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Fakten zur Aufführung 

MESSA DA REQUIEM
(Giuseppe Verdi)
29. Juni 2014
(Premiere)

Oper Leipzig


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Hoffnung auf Erlösung

Die Entstehungsgeschichte von Verdis Messa da Requiem ist eng mit dem Tod des von Verdi sehr verehrten Schriftstellers Alessandro Manzini verbunden. Sein Tod war für Verdi Anlass, sein Libera me, einst als Teil einer Totenmesse für Rossini geschrieben, zu einer vollständigen Messa da Requiem mit 7 Sätzen auszuarbeiten. Er hat, beginnend mit der Reprise, damit wohl eine der bedeutendsten und großartigsten Totenmessen komponiert, die allerdings nicht einem liturgischen Anlass dienen sollte. Erwähnenswert ist auch, dass die Komposition dieses Werkes in eine lange Schaffenspause seiner Opern fiel, nämlich zwischen Aida 1871 und Otello 1887. Das Werk wurde am 22. Mai 1874 in einer Besetzung von 120 Chorsängern, 100 Orchestermusikern und berühmten Solisten in San Marco in Mailand unter großem Jubel aufgeführt. Und wenn dieses Werk auch meist in großen Konzertsälen gespielt wird, so beeinträchtigt das nicht die tief empfundene Religiosität, die diese Totenmesse ausdrückt. Der musikalische Bezug zur großen Oper Verdis bleibt bestehen, insbesondere Anklänge an Otello und Don Carlos meint man zu vernehmen. Doch am Ende des Werkes steht musikalisch für den gläubigen, aber kirchenkritischen Verdi die Hoffnung auf Erlösung, der Tod verliert seinen Schrecken.

In Leipzig steht nun dieses großartige Werk zum Abschluss einer erfolgreichen Spielzeit als einmaliges Konzert auf dem Spielplan. Der Opernchor wurde verstärkt vom Jugendchor der Oper Leipzig unter der Leitung von Sophie Bauer und vom Corale Quadriclavio aus Bologna, der Partnerstadt Leipzigs, hervorragend einstudiert von Lorenzo Bizzarri. Alessandro Zuppardo hat diese einmalige Besetzung zu einem großen, harmonischen Klangkörper formiert, der die Chorstellen klar phrasiert und mit großem Ausdruck formuliert, ohne dass der Chor das Publikum mit seiner Wucht erdrückt. Das Requiem aeternam entfaltet sich in der Tiefe des Raumes, wie aus dem Nichts erhebt der Chor flüsternd seine Stimme, während der Mittelteil Te decet hymnus kräftig a capella gesungen wird. Im Kyrie entwickelt sich eine erste dramatische Steigerung mit dem Einsatz der vier Solisten. Großartig die eruptiven Ausbrüche des Chores im Dies irae, mit mächtigen Bläserakkorden aus den oberen Logen und wuchtigen Schlägen der Trommel. Der Tag der Rache ist der zentrale Teil dieses Werkes, in dem sich Chor und Solisten in unterschiedlicher Zusammensetzung abwechseln. Die Bedrohung durch das Jüngste Gericht ist musikalisch an dieser Stelle so prägnant wie in keinem anderen Werk. Das Flehen um Erlösung im Himmel wird immer klarer bis hin zur Hoffnung auf Erlösung am Schluss des Satzes im Lacrimosa, das eine unverkennbare Anlehnung an die Totenklage für Rodrigue in Verdis Don Carlos darstellt. Das Offertorio ist vielleicht der opernhafteste Satz dieser Messe, wunderbar durch eine Cello-Kantilene eingeleitet. Im Sanctus hat der Chor seinen großen, fast heiteren Auftritt, mit einem jubelnden Hosanna in excelsis.

Dazu kontrastiert das folgende Agnus Dei, zunächst a capella von Sopran und Mezzosopran gesungen, mit finaler Chorbegleitung. Die unterschiedlichen Klangfarben vermitteln dem Zuhörer das Gefühl, einer Prozession zum Grabe beizuwohnen. Im Lux aeterna steht das ewige Licht als Zeichen der Hoffnung im Vordergrund, auch hier sind wieder Anklänge an Don Carlos deutlich erkennbar. Drücken die Streicher anfangs noch die Angst vor dem Tod aus, wandelt sich die Musik nach Dur, und das „Ewige Licht“ leuchtet. Wie eine Erlösung klingt hier der Bass. Im abschließenden Libera me werden die Eingangsthemen des Requiem aeternam und Dies irae noch einmal aufgegriffen. Für den Sopran ist es wie eine große dramatische Opernarie im Wechsel mit dem Chor, die mit einer gehauchten Klage endet und im Nichts verebbt, so wie es anderthalb Stunden zuvor begann.

Die vier Solisten des Abends verleihen diesem Requiem stimmlich und vom Ausdruck her die Eleganz und Reife einer großen Verdi-Oper.

Viktoria Yastrebova ist mit ihrem klaren und leuchtenden Sopran ideal besetzt und meistert die dramatischen Ausbrüche mit großartigem Ausdruck und strahlenden Höhen. Ergreifend ihr finales Libera me, wenn sie aus dem dramatischen Ausbruch ein tiefes, fast flehendes Piano verhauchen lässt. Marianna Pizzolato kontrastiert mit einem warmen, fülligen und tiefen Mezzo-Timbre, das besonders in den dramatischen Phrasierungen zum Ausdruck kommt, und man meint mit geschlossenem Auge, eine Amneris vor sich zu haben. Im Agnus Dei harmoniert sie im A-capella-Duett mit Viktoria Yastrebova derart elegisch, dass man schon fast von einer gemeinsamen Stimme sprechen kann.

Aquiles Machado gestaltet den Tenorpart mit lyrischem Ausdruck und Belcanto-Schmelz. Das Ingemisco singt er kraftvoll und mit klaren Höhen, während er im Hostias mit schon flehenden Pianotönen beeindruckt und dabei immer den Dirigenten wie zum Zwiegespräch sucht. Milcho Borovinov wiederum begeistert mit kräftigem und ausdrucksstarkem Bass, der an diesem Nachmittag eine beeindruckende Leistung abruft. Schon zu Beginn im Dies irae lässt sein Mors stupebit… aufhorchen, und hier meint man musikalisch den Jago zu erkennen, so schaurig wirkt der Ausdruck.

Dirigent Anthony Bramall gestaltet Verdis gefühlsmächtige Totenmusik nicht als sentimentales Totengedenken, sondern mit einem musikdramatischen Spannungsbogen als erschütterndes Seelendrama vom Aufbegehren gegen Schmerz und Leiden, gegen Sterben und Tod, aber auch voller Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung. Wirkt das Dies Irae wie Schlachtengetümmel, dann ist Bramall der Feldherr, der seine Truppen zielgerichtet und präzise durch den Sturm leitet, um sie sicher nach Hause zu bringen. Basis für diesen emotionalen Eindruck ist die grandiose musikalische Leistung des Leipziger Gewandhausorchesters, das leidenschaftlich und empfindungsvoll, aber dennoch präzise und transparent musiziert. Bramall kann die verhaltene Einleitung zum Requiem ganz aus der Stille heraus entwickeln. Und mit den ersten Textworten des Chores, gedämpft geflüstert, beschwört er eine enorme musikalische Spannung herauf, die den Zuhörer bannt und bis zum Schluss in Atem hält. Die Dramatik seiner Interpretation zieht er ganz aus den Möglichkeiten des Klanges, den er im tobenden Fortissimo ebenso auslotet wie in leiser Empfindsamkeit.

Auf das letzte flehende Libera me folgen fast zehn Sekunden Stille, ehe sich die Spannung in erlösenden und jubelnden Applaus verwandelt. Das Publikum dankt dem Orchester und seinem Dirigenten, den Chören und den Solisten mit minutenlangem, lautem Beifall und Jubel. Ein Requiem, das die Hoffnung auf Erlösung spendet, beschließt eine für die Leipziger Oper großartige Spielzeit und weckt die Vorfreude auf die neue Saison.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Ida Zenna