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Fakten zur Aufführung 

PAVEMENT
(Abraham in Motion)
28. August 2014
(Gastspiel im Rahmen der Tanzmesse NRW)

Forum Leverkusen


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Hände hoch - nicht schießen!

Die Wogen der Unruhen in Ferguson, im US-Bundesstaat Missouri, sind noch nicht geglättet: Unlängst kann man den Nachrichten entnehmen, dass zur Befriedung des Rassenkonflikts nun ein schwarzer ehemaliger Polizeibeamter für die innere Sicherheit im Bundesstaat eingesetzt wurde – erstmalig ein Schwarzer in dieser Position. Eigentlich sollte der Nachrichtenwert dieser Personalia sich nicht an der Hautfarbe bemessen lassen, sondern nach der Eignung des Bewerbers für diese Position und seiner Befähigung, Versäumnisse der Vorgänger aufzuarbeiten. Nach dem gewaltsamen Tod eines schwarzen Jugendlichen durch die Waffe eines weißen Polizisten in Ferguson ist der alte Konflikt von Schwarz und Weiß wieder aufgekocht, und es ist keine Lösung in Sicht.

Ein alter kultureller Konflikt, mit dem der aus Pittsburgh, USA, stammende, schwarze Choreograph Kyle Abraham vertraut ist. Kyle wird zurzeit in den USA gefeiert. Preise, Ehrungen und Einladungen fliegen ihm nur so zu. Er ist mit seiner Company zu Gast bei der dieser Tage stattfindenden Tanzmesse NRW. Austragungsort der Messe ist unter anderem das Leverkusener Forum: Der grau-eckige Zweckbau der Chemiestadt wird überflutet mit fetten Beats und coolen Grooves aus den Lautsprecherboxen. Eine seltsam gemütliche Atmosphäre kommt auf, weil nur so wenige Anwesende sich vom Rhythmus gefangen nehmen lassen und heimlich auf den Oberschenkeln mitklatschen. Doch plötzlich strömen die Heerscharen der Fachbesucher der Tanzmesse NRW in den Zuschauerraum und füllen diese Lücke. Busseweise werden sie von Düsseldorf nach Leverkusen gekarrt, um das Forum als teilnehmenden Gastgeber zu erreichen. Das Weltbild ist wieder hergestellt und die Vorstellung setzt im fließenden Übergang ein, das Saallicht wird unmerklich weggedimmt.

Inspiriert vom amerikanischen Ghetto-Saga-Streifen Boyz n the hood von 1991 hat der Choreograph seine Company in Pavement auf ein Basketballfeld samt Korb positioniert. Die Pressspanplatte des Korbes dient als Videoprojektionsfläche. Man sieht schwarz-weiße Aufnahmen von amerikanischen Häuserfassaden, später explodiert auch mal was. Das Spielfeld ist mit neon-orangefarbenen Streifen abgezirkelt. Die sechs Tänzer sowie Abraham selbst tragen bequeme Stoffhosen, Achselshirts und Flanellhemden. Die Tänzerin Rena Butler trägt ein orangefarbenes, ärmelloses Fludderhemd mit der Aufschrift Guard. Dass einem ihrer Tänzerkollegen, dem niedergestreckt – mit auf dem Rücken verschränkten Armen – die schicken schwarzen Turnschuhe geklaut werden, verhindert sie aber nicht. Stattdessen folgt ein Wechsel verschiedener Konstellationen der Tänzer auf der Bühne. Ihre Bewegungen vereinen klassische Formensprache – gestreckte Füße, Passé- und Attitude-Drehungen – mit schnellen, rhythmischen Bewegungen der Arme, Beine, Hüften und des Gluteus, wie sie die Straßentänze des Hip Hop vereinen. Den Wechsel des Körpermittelpunktes von niedrig zu hoch beherrschen sie in einem rasenden Tempo. Sie tanzen zu Klängen des Hip Hop und zu klassischer Musik, sie sprechen, schreien um Hilfe und werden immer wieder bombardiert mit Sirenengeheul und Maschinengewehrsalven. Sam Crawford zeichnet für die Geräuschkulisse verantwortlich. Immer wieder erheben die Tänzer ihre Hände in die Luft, eine Geste, wie sie zum Protestsymbol in Ferguson wurde. Immer wieder liegen sie flach auf dem Boden und kreuzen ihre Hände auf dem Rücken, ergeben sich ihres Schicksals der unterdrückten Rasse. Irgendwann bleibt einer liegen, Sirenengeheul und Schussgeräusche steigern sich zu Schreien der Verzweiflung und Stimmen weinender Menschen; alles kulminiert in einem Auszug aus Vivaldis Stabat Mater. Spätestens an diesem Punkt ist das amerikanische Spiel mit den Klischees leider überschritten. Trotz der wunderbaren Tänzer, der klaren Erzählstruktur: Pavement bleibt gefangen in der Aufzählung von bereits bekanntem und schafft es nicht, der alten Debatte etwas Neues hinzuzufügen.

Die charmante Verbeugungszeremonie der Company mit kleinen Tanzeinlagen kommt sehr sympathisch rüber. Ein weiteres Stück der Company zu sehen, wäre schön gewesen, vielleicht ist eine Choreographie zu einer weniger aufgeheizten Debatte spannender anzusehen. Doch das Publikum ist schon von seinen Sitzen gesprungen, um zu den Bussen zu strömen – in Düsseldorf warten an diesem Abend die nächsten Tanzkompanien darauf, die Aufmerksamkeit des Fachpublikums zu erhalten.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Steven & Carrie Schreiber