Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

IM WEISSEN RÖSSL
(Ralf Benatzky)
25. Oktober 2014
(Premiere)

Oper Leipzig, Musikalische Komödie


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Alle Sorgen vergessen

Im Eingangsbereich der Musikalischen Komödie, dem Operettenhaus der Oper Leipzig, hängt ein großes Transparent mit der Inschrift: „…tritt ein und vergiss deine Sorgen“. Diese Aufforderung an das Publikum ist an diesem Abend Programm. Sorgen des Alltags werden an der Garderobe abgegeben, und man taucht ein in eine andere Welt. Das Weiße Rössl am Wolfgangsee, Synonym für alpenländischen Charme, für spritzige Melodien und großes Gefühl, lässt das Publikum für annähernd drei Stunden tatsächlich alle großen und kleinen Sorgen vergessen. Man fühlt mit dem Zahlkellner Leopold, der mit allen Tricks und Finten um die Liebe seiner angebeteten Rössl-Wirtin kämpft. Man leidet etwas mit der Wirtin Josepha Vogelhuber, die ihrerseits unglücklich in den etwas glatten Rechtsanwalt Dr. Siedler verliebt ist, der aber wiederum ein Auge auf Ottilie, die Tochter des Trikotfabrikanten Giesecke, geworfen hat. Und natürlich amüsiert man sich über den griesgrämigen schimpfenden Giesecke, dem Inbegriff der Berliner (Groß-)Schnauze, und seinen skurrilen Zwist mit seinem Konkurrenten Sülzheimer. Doch am Schluss gibt es ja das große Happy-End.

Es ist das klassische Verwirrspiel, mit vielen Missverständnissen und ewig jungen Pointen, das diese Operette zu einem Klassiker ihres Genres macht und auf einzigartige musikalische Weise österreichischen Charme mit Berliner Deftigkeit verbindet. Es ist aber auch die Gratwanderung zum Kitsch, zum Possenreißen, wenn die Figuren überzeichnet werden oder die Leichtigkeit, die Spritzigkeit zu kurz kommen. In Leipzig weit gefehlt. Hier wird kein rührseliger Kitsch gezeigt, sondern Komik und Revueoperette im eigentlichen Sinne, mit tanzendem Chor und singendem Ballett.

Regisseur Volker Vogl, Oberspielleiter der Musikalischen Komödie und gleichzeitig Darsteller des Wilhelm Giesecke, hat das Stück von allem überflüssigen Ballast entfrachtet und entstaubt. Herausgekommen ist ein fetziges, spritziges Schmankerl, das einfach gute Laune verbreitet. Mit tollen Sängern, die in ihren Rollen schauspielerisch voll aufgehen, mit einem Chor, der leidenschaftlich spielt und einer jungen Ballettmannschaft, die sogar ganz passabel singt, hat die Musikalische Komödie Leipzig ein Ensemble, das diesem Genre mit Respekt und Können begegnet. So gelingt große Kunst.

Vogel hat in den Mittelpunkt seiner Inszenierung den Zahlkellner Leopold und seine anfangs nicht erwiderte Liebe zur Rössl-Wirtin gestellt. Dieser Leopold ist kein chaotischer Depp, er hat Liebeskummer und offeriert großes Gefühl, denn es geht auch um gesellschaftliche Schranken und Barrieren. Aber auch die Parodierung des großkotzigen Berliners, der alles besser weiß und die Schönheit des Salzkammergutes nicht zu schätzen weiß, macht den besonderen Reiz dieser Inszenierung aus. Und Vogel ist selbst auf der Bühne, spielt und lebt diesen Giesecke, und so ist seine Personenregie auf schnelle Interaktion aller Protagonisten ausgerichtet.

Die Ausstattung von Alexander J. Mudlagck ist klassisch, alpenländisch und bunt. Etwas überzeichnet, dafür witzig pointiert. Natürlich gibt es ein gemaltes Alpenpanorama im Hintergrund, Tisch mit karierter Decke, ein Holzpferdkopf an der Wand, ein überdimensionierter Tirolerhut aus Gras, und fertig ist die Kulisse. Es ist ein einfaches, dafür effektvolles Bühnenbild, das die Bühne nicht überfrachtet, aber den besonderen Charme des Salzkammerguts herausstellt. Angesiedelt Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, prallen traditionelle alpenländische Tracht und der Modestil der Zeit des Wirtschaftswunders und des aufblühenden Tourismus aufeinander. Die Choreographie des Ensembles ist grandios einstudiert von Susanne Kirnbauer, der Grande Dame der Operettenchoreographie. Jahrelang hat sie in Mörbisch und Bad Ischl bei den dortigen Operettenfestspielen für die richtige Bewegung gesorgt. Sie nach Leipzig zu holen, ist für dieses Werk unbezahlbar, denn sie hat genau das richtige Gespür für die Bewegungsabläufe zwischen Chor, Ballett und Sängerensemble. Dieser Dreiklang führt erst zu einer spritzigen Revueshow, wo alles so einfach und beschwingt aussieht und doch ganz harte Arbeit dahinter steckt.

Deshalb ist es der Abend des ganzen Ensembles. Allen voran Tenor Andreas Rainer als Zahlkellner Leopold Brandmeyer. Der gebürtige Wiener ist vom Ausdruck her eine Idealbesetzung. Mit seinem charmantem Auftreten und dem Wiener Dialekt spielt er sich schnell in die Herzen der Zuschauer. Schauspielerisch zeigt Andreas Rainer sein ganzes Können; mit großer Gestik und noch mehr Leidenschaft erobert er letztendlich die Rössl-Wirtin, und dass er gesanglich „nicht zuschauen kann“, gibt er eindrucksvoll und mit viel Gefühl zum Besten.

Nora Lentner als etwas gefühlsverwirrte Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber harmoniert stimmlich mit ihrem hellen und klaren Sopran prächtig mit Andreas Rainer. Musikalischer Höhepunkt des Abends ist sicher der Moment, wo sie das Lied des Kaisers Franz Josef S‘ ist einmal im Leben so mit großer Innigkeit und Gefühl intoniert.

Regisseur Vogel als Trikotagenfabrikant Wilhelm Giesecke gibt die Berliner Schnauze mit Herz so komisch und so bissig, dass man diesem alten Kotzbrocken wahrlich nicht lange böse sein kann. Lilli Wünscher verkörpert die Ottilie als kesse Berliner Göre mit eigenem Dickschädel und verführerischem Gehabe, dem Radoslaw Rydlewski als Rechtsanwalt Dr. Siedler mit schlankem Tenor und charmantem Spiel nicht widerstehen kann. Herrlich komisch agiert Fabian Egli als schöner Sigismund Sülzheimer, und Verena Barth-Jurca begeistert als lispelnde Ottilie und Objekt seiner Begierde. Die Chorsängerin Heike Fischer als Briefträgerin Kathi erntet für ihre gekonnten Jodeleinlagen verdienten Applaus. Michael Raschle als Prof. Hinzelmann ist ein wunderbarer stimmlicher Kontrast zum lauten Giesecke, und Milko Milev gibt den Kaiser Franz Josef I. mit majestätischer Würde und mit leisen Tönen. Sven Wieckhorst, Mitglied des Kinderchores der Oper Leipzig, ist als Piccolo Gustl der Liebling des Publikums. Unglaublich, was für schauspielerische Qualitäten dieser Bub schon an den Tag legt. Da muss man sich um die Zukunft keine Sorgen machen.

Musikalisch ist der Abend beste Unterhaltung. Tobias Engeli, neuer Erster Kapellmeister an der Musikalischen Komödie, und das bestens aufgelegte Orchester präsentieren ein gelungenes Singspiel, in dem die Melodien von Ralph Benatzky und Robert Stolz jung und frisch erklingen. Die unterschiedlichen Musikstile vom Walzer bis zum Jazz werden modern und pfiffig interpretiert, und man muss sich manchmal fast auf die Zunge beißen, um die bekannten Schlager nicht mitzusingen, so einladend wird im Graben musiziert. Der Chor, von Mathias Drechsler gut einstudiert, zeigt große Spielfreude, während die Damen und Herren des Balletts nicht nur dank Susanne Kirnbauer ihr klassisches Repertoire zeigen können, sondern auch über passable Gesangsqualitäten verfügen.

Das Publikum, das schon während der Aufführung kaum an sich halten kann, jubelt am Schluss fast schon frenetisch dem gesamten Ensemble einschließlich Musiker und Regieteam zu, es gibt zum Schluss stehende Ovationen für ein überzeugendes Ensemble. Und was stand noch mal auf dem Transparent im Foyer? „…tritt ein und vergiss deine Sorgen“. Das Leipziger Publikum erlebt jedenfalls eine sorgenfreie Premiere, die einfach wieder Lust auf Operette und Revuetheater macht.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Tom Schultze