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Fakten zur Aufführung 

CARMEN À TROIS
(Rhodri Britton)
18. Dezember 2014
(Einmaliges Gastspiel)

Forum Leverkusen


Points of Honor                      

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Gesang

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Nach der Aufführung


Theaterspiel ist Schwerstarbeit. Nach einer mehr als zweistündigen Aufführung ist Sabine Fischmann, Michael Quast und Rhodri Britton die Erschöpfung anzusehen. Trotzdem nehmen sich die Künstler die Zeit, über ihre Arbeit zu reden: Eine Erfolgsgeschichte, die Schule machen könnte (7'28).


 

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Skelettierte Oper

Seit zehn Jahren gibt Michael Quast Gastspiele im Leverkusener Forum und hat sich mittlerweile eine eigene Fan-Gemeinde aufgebaut. Reichte in den ersten Jahren noch die Studiobühne, spielt er inzwischen längst auf der Vorbühne des großen Saals und versammelt dort um die 300 bis 400 Zuschauer. In diesem Jahr tritt er mit einer Carmen à trois an. Eine echte Oper mit drei Personen auf der Bühne? Ja, das geht. Wenn man dieses Unterfangen hochprofessionell und höchst fantasievoll mit viel Humor angeht. Quast nennt das Kleinkunst für die große Bühne. Der „Trick“: Die Bilder der Handlung entstehen im Kopf des Betrachters, wenn die Beschreibung auf der Bühne nur eindringlich genug ist. Und das gelingt Quast und seinen Mitstreitern. Um allerdings all die Feinheiten dieser Aufführung zu verstehen und so erst recht seinen Spaß zu haben, ist es hilfreich, die Oper zu kennen.

Rhodri Britton, der in Leverkusen selbst am Klavier sitzt, hat die Orchesterfassung auf einen Klavierauszug herunter gebrochen und um einige Zusatzinstrumente wie Trommel, Triangel, Castagnetten oder Flöten erweitert, die von den Sängern bedient werden. Verwendet wird die ursprüngliche Fassung Bizets als Opéra comique mit gesprochenen Dialogen. So entsteht über weite Strecken tatsächlich so etwas wie ein Hörspielcharakter. Die Sänger übernehmen dabei verschiedene Rollen, unterschiedliche Dialekte inklusive. Die Bühne ist mit Flügel, Zusatzinstrumenten und zwei Stühlen schnell hergestellt.

Während Britton im Frack am Flügel Platz nimmt, erscheinen zwei Personen, bieder genug gekleidet, um als Sachbearbeiter beim Arbeitsamt durchzugehen. Er, hochgewachsen mit lichter Frisur, in einer Mischung aus grau und beige, mit Pollunder und farblich gedeckter Fliege. Wie sich später zeigen wird, komplettieren karierte Strümpfe das Bild. Sie im schwarzen Body, über dem sie einen unscheinbaren khakifarbenen Rock und eine roséfarbene Bluse trägt, die ständig herunter gezogen werden muss. Eine schwarzgerandete Brille und die Hochsteckfrisur vervollständigen den Gesamteindruck der kleinen, grauen Büromaus, die über die Kenntnisse des Fotokopiergeräts und die richtige Verwendung von sechs verschiedenen Stempeln nicht hinaus gekommen ist, unter denen der „Erledigt“-Stempel selbstverständlich fehlt.

Bei der „grauen Maus“ handelt es sich um Sabine Fischmann. Und, man kann es nicht anders sagen, sie rockt die Bühne. Mit Grimassen, Schmollmund und rollenden Augen, mit der Tenor-Arie des José, mit Step-Einlagen und Melodica-Spiel im Piano oder großer Tanzaktion zeigt Fischmann eine unglaubliche Bühnenpräsenz und Vielfalt, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde in Albernheiten abzurutschen. Weniger exponiert verwendet sich der angehende Bürovorsteher Quast, der stattdessen nicht nur Moderation, sondern auch die verschiedensten Stimmlagen, Castagnetten, Trommel, Triangel, Schellentrommel und Flöten übernimmt. Beim Step-Tanz ist er allerdings ebenso dabei wie in der Todesstunde Carmens – reichlich hilflos, wie nicht anders zu erwarten. Der Einzug der Meta-Ebene, der von der ersten Sekunde an klar macht, dass beide Dringlichkeitsfälle für den Therapeuten sind, verschafft dem Geschehen zusätzlichen Reiz, weil das köstlich überzeugend gespielt ist.

Was den dreien auf der Bühne gelingt, ist, der Oper keine Parodie abzutrotzen und dennoch für viel Humor zu sorgen. Ein Konzept, das man so noch nicht gesehen hat. Das Publikum ist begeistert. Glücklicherweise sind keine Opernpuristen dabei. Opernkenner allerdings sind hier herzlich willkommen. Und so mancher an diesem Abend genießt, endlich die Handlung der Oper verstanden zu haben. Der Sitznachbar, vermutlich über 70 Jahre alt, versichert, von nun an keine Quast-Aufführung mehr versäumen zu wollen, und die beiden jungen Männer versprechen sich beim Verlassen des Forums gegenseitig: „Hier sind wir nicht das letzte Mal gewesen.“

Die vielfach unangebrachten Sparkurse von Opernhäusern sorgen nicht nur für eine Verarmung des kulturellen Angebots, sondern setzen auch eine Menge begnadeter Künstler frei. Wenn die sich auf dem Markt mit solch intelligenten Aufführungen behaupten, werden sie der institutionalisierten Kultur erheblich zusetzen. Wohin das letztlich führt, muss man sehen.

Michael S. Zerban

Fotos: Wolfgang Runkel