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Fakten zur Aufführung 

IMPLODED
(Tanja Liedtke)
WALKING SHADOW
(Cathy Marston)
[4:(FREEZE-FRAME)]
(Rafael Bonachela)
SPITFIRE
(Matthew Bourne)
25. November 2014
(Gastspiel)

Forum Leverkusen


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Vergnüglich in die Nacht

Heute Abend ist David Hughes Dance Scotland im Leverkusener Forum zu Gast. Gleich vier Stücke stehen auf dem knapp zweistündigen Programm. Stücke, die eine sehr eigene Sprache sprechen, aber doch grundsätzliche Fragen heraufbeschwören. Was eigentlich bringt uns der so genannte Zeitgenössische Tanz? Die höchst kunstvollen Fähigkeiten des Balletts sind über Bord geworfen. Gewiss, manches, wie später zu sehen sein wird, war manieriert, aber ist es deshalb der Spitzentanz als Kunstfertigkeit auch? Der Ausdruckstanz, von Mary Wigman propagiert, gilt längst als überholt – einverstanden, das konnte jeder Hippie in den 1970-ern unter LSD vermutlich sowieso besser. Eine Pina Bausch hinterlegte eine andere Philosophie, den Tanz als Technik brachte das auch nicht weiter. Inzwischen gilt es als „unmodern“, zur Musik zu tanzen, Takt ist etwas für Anfänger in Tanzschulen, Rhythmus verpönt bei den jungen Choreografen. Und wenn dann synchron getanzt werden soll, darf um alles in der Welt das Geschehen auf der Bühne nicht synchron erfolgen. Über Erotik redet sowieso schon lange keiner mehr. Weil wir aber alle modern und fortschrittlich sind und schon lange nicht mehr mit der Zeit gehen, sondern permanent versuchen, sie zu überholen, finden wir das großartig. Was uns die Choreografen unserer Zeit schuldig bleiben, sind die Antworten. Was gibt es stattdessen, das so viel besser ist, dass eine ganze Vergangenheit falsch und überflüssig war? Dass wir das alle nicht mehr sehen wollen – die Besucherzahlen bei Aufführungen des klassischen Handlungsballetts sprechen da übrigens ganz andere Bände. Ist taktloses, unrhythmisches Gehampel im Halbdunkel wirklich der bessere Kunstgenuss? Der neueste Trend im Zeitgenössischen Tanz, man höre und staune, ist, dass Choreografen beginnen, sich mit Musik auseinanderzusetzen. Tanz, der zur Musik passt? Eine interessante Perspektive.

Bei diesem Trend ist David Hughes noch nicht so ganz angekommen. Und dabei geht es gut los. Imploded hat die jung verstorbene Tanja Liedtke für Hughes als Hommage an Les Sylphides von Michel Fokine choreografiert. Ein eher naturalistisches, nicht-narratives Werk. Die Bühne ist bis auf zwei Standscheinwerfer leer, die Kostüme sind skurril – vielleicht am ehesten eine zusätzliche Hommage an australische Freizeitkleidung – und die Handarbeit im ansonsten eher zurückhaltenden Tanz ist faszinierend. Das Lichtdesign von Simon Gane ist glanzlos, trübe und wenig erhellend. Schade für das Werk. Dabei kann man Bühnenbeleuchtung erlernen. Was viele Designer noch nicht erkannt haben: Eine Bühne auszuleuchten, ist in erster Linie Handwerk, nicht so sehr Gegenstand philosophischer Überlegungen. Das hat Gane beim zweiten Stück des Abends, Walking Shadows, sicher niemand gesagt. Nur so ist zu erklären, dass die Bühne in einer Dämmerung ertrinkt, die selbst hartgesottene Besucher kaum ertragen. Zeitgenössischer Lärm vom Kronos-Quartett fügt das seinige dazu. Und so verliert sich die Choreografie von Cathy Marston, die sich eigentlich tiefgründig mit der Macbeth-Tragödie auseinandersetzen will, in tiefer Betäubung von Augen und Ohren. Nach der Pause haben sich die Reihen im Saal deutlich gelichtet.

Auch bei [4:(Freeze-Frame)] von Rafael Bonachela gibt es nur vorübergehend Besserung. Zum maschinenhämmernden Rhythmus aus den Lautsprechern treten Tänzerinnen und Tänzer im schwarzen Röckchen auf. Um alsbald wieder im blauen Schimmern zu verschwimmen. Auch hier werden die Leistungen der Tänzer vom Publikum goutiert. Martin Lindinger, Thomas J. Baylis, Anwar Russel, Alan Lambie, aber auch Kirsty Pollock, Gwendolyne Berwick und Lucy Ireland zeigen kraftvollen, teils athletischen Tanz, der durchweg gefällt, sofern er denn sichtbar ist. Mit Spitfire, dem kürzesten Stück, ändert sich alles schlagartig. Andrew Murrell lässt Licht fluten. Die Tänzer treten in Unterwäsche auf, um Matthew Bournes faszinierende Choreografie in Szene zu setzen. Eine Persiflage, was sonst, auf die Danseurs nobles, die Partner der Primaballerinen, die eine Modenschau in Szene setzen. Grandios, was Lindinger, Baylis, Russell und Lambie da auf die Bühne bringen. Für diese zehn Minuten tänzerischer Akrobatik, Vielfalt, Eleganz – und, ja auch tänzerischer Manieriertheit, die einfach nur köstlich ist – hat sich, so die Meinung des Publikums, der ganze Abend gelohnt.

Bravo-Rufe und Applaus dauern über einen Vorhang hinaus. Die Frage, auf die es bislang ebenfalls keine überzeugende Antwort gibt: Wollen wir das, was dem Publikum gefällt, oder wollen wir Kunst? Oder geht doch beides?

Michael S. Zerban