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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
10. Mai 2014
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Krefeld

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Zur Hölle mit dem Hund

Wer das erlebt hat, was sich heute Abend auf der Bühne in Krefeld abgespielt hat, wird immer wieder in die Oper rennen – um so was noch einmal zu erleben. Aber allzu oft widerfährt einem solches nicht. Was Kobie van Rensburg da inszeniert hat, ist, warum es Regietheater geben muss. Drei kürzeste Stunden lang werden bei diesem Don Giovanni alle Sinne angesprochen und gefangen genommen. Van Rensburg macht das, was ein wirklich guter Regisseur so tut, um einen Klassiker neu zu erfinden: Er geht ergebnisoffen an den Stoff ran, zerpflückt ihn und setzt ihn ganz liebevoll so wieder zusammen, dass das Original keinen Schaden nimmt, sondern etwas hinzugewinnt. Diese Inszenierung hier ist im doppelten Wortsinn großes Kino. Die Vielfalt der Stilmittel ist schier grenzenlos. Sitzt der Zuschauer eingangs im Stummfilmkino, in dem es noch das große Orchester gibt, sieht er sich alsbald mit dem Kampf von Licht gegen Schatten des Film noir gegenüber, um in wenigen Requisiten wenigstens etwas operesk Gewohntes wieder zu entdecken. Die Übertitel sind nicht mühsam als vordigitales Punktdesign zu entziffern, sondern präsentieren sich in wandelnder Gestalt, werden selbst zum dramaturgischen Element, in unmittelbarem Bezug zu den singenden Personen. Zumindest überwiegend gelingt das. Der Text ist nicht in historischer Aufführungstreue aus dem Libretto abgetippt, sondern liebevoll und saftig modernisiert. Dramaturgin Ulrike Aistleitner und van Rensburg haben eine Sprache gefunden, in der der padron zum Chef wird, der „abgemurxt“ werden soll, und auch ein „AAAHHHH!!!“ fällt schon mal auf die Projektionsfläche, nie aber, ohne den Respekt vor dem Original zu verlieren. Platz finden die Texte auf den Prospekten, die der Regisseur in immer wieder verschiedenen Ebenen hängt, um sie als Projektionsflächen für Filme oder Fotos zu nutzen. Und ehe sich der Effekt auch nur andeutungsweise abnutzen könnte, ist die Handlung bereits bei der Friedhofsszene angekommen, der schwächsten Stelle der Inszenierung. Sie ist allerdings nur ein letztes Durchatmen vor dem Finale furioso. Da lässt der Regisseur Bühnennebel in den Publikumsraum blasen – zugegeben, um einen noch nicht erlebten Effekt zu erzielen – und der erfahrene Opernbesucher antizipiert, was gleich darauf passiert: Der Husten läuft wie eine Welle durch das Publikum. Es ist allerdings der letzte, der vor der großen Atemlosigkeit im Publikum kurz Raum greift. Die Höllenfahrt ist so etwas von intensiv, dass hier keiner, der das erlebt, noch Zeit mit Atemholen verschwenden will. Was kann danach noch kommen? Eine gelungene Schlusspointe – und die gelingt nicht nur, sondern krönt die Leistungen, die die Akteure an diesem Abend zeigen.

In Krefeld wird mit einem Einsatz gesungen und gespielt, der manchem Staatstheater gut zu Gesicht stünde. Hier braucht man sich nicht über den „psychologischen Tiefgang“ zu freuen, sondern das Personal auf und vor der Bühne setzt alles daran, das Publikum zu fesseln, in den Bann der Handlung zu ziehen. Das gelingt an diesem Abend in noch nicht gesehener Weise. Hier werden die Fäden eines dramma giocoso ohne Hauch von Slapstick, aber mit aller Dramatik gezogen. Mit Martin-Jan Nijhof gibt es die Idealbesetzung des Don Giovanni. Von Statur und Erscheinung nimmt man ihm den Menschen ab, der sich rücksichtslos und ohne Angst vor Konsequenzen an der Welt berauscht. In der Premiere ist das, wie bei den übrigen Akteuren auch, noch sehr an der Einstudierung orientiert. Wenn sich das eingeschliffen hat, wird das Publikum einen Giovanni erleben, den es nicht mehr vergessen wird. Sein Bariton meistert mühelos alle Klippen, die ein Don Giovanni zu überwinden hat, ja, ist nahezu unterfordert. Seine Verflossene, Donna Elvira, singt Debra Hays grenzwertig, spielt aber die trutschig-naive Rolle überzeugend. Eine angenehme Überraschung ist der Auftritt von Elena Sancho Pereg, die der Donna Anna eine nahezu kindliche Gestalt verleiht, aber mit Strahlkraft, Selbstbewusstsein und Klarheit in der Stimme auftritt, mit der man ihr mühelos den Wunsch nach Rache abnimmt. Eine Sängerin, die man sich merken muss. Christoph Meyer, Intendant der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, hat sie sich bereits gemerkt, und so wird Pereg in der nächsten Spielzeit dort zu hören sein. Als Manon hat sie sich an der Rampe in die Herzen des Publikums gesungen, als Zerlina zeigt sie vollen Körpereinsatz, ohne dass der Glanz ihrer Stimme auch nur einen Hauch verlöre: Sophie Witte entwickelt sich eindeutig zum Star des Ensembles. Ihr Bräutigam Masetto wird von Matthias Wippich überzeugend interpretiert. Auf gleich hohem Niveau bewegt sich Michael Siemon als Don Ottavio. Profilieren kann man sich sehr gut mit der Rolle des Leporello. Diese Chance nutzt auch Andrew Nolen, der die Rolle eher unaufgeregt anlegt und gerade damit überzeugender ist als manch anderer Versuch, dem Leporello einen Komiker aufzuzwingen. Der Bass des Komtur ist meist ausschlaggebend für den Erfolg einer Don-Giovanni-Inszenierung. Bondo Gogia bekommt den Gänsehaut-Effekt ohne Mühe hin. Die neu eingeführte Rolle des Django als stummen Musiker im Dienste Don Giovannis bekommt Andrew Maginley mit schönen Solo-Einlagen, insbesondere auf der Mandoline, überzeugend hin.

Der Chor des Theaters ist, wie üblich, so gut von Maria Benyumova einstudiert, dass noch viel Platz für gekonnten spielerischen Einsatz bleibt. Der Statisterie obliegen erotisch angehauchte Tanzeinlagen. Hier überzeugt der Tanz, auch wenn sich „flippige“ Tanzeinlagen auf Stücke aus dem 18. Jahrhundert inzwischen ein wenig abnutzen, geht es doch über die Fantasie eines Disco-Fox selten hinaus.

Alexander Steinitz, Erster Kapellmeister, ist bereits bei anderer Gelegenheit mit überzeugenden Interpretationen aufgefallen. Heute Abend begeistert er nicht nur die Niederrheinischen Sinfoniker für Mozart, so dass sie sich auf die Feinheiten der Partitur voll und ganz einlassen, sondern übernimmt auch gleich noch – mit zusätzlich eingefügtem Swing-Stück – das Cembalo. An wenigen Stellen übermannt die Begeisterung für Mozarts Werk und überlässt die Sänger ihrem Schicksal, was aber van Rensburg mit seinen „Übertiteln“ lässig ausgleicht. Ansonsten zeigt sich Steinitz souverän und mit viel Spaß und Konzentration bei der Sache.

Das Publikum, aufgrund der Vorberichte in der Lokalpresse einigermaßen skeptisch, ist hingerissen und präsentiert die ganze Palette der Dankbarkeit vom Trampeln mit den Füßen, begeistertem Applaus über Bravo-Rufe bis zu stehenden Ovationen. Viele haben schon in der Pause keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die Geschichte nach dieser Inszenierung zum ersten Mal richtig verstanden haben. Und darüber freuen sie sich. Dass es auch in dieser Premiere ältere Menschen gibt, die es nicht für nötig halten, sich bei den Akteuren zu bedanken, sondern stattdessen lieber als erste aus dem Parkhaus fahren – geschenkt. Dass man sich diese Inszenierung mehr als einmal anschauen kann, um alle Finessen zu erfassen, ist in erster Linie ein Kompliment an Kobie van Rensburg für die Detailfreude, an Dorothee Schumacher und Lutz Tremper für eine fantastische Bühne und Kostüme aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts bis hin zur Moderne, die sich nahtlos in die Inszenierung einfügen. Für den, der Oper nicht mag, weil er sie in erster Linie gar nicht kennt, ist dieser Don Giovanni Pflichtbesuch.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Matthias Stutte