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Fakten zur Aufführung 

IN FRISCO IST DER TEUFEL LOS
(Guido Masanetz)
27. Juni 2015
(Premiere)

Oper Leipzig, Musikalische Komödie

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Heiteres Musiktheater schwelgt in Nostalgie

In Frisco ist der Teufel los war einer der größten Erfolge des „musikalischen Unterhaltungstheaters“ der Deutschen Demokratischen Republik – „Heiteres Musiktheater“ nannte man dort Operetten, Musicals und alles dazwischen in der Theoriebildung des Sozialistischen Realismus und des Bitterfelder Wegs. Komponisten wie Gerd Natschinski, von dem Stücke wie Mein Freund Bunbury oder Messeschlager Gisela stammen, und der 1914 geborene Guido Masanetz folgten den offiziellen Postulaten  nur widerwillig. Kurz vor dem Mauerbau konnten sie Anregungen durch die in West-Berlin bekannt werdenden US-Musicals Annie Get Your Gun, My Fair Lady und Kiss Me Kate aufnehmen, die dadurch die Entwicklung des westdeutschen und des ostdeutschen Musicals beeinflussten.

Programmatisches Ziel in der DDR war ein spezifisches Muster der für Mitteleuropa neuen Gattung, die für Subventionstheater und deren Ensembles kompatibel war. Masanetz‘ hochgelobtes Übergangswerk wurde – uraufgeführt als Wer braucht Geld? am Berliner Metropol-Theater 1958, unter dem Arbeitstitel Hotel Nevada bearbeitet zu In Frisco ist der Teufel los 1962 – ein Meilenstein dazu und zeigte, dass sich die theoretische Leitpoetik der DDR mit kompositorischer Substanz überrumpeln ließ.

Zum 101. Geburtstag von Guido Masanetz entschloss sich die Musikalische Komödie endlich zu einer überfälligen Aufführung - als zweimaliges „Festkonzert“, zu dem auch der Komponist aus Berlin anreiste. Auf die Promotion des Bärenreiter Verlages kniffen zum runden Jubiläum das Volkstheater Rostock – im Intensivkampf um den Erhalt seines Musiktheaters – und die Staatsoperette Dresden, das einzige noch selbständig bestehende der drei DDR-Repertoiretheater für Operette und Musical. Zu sehen und hören ist im Haus Dreilinden jetzt eine Hommage mit archäologischem Respekt.

Die Galagäste der erfreulich gut gefüllten Musikalischen Komödie sind begeistert von Nummern wie Hundert Cents hat der Dollar und vor allem den die Zeiten überdauernden Song Seemann, hast du mich vergessen, den das Ensemble mehrfach bei dieser ersten Wiederaufführung nach 1989 in den Saal jauchzt. Mindestens 56 Inszenierungen erlebte das Werk mit der von Maurycy Janowski aufgefrischten Ganovenstory nach einer Idee von Otto Schneidereit bislang.

Frisco – das ist die Geschichte vom Matrosen Anatol Brown, gesungen von Tenor Radoslaw Rydlewski in Bariton-Lage, der durch Zahlung von 10000 Dollar Schulden an den geldgeilen Bar-Vamp Xonga Miller das ihm als Erbe zugefallene Hotel Nevada behalten und zu einer Residenz für pensionierungsreife Seemänner umgestalten will. Die Musikalische Komödie präsentiert diese glücklich – im DDR-Jargon „optimistisch“ – endende Alternative zu Mahagonny als Live-Übertragung des Deutschen Fernsehfunks. Also keine Spur von Lokalkolorit im Handlungsmuster mit kapitalistischer Korruption und proletarischer Solidarität. Dafür trumpft die Musikalische Komödie mit viel sozialistisch korrekter Nostalgie-Seligkeit und Orchester-Fortissimi in permanenter Hochspannung auf.

Die Textfassung von Christian Geltinger und der von Ausstatter Frank Schmutzler als Bühnenrahmen gesetzte Fernsehbildschirm verorten dieses Neues vom Tage 1965 in respektvoller Distanz als fiktionale Live-Übertragung: DDR Deutscher Fernsehfunk mit Blumenvase  vor der Ansagerin, Bildstörung, Pausenwerbung für Wartburg-Automobile und gestelzt-kantiger Moderation von Patrick Rohbeck. Solisten und Chor posieren adrett mit blütenweißen Kragen hinter Notenpulten, halten sich mit szenischen Gesten zurück. In dieser absichtsvollen Distinktion wirkt das Ballett – traut man DEFA-Musikfilmen wie Heißer Sommer aus 1968 – enorm dynamisch. Mirko Mahrs Compagnie hätte die im Textbuch geforderte „Parodie“ zu heißer Musik mit nicht minder heißen Girls vollauf beherrscht.

Möglicherweise ist diese Stilisierung anno 2015 einerseits Respekt vor dem Jubilar und andererseits Ratlosigkeit im Umgang mit der damals wie heute gleichermaßen naiv und etwas schräg anmutenden Schwarz-Weiß-Malerei. Von den Darstellerinnen Xonga Millers forderten die Autoren in der Materialsammlung Der Operettendramaturg 1958: „Xonga kann jung oder alt, dünn oder fett sein – eines aber muss sie sein: faszinierend! Je außergewöhnlicher sie ist, desto größer ist Browns Sieg über sie.“ In Xongas Back-dir-einen-Mann-Song buchstabiert Anne-Kathrin Fischer – sie könnte ganz anders – allerdings nur Kittelschürze  statt Leopardenfell. Dazu legte das Große Rundfunkorchester Leipzig bereits in der Aufnahme unter Leitung von Masanetz selbst ganz andere Klangspuren.

Das Orchester der Musikalischen Komödie spielt alle satten Erfahrungen seiner Ring- und Freischütz-Ausflüge in der 80-Minuten-Aufführung aus. Christoph-Johannes Eichhorn am Pult erfreut sich an der Akzentuierung von Gershwin-, Loewe-, Léhar-Assoziationen und kostet die farbenreiche Partitur raumfüllend aus. Nora Lentner als Kellnerin Virginia West, Fabian Egli, der ihren Bruder Kai singt, und Milko Milev in der Rolle des gestrandeten Seebärs Jonas werden als gewiefte Operettenanimateure vom nostalgieseligen Publikum lebhaft gefeiert. Sabine Töpfer zeigt als Bessie, was für Funken mit Blues- und Soul-Tönen aus dieser Musik zu schlagen sind, welche Anreize Masanetz seinen Interpreten zu geben vermag.

Auf der Handlungsebene charakterisieren Masanetz‘  musikalische Amerikanismen die Gangster-Gegner des Gutmenschentums. Auf einer nonverbalen, sinnhaften Ebene jedoch waren diese 1965 auch denkbar als Ausdruck der Sehnsucht nach vielem, was DDR-Bürger nicht – mehr – hatten. Es bleiben noch einige zeitgeschichtliche und dramaturgische Aspekte dieses parallel zu Mauerbau und erster Musicalwelle bearbeiteten Werks zu entdecken, die im halbszenischen Ansatz der Musikalischen Komödie nicht thematisiert werden konnten.  

Roland Dippel

 



Fotos 1965: Helga Wallmüller