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Fakten zur Aufführung 

IF AT ALL
(Rami Be'er)
19. März 2015
(Einmalige Gastspiel im Rahmen der
Jüdischen Kulturtage)

Forum Leverkusen


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Wenn überhaupt

Dass man im Leverkusener Forum die Spitzen-Compagnien des zeitgenössischen Tanzes erleben kann, die in den benachbarten Großstädten nicht zu sehen sind, ist längst kein Geheimnis mehr. Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage allerdings hat Claudia Scherb eine Compagnie eingeladen, die schlichtweg atemberaubend ist. 1973 wurde die Kibbutz Contemporary Dance Company von Yehudit Arnon im nordisraelischen Kibbutz Ga’aton gegründet. 1996 übernahm Rami Be’er die künstlerische Leitung und führte die Compagnie an die Weltspitze. Sein Werk umfasst inzwischen mehr als 50 Choreografien. Parallel dazu baute er in Ga’aton das Dance Village auf, das sich um Nachwuchstänzer aus aller Welt und Kinder kümmert. Mit seinem Werk If at all – Wenn überhaupt – sind Be’er und seine Tänzer derzeit auf Deutschland-Tournee.

Der Choreograf betont, dass er mit seinem Stück keine Geschichte erzählen wolle. Dafür sind die Episoden umso eindrucksvoller, die die 15 Tänzerinnen und Tänzer auf die leere Bühne bringen. In einer Nische, die in der schwarzen Rückwand eingelassen ist, hängt eine Kugellampe, die Vollmond symbolisiert und gelblich-warmes Licht ausstrahlt. Ergänzend schafft Lior Cohen durchgängig stimmungsvolle Momente durch Aufhellungen. Ebenso eindrucksvoll sind die Kostüme von Ofra Sharon Heimann. Im ersten Teil tragen die Damen kurze, schwarze Hosen zu anthrazitfarbenen Blusen, während die Herren Röcke zu entblößtem Oberkörper schwingen. Später wird es hautfarben mit geblümten Mustern. Aber zu diesem Zeitpunkt hat für die Bekleidung längst niemand mehr ein Auge.

In gut 60 Minuten entfesselt Be’er einen Rausch auf der Bühne. Aus laufenden Kreisen entspringen die Soli, um sich anschließend wieder im Kreis aufzulösen. Vor allem im ersten Teil tauchen verschiedene Leitmotive auf: Die Solistin, die man als „Gottesanbeterin“ interpretieren könnte, Männer, die rotierende Maschinen nachahmen, Solisten, deren Schrittfolgen an die brasilianische Capoeira erinnern. Be’ers Bewegungssprache reicht von archaischen zu martialischen Mustern, vor allem, wenn es um Beziehungsszenen oder Befreiungsversuche geht. Bei aller Fantasie und Kontrastierung lebt der Reiz der Choreografie zu einem großen Teil von der technischen Perfektion. Während andere Compagnien zu glauben scheinen, synchroner Tanz sei unmodern, begeistern Be’ers Tänzerinnen und Tänzer mit der Gleichheit der Bewegungen, egal, ob in den Pas de deux oder den Corps-Auftritten. Jeder Schritt, jeder Griff, jede Bewegung sitzt, als hätten die Akteure niemals anderes getan.

Der zeitgenössische Klangteppich, der über die Lautsprecher dröhnt, kommt „vom Band“. Da gibt es beziehungsreiche Titel wie You know what you are, Erla’s Waltz, Elevation oder Erupting Light, die von Komponisten wie Hildur Gudnadóttir, Marga Richter oder Ludovico Einaudi stammen. Stücke, die zwischen hämmernden Rhythmen, Klangwelten, die an Straßenkriegsszenen erinnern, und poetischen, stillen Momenten wechseln, untermalen ein Tanzereignis, das man so nur selten erlebt.

Im Saal herrscht nahezu eine Stunde lang angespannte Stille. Die Damen vom Kegelclub vergessen ihre Kommentare, der Fraktion der Dauerhuster hat es schier den Atem verschlagen. Und das, obwohl kein Platz mehr frei geblieben ist an diesem Abend. Selbst Ran Yakooby, Kulturattaché des Staates Israel mit Sitz in Berlin, hat seinen Aufenthalt im Rheinland verlängert, um sich den Auftritt nicht entgehen zu lassen – und ist so begeistert wie das übrige Publikum, das sich in seltener Geschlossenheit von den Plätzen erhebt. Wenn überhaupt, dieser Kalauer sei gestattet, zeitgenössischer Tanz gefallen kann, dann bitte schön in solchen Dimensionen.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Uri Nevo