszenierung von Clara Kalus so etwas wie ein geschickt geworfener roter Faden, an dem sich dieses frühmittelalterliche Suchen und Finden der Liebe entspinnt. Ist das gelungen und das Trümmerbett damit zum Liebesnest mutiert, verschwindet vor dem Schlusschor La memoria dei tormenti alles gleich wieder unter einer schwarzen Zeltplane, ausgenommen Riccardos one and only Costanza, die einzige – nomen est omen – glaubhafte Kronzeugin der Beständigkeit. Alles also vergessen? Wie unter einem Mantel des Schweigens? Oder der Triumph der menschlichen Fähigkeit, die naturgegebene Destruktion zu überwinden und die Stufe menschlicher Kultur zu erreichen?

So diskutabel Bühnenbild und Regie, so irritierend die Kostüme der Feuerstein. Was da aufmarschiert, ist ein Mischmasch aus Allerweltskleidung, hier und da gespickt mit mehr oder weniger dezenten Anspielungen auf den Charakter der jeweiligen Rolle. So agiert die Pulcheria in einem pinkfarbenen Kostüm mit Hütchen, was sie über lange Passagen zur Ulknudel macht, die sie im Stück aber gar nicht ist. Berado bewegt sich in seinen starken Phasen wie eine Kopie des Künstlers Joseph Beuys durch die Szene. Und Isacios Outfits changieren zwischen einem Kickboxer und einem Let’s-dance-Teilnehmer. All das muss der Opernbesucher von heute sicherlich nicht ernster nehmen, als es eh nicht ist. Nur erschwert das äußere Tohuwabohu leider die Identifikation des auftretenden Personals. Von den Kostümen her gesehen, gibt es praktisch keine Unterscheidung zwischen Zyprioten und Engländern. Das wiederum macht die Sache noch um eine Drehung schwieriger, weil schon der Librettist Paolo Antonio Rolli sich einen Scherz mit dem Verbergen der wahren Identitäten erlaubt. Wäre es da nicht eine Orientierungshilfe, würde der Name der jeweils erstmals auftretenden Figur auf der in Leverkusen ohnehin sehr gut zu lesenden Anzeige der Untertitel genannt?

Musikalisch ist die Produktion made in Halle im Großen und Ganzen exquisit, trotz der unverkennbaren Qualitätsschwankungen in der Sängerriege, die wiederum wesentliche Abweichungen von der Premierenbesetzung aufweist. Sind es bei Riccardo Primo die Männer, die sich mehr oder weniger entschlossen den Hindernissen auf der Spur zur ersehnten Vereinigung mit den Liebsten stellen und sich dabei manchmal höchst ungeschickt anstellen, so sind es an diesem Abend primär die Sängerinnen, die die beste Figur machen. Zuerst und zuvörderst zu nennen sind so Julia Böhme als Riccardo und Marilou Jacquard als Costanza. Die noch sehr junge Böhme, dem Musikland Sachsen entstammend, verfügt über einen schon sehr ausgeprägten, technisch ausgereiften Mezzosopran, der mühelos alle Anforderungen bewältigt und auch in den Koloraturen überzeugt. Die französische Sopranistin bezaubert nicht nur durch ihre helle flexible und ausdrucksstarke Stimme. Sie vermag auch wunderbar zu spielen, kokett, introvertiert, versonnen, halt so, wie es den verwegenen Rittern der damaligen Zeit wohl am liebsten gewesen sein dürfte. Das überirdisch schöne Liebesduett T’amo si – das einzige notabene in der ganzen Oper – gestalten sie grandios. Dieses knapp zehn Minuten dauernde Manifest der seelischen Vereinigung von Riccardo und Costanza ist so hinreißend, so über jeden Zenit hinausweisend, dass sich dem gebannt Zuhörenden Bilder des Phantasierausches geradezu aufdrängen müssen. Wie sähe es wohl aus, dieses Schloss der Hingabe, würde es ein Barockarchitekt von der Art Sempers oder Schlauns aus der Partitur heraus errichten?

Im weiteren jungen Ensemble ist der Abend manche Entdeckung wert. Die Mezzosopranistin Polina Artsis als Pulcheria macht mehr aus ihrem Part, als ihr die Regie zuzustehen bereit scheint. Der Altus Georg A. Bochow ist als Oronte eine rundum positive Erscheinung. Seine Arie mit obligater und hier prachtvoller Hornbegleitung, quasi schon Belcanto, zelebriert er mit großem Können und einnehmender Mimik. Hingegen bleibt Ludwig Obst in der Rolle des Isacio trotz allen erkennbaren Engagements merkwürdig konturenlos. Womöglich geht ein Großteil der Energie, die die Rolle verlangt, in das Spiel und weniger in den vokalen Part. Cornelius Uhle hat als Berardo starke Momente, sofern er nicht wie im zweiten Akt unter dem Bett des Lasters völlig verschwunden ist. Katschner hält das Ganze, das lange Spiel und die kurzen Stimmungswechsel, mit Inspiration und unendlicher Affinität zum Detail zusammen. Da ist ein Barockspezialist par excellence am Werk. Und wie sehr er das ist, beweist der Meister, gelernter Lautenist, bei der großen, von der Flöte umspielten Arie der Costanza Il volo cosi fido, mit wunderbar begleitender Laute vom Dirigentenpult aus. Ein starker Moment an einem insgesamt starken Abend, nicht nur für Händel-Afficionados.

Erfreulicherweise hat das Erholungshaus, wie gesagt, in letzter Zeit mit dem Import von attraktiven Barock-Opern von sich reden gemacht. Zu begrüßen und auch angemessen wäre es wohl, würde es auch beim Service zulegen. Würde man nicht dankbar reagieren, wenn auf der Website die aktuelle Besetzung ausgewiesen wäre und nicht die der Festspielaufführung in Halle? Wenn man als Anreisender erfahren könnte, wie viele Pausen geplant sind und für wann in etwa das Ende? Wäre der Opernfan nicht froh, müsste er nicht selbst herausfinden, ob es sich – pars pro toto - bei Ludwig Obst um einen Bass laut Besetzungszettel oder einen Bariton handelt, wie in der gedruckten Künstlerbiographie zu erfahren? Und wäre nicht dem – nochmals – zeitlich knapp von außen Anreisenden ein vielleicht roter Ballon über dem Parkplatz am Haus ein willkommenes Zeichen, wenn selbiger voll ist? So dass er sich dann nicht in die Schlange der Fahrzeuge einzureihen mühte, deren Fahrer nach und nach erfahren, dass es für sie kein Glück jenseits der Schranke mehr gibt? Mehr Service bitte, Wünsche ganz klar. Aber sind nicht Wünsche die Stärke derer, die die Oper lieben, seit Händels Zeiten und überhaupt?

Ralf Siepmann

Fotos: Oliver Fantitsch