Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

INKED
(Damien Jalet)
MURMUR
(Aakash Odreda, Lewis Major)
29. August 2014
(Gastspiel im Rahmen der Tanzmesse NRW)

Forum Leverkusen


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Was morgen wird

Zum ersten Mal ist das Forum Leverkusen in diesem Jahr Kooperationspartner der in dieser Woche stattfindenden Tanzmesse NRW. Gleich zwei Produktionen gibt es auf der Bühne im Leverkusener Saal zu sehen. Abraham in Motion machte am Vorabend den Anfang, jetzt präsentiert die Aakash Odedra Company ihr Können. Es ist den Organisatoren der Tanzmesse unter ihrem neuen Leiter Felix Wittek sicher hoch anzurechnen, dass sie für die Aufführungen der zahlreichen Produktionen möglichst viele Spielstätten nicht nur in Düsseldorf, sondern auch in der Umgebung einbeziehen. Neben der Zuweisung der Produktionen zu den Spielstätten darf man dann allerdings erwarten, dass sich die „Macher“ im Vorfeld auch um die Eignung der Bühnen sorgen. Sonst fügen sie Tänzern und Choreografen, Produktionen, aber auch den Spielstätten in der Außenwirkung Schaden zu. Reichlich schief gegangen ist das jetzt in Leverkusen.

Damien Jalet hat das Stück Inked choreografiert, das Aakash Odedra in technischer Perfektion tanzt. Fabiana Piccioli hat das Licht offenbar für kurze Distanzen zum Publikum eingerichtet. Das funktioniert in einem Saal nur äußerst bedingt, der ohne Schwierigkeiten große Oper ermöglicht. In der Dämmerung einzelner Hot Spots vermag der Zuschauer zwar noch im Wesentlichen, den Tanz zu erkennen, die Geschichte allerdings geht glatt an ihm vorbei. Tätowierungen auf dem Körper des Tänzers sind nämlich auf die Entfernung kaum erkennbar. Und so entsteht hier nicht die Reminiszenz an die „Körperzeichensprache“, wie sie bereits Odedras Großmutter verwendete, um ihrem Körper Bedeutung zu verleihen und ihn zu schützen. Stattdessen ist auf der Bühne die beklemmende Situation eines Menschen zu erleben, der sich mehr und mehr verschließt, für den einzelne Körperteile nicht mehr verfügbar sind. Das deprimiert als Darstellung, weil es – natürlich – keine Perspektive zeigt. Der Klangteppich des Komponisten Loscil ist da auch keine Hilfe. Und so hält sich der Beifall des Publikums durchaus in Grenzen.

In Murmur, dem zweiten Stück an diesem Abend, das Aakash Odedra und Lewis Major choreografiert haben, wechseln Thema, Methoden und Techniken. Odedra, der mit Rechtschreibung, wie er selbst sagt, so seine Schwierigkeiten hat, begibt sich auf die Suche nach Alternativen zur geschriebenen Sprache. Er findet sie in Tanz und gesprochener Sprache. In der kommenden halben Stunde liefert Odedra wiederum glanzvolle Tanzeinlagen, aber auch Monologe. Die Tanzmesse mag ja durchaus international ausgerichtet sein; wenn ein Tänzer allerdings in Leverkusen mit seinem Publikum in Dialog treten will oder auch nur etwas zu sagen hat, sind wir – glücklicherweise – in Deutschland noch nicht so weit, dass Englisch als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf. Und wieder geht dem einheimischen Publikum der Zugang zum Stück verloren. Das ist kein Problem des Publikums, sondern eine Respektlosigkeit ihm gegenüber. Übertitel sind keine Hexerei, man muss sie nur einrichten, wenn man professionell arbeiten will.

Im Gemurmel allerdings geht Odedra „neue“ Wege mit seinen Versatzstücken. In Zusammenarbeit mit – und jetzt wird es ganz verrückt – dem Ars Electronica Futurelab aus Linz, den Namen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, probiert der Protagonist, mit Projektionen zu tanzen. Das funktioniert nur begrenzt. Allerdings sind die Zeiten, in denen man das Publikum mit aufpoppenden Grafikgewittern zu psychedelischer Musik – in diesem Fall von Nicki Wells – beeindruckte, eigentlich vorbei. Und so verschenkt Odedra ein ziemlich spannendes Thema. Was dem „Zukunftslabor“ in Ansätzen gelingt, ist eine Verschmelzung der Projektionen mit dem Körper des Tänzers. Das darf man getrost als Vision werten.

Vom Abend bleibt die Faszination, die von Odedras Tanzkünsten ausgeht, einer Mischung aus zeitgenössischer Bewegungssprache und Entleihungen aus dem indischen Tanz, die er perfekt und begeisternd beherrscht. Die Zuschauer würdigen das mit kurzem Applaus, von ein paar Odedra-Fans gibt es Begeisterungsrufe, nur eine Besucherin ist wirklich enttäuscht. „Wenn die so kurz applaudieren und alle rauslaufen, gibt es doch keine Zugabe“, sagt sie ihrer Sitznachbarin – und hat Recht.

Die Messebesucher beeilen sich, in die Busse zurückzukommen, weil die nächste Veranstaltung im Düsseldorfer Capitol wartet. Die Leverkusener, die bei „regulären“ Tanzaufführungen den Saal gar nicht schnell genug füllen können, haben sich heute Abend zurückgehalten. Selbst, als die Busse mit den Messebesuchern eintreffen, bleibt mehr als die Hälfte der Plätze leer. Das ist dem ambitionierten Versuch des Forums, sich als Kooperationspartner der Tanzmesse zu etablieren, in keiner Weise angemessen. Da wollen die kommenden zwei Jahre bis zur nächsten Messe gut genutzt sein, um ein eigentlich tanzbegeistertes Publikum auch für diese Sonderveranstaltungen zu faszinieren. Weil die Idee stimmt.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Sean Goldthorpe