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Fakten zur Aufführung 

DIE FRAU OHNE SCHATTEN
(Richard Strauss)
14. Juni 2014
(Premiere)

Oper Leipzig


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Im Licht des Schattens

Drei Tage nach seinem 150. Geburtstag feiert die Oper Leipzig den Komponisten Richard Strauss mit einem ganz besonderen Geschenk, der Premiere seiner wohl komplexesten und musikalisch anspruchsvollsten Oper, der Frau ohne Schatten. Dieses Werk, als eine Art Fortsetzung von Mozarts Zauberflöte konzipiert und von Richard Strauss selbst als sein Hauptwerk bezeichnet, ist ein symbolistisch aufgeladenes Märchen. Und dennoch ist die Problematik, die Strauss und sein Librettist Hofmannsthal in dieser Oper entwickeln, heute aktueller denn je. Die Geschichte erscheint auf dem ersten Blick verworren, ja surreal.

Binnen dreier Tage muss die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs Keikobad, einen Schatten werfen, um ganz Mensch zu werden und ihren Gatten vor der ewigen Versteinerung zu bewahren. Sie selbst wandelt in einer Zwischenwelt, seitdem der Kaiser sie mit Hilfe eines Falken erobert hat: Sie ist halb Geist, halb Mensch. Und sie wirft keinen Schatten – die biblische Metapher für Unfruchtbarkeit. Wie ein Damokles-Schwert hängt die Zukunft über ihr: Wird sie nicht eine vollkommene menschliche Frau mit einem Schatten, wird der Kaiser zu Stein.

Auf den Plan ihrer Amme, einer Färberin, die sich ihrem Gatten verweigert, ihren Schatten – und damit verbunden die Fähigkeit Kinder zu gebären – um den Preis ewiger Jugend, Glanz und Schönheit einfach abzukaufen, geht die Kaiserin zunächst ein. Doch als sie erfährt, dass damit die Liebe und das Leben der Färbers auf dem Spiel steht, offenbart sich ihre wahre Menschlichkeit und Größe. Dieses so farbig schillernde musikalische Märchen berührt am Schluss durch seine tiefe Humanität. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs, die Uraufführung war am 10. Oktober 1919 in Wien, und eines sich wandelnden Frauenbildes berührt die Oper mit der Frage nach Mutterschaft eine auch heute hochbrisante Thematik.

Der erfahrene Regisseur Balázs Kovalik hat gemeinsam mit der renommierten Bühnenbildnerin Heike Scheele ein opulentes und tiefenpsychologisches Melodrama auf die Bühne gebracht und dabei nicht nur eine Reminiszenz an die Zauberflöte gegeben. Auf der einen Seite finden wir das erhöhte Paar Kaiser und Kaiserin, analog zu Tamino und Pamina in der Zauberflöte, die eine Reihe von Prüfungen mit den Elementen zu bestehen haben, bevor ihr Glück vollkommen ist. Und die drei Tage, die die Kaiserin hat, ist eine Zeit der Prüfung und Hinterfragung. Auf der anderen Seite in der Hierarchie niedriger stehend das Färber-Paar, bei dem es vordergründig um die Frage von Mutterschaft und Nachwuchs geht, ähnlich wie bei Papageno und Papagena, die sich am Schluss über viele Kinderlein freuen. Doch es finden sich in diesem Werk weitere Beziehungsgeflechte, die auf andere Werke deuten. Das hat Regisseur Kovalik kongenial herausgearbeitet. Die Amme, eine strategisch denkende Frau, ist in ihrem feuerroten Gewand die weibliche Darstellung von Loge, der listig und berechnend im Hintergrund die Fäden zieht. Und hat der Bote Keikobads nicht Ähnlichkeit mit dem Wanderer? Ja, ist es nicht eigentlich Keikobad selbst, der als Bote verkleidet Einfluss auf das Schicksal nehmen will? Die zärtliche Umarmung seiner Tochter ist mehr als nur zufällige Ähnlichkeit von Wotans Abschied von Brünnhilde. Die Ähnlichkeit insbesondere zu Wagner lässt sich fortschreiben, bis zur Erhöhung der Thematik Parsifal und Kundry. Diese Motive werden von Kovalik in den Vordergrund gestellt, und so wird der Zuschauer auf eine bilderreiche mystische Reise mitgenommen. Das Bühnenbild von Heike Scheele zeigt unter optimaler Ausnutzung aller technischen Möglichkeiten der Bühne über ein Dutzend verschiedener Räume, die wiederum die unterschiedlichen Hierarchien, aber auch verschiedene Zeiten erfassen.

Die Färber leben am Rande eines billigen, heruntergekommenen Amüsierviertels, vielleicht zu Beginn der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, zumindest wenn man die vielen Fernseher betrachtet, die der Färber Barak zusammengetragen hat. In den Wunschvorstellungen und Phantasien des Färberpaars sieht man plötzlich die Kulisse des Wiener Opernballs oder einen Biedermeier-Raum, in dem Barak mit zwölf Kindern speist. Eine Anordnung wie bei da Vincis Abendmahl. Es ist eine Flut von Bildern und Metaphern, die Kovalik und Scheele anbieten, und zu einem großen Verständnis des Werkes beitragen. Zwar übertreibt es Kovalik am Schluss etwas, als zum glücklichen Finale über ein Dutzend Kinderwagen auf die Bühne kommen, aber der Intention und der Genialität der Inszenierung tut das keinen Abbruch. Sebastian Ellrich bereichert die Inszenierung mit farblich abgestimmten Phantasiekostümen, und Michel Rögers Lichtdesign unterstreicht den opulenten Bilderrausch.

Doch was wäre die phantasievollste Inszenierung ohne großartige Sängerdarsteller und Musiker, die aus einem Theaterstück ein opulentes und sinnliches Bravourstück zaubern. Bei einem Werk, das an Sänger und Musiker die höchsten Ansprüche stellt, darf man in der Besetzung keine Kompromisse eingehen, Strauss‘ Frau ohne Schatten verlangt große Stimmen und kompromissloses Spiel. Beides hat Leipzig an diesem Abend zu bieten.

Ein umjubeltes Rollendebüt als Kaiserin gibt Simone Schneider. Ihr Sopran ist von einer großen Tragfähigkeit, die mit weit gesponnenen Bögen und leuchtenden Höhen lyrische Leichtigkeit erzeugt und doch von großer Durchschlagskraft ist. Ihre Darstellung ist schonungslos ehrlich und rührt emotional zu Tränen. Ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Fruchtbarkeit und ihr letztendlicher Verzicht auf den Schatten verleiht Simone Schneider eine besondere Grandezza. Die hochdramatische Partie der Amme, vielleicht eine der größten Herausforderungen für Frauenstimmen, meistert Doris Soffel mit enormer Stimmkraft und physischer Präsenz. Sie ist ein Mezzosopran mit wuchtigem und scharfem Furor in den Ausbrüchen. Soffel verfügt über ein weit gespanntes Register, und die Stimme ist durchschlagend mit großem Nachdruck. Ihr Ausdrucksrepertoire und die vor allem in der Mittellage variable Stimme verleiht der Figur der Amme eine fast schon dämonische Aura. Jennifer Wilson verfügt über einen glasklaren und tragenden hochdramatischen Sopran, der alle Facetten der Rolle der Färberin beleuchtet, aber auch ihre Verletzlichkeit und ihre Sehnsüchte zeigt.

Burkard Fritz gibt den Kaiser mit schon fast lyrischem Tenor, obwohl er natürlich über die Ausdrucksstärke und die Stahlkraft eines Heldentenors verfügt. Aber seine musikalische Interpretation lässt die Rolle des Kaisers in einem neuen, ganz menschlichen Antlitz erscheinen und harmoniert stimmvollendet mit Simone Schneiders Sopran. Der Bariton Thomas J. Mayer hat alle großen Wagner-Partien seines Fachs gesungen, und so erklingt sein Barak wie eine Symbiose des gequälten Amfortas und des verletzten Holländers. Sein Bariton besticht durch ein kräftiges Fundament in der Tiefe und starken Höhen in den dramatischen Ausbrüchen. Sein Ausdruck und sein Gestus, als seine Frau sich ihm verweigert, sind von derart großer emotionaler Intensität, dass man seine Seelenqualen förmlich spürt. Tuomas Pursio gibt den Geisterboten Keikobads mit dramatischem Bariton und einem in vielen Passagen an Wotan erinnernden Ausdruck.

Auch die vielen kleinen Nebenrollen in diesem Stück sind erstklassig besetzt, allen voran die Sopranistinnen Paula Rummel und Olena Tokar. Alessandro Zuppardo und Sophie Bauer haben Chor und Kinderchor der Oper Leipzig großartig eingestimmt.

Seinen Ritterschlag hat sich an diesem Abend Intendant und GMD Ulf Schirmer verdient. Was er aus diesem orchestralen Werk, aus dieser sinfonischen Klangmalerei an Schönheit und Tiefgang herausarbeitet, das ist von allerhöchster Güte. Sein Dirigat ist differenziert, jeder Schlag nachvollziehbar, und er nimmt große Rücksicht auf die anspruchsvollen Gesangspartien, so dass die Sänger bei ihm im Vordergrund stehen. Schirmer kann schwelgen, aber bei Strauss poltert und kracht es schon mal im Orchestergraben, und das beherrscht er genauso wie die kammermusikalischen Momente dieser Partitur, die er dann filetiert und punktiert herausarbeitet. Schirmer gehört zu den profiliertesten Strauss- Dirigenten, die große symphonische Tondichtung, orchestrale Opulenz und kammermusikalische Intimität an einem Abend gleichermaßen anbieten können. Und das Gewandhausorchester setzt seine Vorgaben mit Brillanz und großer orchestraler Klanggewalt um.

Das Publikum feiert am Schluss mit großer Begeisterung und Jubel für alle Beteiligten diese Premiere, und für Schirmer und das Gewandhausorchester gibt es standing ovations. Ein vereinzelter älterer Rufer buht sich die Kehle so aus dem Leib, das man schon fast den Notarzt rufen möchte, doch am Schluss geht er unter im kollektivem Jubel.

Ein schöneres und wertvolleres Geschenk konnte die Oper Leipzig dem großen Richard Strauss zu seinem 150.Geburtstag nicht machen. Und dieses Werk kann auch die noch mit Strauss fremdelnden Opernfreunde zu Liebhabern machen. Diese Aufführung lohnt es sich aufgrund ihrer Komplexität ein zweites und ein drittes Mal anzuschauen, und man wird immer wieder Neues entdecken.

Andreas H. Hölscher