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Fakten zur Aufführung 

FAUST (MARGARETHE)
(Charles Gounod)
11. Oktober 2014
(Premiere)

Oper Leipzig


Points of Honor                      

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Fataler Jugendwahn

Im kommenden Jahr feiert die Stadt Leipzig ihr 1000-jähriges Jubiläum. Grund genug für die Oper Leipzig, dieses Jubiläum mit einer besonderen Premiere quasi am Vorabend des Stadtjubiläums zu feiern. Doch keine Oper des Leipziger Komponisten Richard Wagner steht auf dem Programm, es ist die französische Opernadaption des deutschesten Stoffes überhaupt: Faust von Charles Gounod. Immerhin, hier in Leipzig hat Johann Wolfgang von Goethe studiert, und hier wurde er zu der großen Studentenszene im Faust, in Auerbachs Keller in Leipzig, inspiriert. Aber auch musikalisch gibt es einen kleinen Bezug zu Leipzig. Gounod verwendet in der ersten Szene des ersten Aufzuges ein Zitat von Felix Mendelssohn-Bartholdys Sommernachtstraum. Gounod hatte als junger Komponist bei einem viertägigem Aufenthalt in Leipzig den damaligen Gewandhauskapellmeister Mendelssohn-Bartholdy kennen gelernt, der einen großen Eindruck auf den jungen Romantiker machte. Insofern ist das Werk zum Stadtjubiläum auch eine Reminiszenz an Goethe und Mendelssohn-Bartholdy.

Die Geschichte ist bekannt, das Spiel mit dem Feuer, auf das sich der Gelehrte Doktor Faust eingelassen und der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Doch bei Gounod gibt es einige Unterschiede zum Goetheschen Faust. Der alte Wissenschaftler hat alles erreicht, Wissen, Ruhm und Macht. Doch eins hat er versäumt: zu leben. Und so wünscht er sich nichts sehnlicher, als noch einmal jung zu sein und die körperlichen Begierden eines jungen Mannes zu spüren. Das gelingt ihm mit Hilfe des Teufels, der in der Gestalt des eleganten, aber diabolischen Mephistopheles auftritt und dem er seine Seele zum Preis der Jugend verschreibt. Die Folgen des Jugendwahns von Dr. Faust sind fatal. Es gibt kein Glück auf Erden, wenn der Teufel seine Hände im Spiel hat, aber so etwas wie Erlösung von dem Bösen, wenn der Glaube an das Gute und das Göttliche stärker sind als der Teufel.

Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijekma und Kostümbildnerin Claudia Damm haben die Gounodsche Version spektakulär auf die Bühne der Oper Leipzig projiziert. Das Duo ist dem Leipziger Opernpublikum noch von der bildgewaltigen Premiere der Tosca vom Oktober 2011 bestens in Erinnerung. Und die Erwartungshaltung an das Regieteam wird erfüllt, bisweilen sogar übertroffen, auf manchen Zuschauer wirken die Bilder schockierend. Schon der Vorhang zeigt einen doppelköpfigen Pudel mit martialischen Wolfsschnauzen, das Dämonische ist in dieser Inszenierung des Pudels Kern. Das Bühnenbild ist schlicht und durchgängig durch alle Aufzüge präsent. Sechs große steinerne Säulen in der Mitte, oben rundgeschlossen wie in einem Panometer, mit fünf Toren an Seilzügen, die sich je nach Bildebene unterschiedlich öffnen und so verschiedene Perspektiven freigeben. Um diese Konstruktion läuft die Drehbühne, die wenige Requisiten im Kreis laufen lässt, von Margarethes Bett bis hin zum Schafott, auf dem sie am Schluss hingerichtet wird. Die Kostüme sind teils farbenfroh und passen in die Zeit der Uraufführung der Oper anno 1859. Die Soldatenkostüme vor und nach der Schlacht erinnern sehr deutlich an die historischen Uniformen der französischen Soldaten in der Leipziger Völkerschlacht von 1813 – ein weiterer Bezug zu dieser Stadt und ihrer Geschichte. Doch im Zentrum der Regiearbeit steht eine differenzierte und komplexe Personenregie, die die fatalen Beziehungsgeflechte der Protagonisten untereinander zur Geltung bringt.

Mephistopheles ist im wahrsten Sinne Herr des Verfahrens. Elegant gekleidet, mit rotem Ledermantel und rotem Zylinder, lässt er die Figuren wie Marionetten tanzen, dirigiert das Ensemble und die Geschichte. Was er anfasst, fängt Feuer und brennt. Mit entsprechenden Spezialeffekten ist ständig Feuer auf der Bühne mit durchaus komödiantischen Elementen. Mephistopheles holt sich alles heim in seine brennende Hölle, bis auf Margarethe, deren Glaube an Gott und Erlösung stärker ist und sie vor dem Fegefeuer auf der Hinterbühne bewahrt. Ganz starke Momente hat die Regie, wenn der Konflikt Gott – Teufel, Himmel – Hölle thematisiert wird. Fast schon blasphemisch hängt Mephistopheles seinen Mantel und seinen Zylinder um ein lebensgroßes Kruzifix. Und als er dem Gekreuzigten auch noch auf den Unterleib schlägt, fängt das Kreuz Feuer. Eine starke, schockierende, aber auch mutige Szene des Regisseurs, genau wie die Bilder von der Walpurgisnacht, wo der Teufel mit den gefallenen Soldaten kopuliert. Es ist der lebendig gewordene Alptraum für Faust, der die Fatalität seines Jugendwahns erkennt, aber zu spät. Und Margarethe, die ihr uneheliches Kind in einer Wanne sichtbar für das Publikum ertränkt hat, ist wahnsinnig geworden. Doch der Wahnsinn lässt sie wieder zum kindlichen naiven Mädchen werden, das gottgläubig nach seiner Hinrichtung auf die Barmherzigkeit Gottes hofft.

Es sind starke und bewegende Bilder, es sind aber auch starke Stimmen, die diese Aufführung zu einem großen Erlebnis machen. Allen voran Olena Tokar in der Rolle der Margarethe. 2009/2010 als Elevin an die Oper Leipzig verpflichtet und dem Publikum bisher durch kleine Rollen bekannt, hat sie in dieser Aufführung ihren ersten großen Auftritt. Behutsam aufgebaut, hat die junge Sopranistin eine großartige Entwicklung genommen und feiert mit dieser Darbietung ihren Durchbruch. Mit leichtem Stimmansatz bewältigt sie mühelos die Partie, und die dramatischen Höhen, Registerwechsel und Tessitura sind bei ihr nahezu idealtypisch angelegt. Mit der großen Juwelenarie erobert sie das Leipziger Publikum im Sturm und bekommt großen Szenenapplaus. Auch spielerisch zeigt sie eine enorme Verwandlungskraft, vom jungen naiven Gretchen zur liebenden Frau, die dann ihr Kind tötet und vom Wahnsinn befallen wird, das ist schauspielerisch eine ganz große Leistung. Der Tenor Mirko Roschkowski in der Titelrolle passt mit seinem warmen Timbre und seinen klaren und durchdringenden Höhen hervorragend zu Olena Tokar, deren Stimmen wunderbar harmonieren. Seine große Arie Salut gelingt ihm auf beeindruckende Art. Auch er überzeugt durch eine intensive Bühnenpräsenz. Großartig der Bariton Tuomas Pursio in der Rolle des Höllenfürsten, der an dieser Rolle sichtliches Vergnügen hat. Er ist der große Zampano, der alles bestimmt, mal elegant und charmant, mal brutal mit offener Teufelsfratze. Die Diabolik der Rolle legt er auch in seinen Bariton hinein, der markant das musikalische Geschehen dominiert. Mit seinem Lied vom goldenen Kalb setzt er einen musikalischen Höhepunkt an diesem Abend. Jonathan Mitchie gibt den Valentin mit großem Ausdruck und noch jugendlichem Bariton und Spiel. Berührend sein Tod und die Verfluchung seiner Schwester, aber auch seine Scheidearie im ersten Aufzug lässt aufhorchen. Kathrin Göring verleiht mit ihrem warmen Mezzosopran und intensivem Spiel der Figur des Siebel eine eigenständige Persönlichkeit und ist der Gegenpol zum überschäumenden Faust. Karen Lovelius gibt der Witwe Marthe einen aufdringlichen Charakter, vor der sogar der Teufel Respekt haben muss. Sejong Chang als Soldat Wagner kann seinen markanten Bass zur Geltung bringen und sich für weitere Aufgaben empfehlen.

Der Chor der Oper Leipzig, bestens einstudiert und präpariert von Alessandro Zuppardo, bringt sich stark in die Aufführung ein. Der Soldatenchor wird militärisch kernig intoniert, und die Walpurgisnacht ist auch für das Chorensemble eine besondere musikalische und schauspielerische Herausforderung.

Das Gewandhausorchester unter der musikalischen Leitung von Anthony Bramall ist an diesem Abend bestens disponiert. Es wird mit großer Leidenschaft musiziert, Bramall trägt die Sänger mit unprätentiösem Dirigat und lässt so den Klangköper aus Orchester, Chor und Sängerensemble zu einer musikalischen Einheit werden. Die romantischen Momente Gounods werden sauber herausgearbeitet, und der Wechsel zur Dramatik folgt ohne Brüche.

Das Publikum ist am Schluss größtenteils begeistert, und es gibt großen und langanhaltenden Beifall für Sänger, Chor und Orchester sowie Jubel für die drei Hauptakteure. Vereinzelte Buhs für das Regieteam stören nicht den grandiosen Gesamteindruck dieser Inszenierung, die das Zeug zu einem neuen Dauerbrenner an der Oper Leipzig hat, und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Bettina Stöß