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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
31. Mai 2015
(Premiere)

Oper Leipzig


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Die Macht der Stimme

Kann man auf tiefgreifende Regie und opulente Bühnenbilder verzichten,  um eine romantische Wagner-Oper mit großer Leidenschaft, starkem Ausdruck und tiefer Nachhaltigkeit aufzuführen? Oh ja, man kann, und vielleicht muss man es ab und zu so aufführen, um sich wieder auf die Ursprünglichkeit des Wagnerischen Schaffens einzulassen. Wenn die Konstellation stimmt, und Sänger die musikalische und stimmliche Gestaltung des Ausdrucks voller Intensität gestalten, dazu ein in Höchstform spielendes Orchester begleitet, und ein Dirigent den Sängern alle Freiheiten der musikalischen Gestaltung lässt, wenn ausschließlich die Musik und der Gesang im Vordergrund stehen, genau dann und nur dann gelingt so ein Abend, und kein Mensch vermisst Regie und Bühnenbild. Und es ist trotzdem Wagner pur mit all seiner Leidenschaft und Emotion. Zum Abschluss der Richard-Wagner-Festtage 2015 in Leipzig steht seine Romantische Oper Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf Wartburg in der Dresdner Fassung als szenisches Konzert auf dem Spielplan.

Wagner thematisiert den Konflikt von Liebe und Lust, von hoher Liebe und triebhaftem Begehren, von Religion und Eros, eine Spannung, die bis zum Parsifal für den Menschen wie den Künstler Richard Wagner bestimmend sein sollte. Tannhäuser ist der Künstler, der durch seinen Aufenthalt im Venusberg zum gesellschaftlichen Außenseiter geworden ist und im Sängerwettstreit die Wartburg-Gesellschaft am Hofe des Landgrafen Hermann mit seinen Ansichten über die Liebe als höchstes Lebenselixier offen provoziert. Auf seiner Pilgerschaft nach Rom bestätigen sich seine Vorurteile über die Doppelmoral der Kirche und des Papstes. Einzig Elisabeth versteht sein inneres Dilemma und ist bereit, sich für seine Seele zu opfern. Der Glaube an ihre reine Seele rettet den Verlorenen.

Daniel Kirch  gibt mit  der Titelpartie des Tannhäuser an diesem Abend ein unglaubliches Rollendebüt. Sein baritonal gefärbter Tenor ist kraftvoll in der Mittellage und ausdrucksstark in den Höhen und in den dramatischen Ausbrüchen. Mit großer Ausdauer und Klugheit bewältigt er diese fordernde Partie, seine Rom-Erzählung am Schluss ist von erschütternder Intensität, und sein szenisches Spiel zeugt von einem großen Verständnis dieser Partie, wie es bei einem Rollendebüt nicht immer selbstverständlich ist.

Christiane Libors hochdramatischer Sopran ist von einer unnachahmlichen Leuchtkraft geprägt, das hat sie in Leipzig vor allem als Sieglinde unter Beweis gestellt, doch die Partie der Elisabeth liegt ihr noch mehr. Überzeugend ist ihre dramatische Stimmführung, in der Hallenarie im zweiten Aufzug wechselt sie die Register vom zarten Piano in strahlkräftige Höhen. Ihr Gebet im dritten Aufzug ist von tiefster Innigkeit und Beseeltheit getragen, und im Duett mit Tannhäuser vermählt sich ihre Stimme harmonisch mit Daniel Kirchs kraftvollem Tenor.

Mathias Hausmann ist der dritte herausragende Sänger dieses Abends. Er verkörpert die Rolle des Wolfram von Eschenbach mit lyrischem Bariton, hochkultiviertem Liedgesang und überzeugt durch stimmliche und ausdrucksstarke Präsenz. Im Sängerstreit ist er der Kontrapunkt zu Tannhäusers rauer Dramatik, sein Lied an den Abendstern im dritten Aufzug ist einer der sängerischen Glanzpunkte dieser Aufführung.

Kathrin Göring gibt die Partie der Venus mit warmem Mezzo-Timbre und klug eingesetzten dramatischen Höhen und setzt stimmlich und optisch den reizvollen Kontrast zur Darstellung der Elisabeth.

Rúni Brattaberg singt den Hermann mit markantem Bass und großer Textverständlichkeit. Tuomas Pursio ist ein ausdrucksstarker Biterolf, und Jennifer Porto singt die Solostelle des Hirten mit klarem und  jugendlichem Sopran. Sergey Pisarev als Walther von der Vogelweide, Dan Karlström als Heinrich der Schreiber und Sejong Chang als Reinmar von Zweter ergänzen stimmharmonisch ein starkes Sängerensemble.

Chor und Extrachor der Oper Leipzig sind von Alessandro Zuppardo hervorragend eingestimmt und begeistern ebenfalls durch klaren Ausdruck und voluminöser Intensität. Doch es liegt ein Schatten über dem Chor. Andreas Bläß, seit 1987 als Erster Bassist im Opernchor engagiert, ist drei Tage vor dieser Aufführung verstorben. In einer Beilage zum Programmheft heißt es im Namen des Opernchores und der Chordirektion, dass sein Tod sie alle fassungslos und traurig macht. Diese konzertante Tannhäuser-Aufführung wird ihm zum gedenken gewidmet, das ist mehr als nur eine schöne Geste. Und vielleicht ist es die Trauer und die Erinnerung an den verstorbenen Freund und Kollegen, der den Chor zu einer Höchstleistung animiert, wie man es nicht alle Tage erlebt. Die Pilgerchöre, der Einzug der Gäste und vor allem das große Finale, ein stimmgewaltiger Klangkörper, der alles überstrahlt. Schöner als mit diesem Chorgesang kann man den Verstorbenen nicht würdigen.

Das Gewandhausorchester überzeugt an diesem Abend ebenfalls durch eine beeindruckende Klangmalerei, aus der die Bläser dominant sauber hervorstechen. Nach den drei Ring-Abenden zuvor –Rheingold, Walküre und Siegfried –keine Spur von Müdigkeit oder Konditionsschwäche. Im Gegenteil scheint das Orchester seine Vielfältigkeit und seinen warmen Klang, der auf der offenen Bühne viel deutlicher zur Geltung kommt als im Graben, noch einmal eindrucksvoll unter Beweis stellen zu wollen.

Schon im Vorspiel kommt der wunderbare, differenzierte und farbenreiche Klangkörper zur Geltung. Die Ouvertüre in der Konzertfassung ist dramatisch kraftvoll und dynamisch, das Venusberg-Motiv ist stark akzentuiert, während die Melodie der Pilger zurückhaltend und weihevoll klingt. Matthias Foremny leitet das Gewandhausorchester mit deutlich klarem Gestus und großem Engagement. Er wechselt klug die Tempi und begleitet die Sänger, besonders in den Duetten Tannhäuser mit Venus und Elisabeth, mit großer Sensibilität und beweist Mut zum Forte, ohne die Sänger dabei zu überdeckeln. Insgesamt ist sein Dirigat unprätentiös und dem Werke dienend. Der Schluss ist ein musikalisch-opulenter Rausch, ein glühender  Schmelztiegel stimmlicher Leidenschaft und großer Emotion, der nach dem letzten Ton das Publikum förmlich von seiner Spannung erlöst.

Am Schluss gibt es frenetischen Jubel und stehende Ovationen für alle Beteiligten aus dem Publikum. Neben Daniel Kirch, Christiane Libor und Mathias Hauswald werden vor allem Chor und Orchester gefeiert. Wenn die Macht der puren Stimme so ausdrucksstark ist, ist Wagner so intensiv, dass Regie und Bühnenbild überflüssig werden. Zumindest an einem Abend. Ein würdiger Abschluss der Richard-Wagner-Festtage in Leipzig mit großer Vorfreude auf die Festtage 2016.

Andreas H. Hölscher

 







Fotos: Tom Schulze