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Fakten zur Aufführung 

SOLARIS
(Detlev Glanert)
2. November 2014
(Premiere)

Oper Köln, Oper am Dom


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Gefeierter Glanert

Wenn Detlev Glanert eine Oper komponiert, wird diese, so hat es den Anschein, erst einmal vom deutschen Feuilleton „hochgeschrieben“. Ein schönes Beispiel liefert die Berichterstattung zur Uraufführung von Solaris in Bregenz am 18. Juli 2012. Das mag zum einen daran liegen, dass Glanert ein höchst sympathischer Zeitgenosse ist, zum anderen fallen einem neben Manfred Trojahn und Helmut Oehring nicht so viele lebende deutsche Komponisten ein, die größere Werke zur Opernliteratur beisteuern. Und ehe man sich die Frage stellt, ob es die Oper überhaupt noch als Gegenwartsveranstaltung gibt – und damit auch die Frage nach dem Bedarf an Opernkritikern – ist es einfacher zu betonen, dass Glanert „der meistgespielte zeitgenössische Opernkomponist“ sei. Über die Petitesse, dass ein deutscher Komponist in Österreich uraufgeführt wird, breitet man lieber gleich das Mäntelchen des Schweigens. Da beeilen sich die Feuilletonisten zu betonen, dass es sich um eine Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin handele. Die platzte allerdings im Oktober vor zwei Jahren. Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper, verkündete, eine eigene Inszenierung in der Spielzeit 2015/16 präsentieren zu wollen, nachdem die Presse sich in seltener Einigkeit über die fatale Inszenierung der Uraufführung geäußert hatte.

Nun ist die Oper Köln den Berlinern mit der deutschen Erstaufführung zuvorgekommen. Dass dort im Programmheft an üblicher Stelle ein Hinweis auf die Uraufführung fehlt, ist vermutlich nur einem Flüchtigkeitsfehler der Dramaturgen geschuldet. Also alles auf Neustart. Komponist Glanert, der in der Regel spätestens zur Generalprobe eines seiner größeren Werke anreist, wirkt schon vor Beginn der Aufführung eher zufrieden. Und wirklich: Zunächst einmal beeindruckt das Bühnenbild von Darko Petrovic. Im Zentrum die Plattformreste einer gestrandeten Raumstation, die mit ihren Füßen in waberndem Nebel steht, der sich später in eine Wasserfläche verwandelt. In die Plattform eingelassen allerlei Kleinigkeiten, die im Lauf der kommenden gut zweieinhalb Stunden eine Rolle spielen. Auftritte und Abgänge werden mittels durchziehender Wände mit leuchtenden Computerschriften vollzogen. Eine witzige, spannende und originelle Idee. Andreas Grüter taucht die Szenerie in sparsam aufgeteilte Lichtwechsel, die oftmals langatmig werden und damit die Langsamkeit der Handlung unnötig unterstreichen. Glanert ist bekannt dafür, dass er auf Inszenierungsideen flexibel eingeht und Spaß daran hat, mit dem Regisseur gemeinsam am Werk zu feilen. Umso überraschender ist, dass Regisseur Patrick Kinmonth an der Libretto-Fassung von Reinhard Palm, der im Januar dieses Jahres verstarb, festhält und damit unnötige Ungereimtheiten in Kauf nimmt. So scheint Kinmonth sich insgesamt mehr auf die Personenführung als auf die Inhalte zu konzentrieren. Und das kann er. In keinem Moment wirkt das Geschehen statisch. Um die zahlreichen seelenbezogenen Vorgänge zu interpretieren, setzt er Doppelungen ein – hier ein großes Lob an die Statisterie. Zudem kann Kinmonth mit dem Chor umgehen. Ihn lässt der Regisseur mit wabernden Bewegungen durch das Wasser platschen, und selbst wenn der Chor – in einer wieder mal hervorragenden Einstudierung von Andrew Ollivant – als reines Musikinstrument, also ohne sinnhaltigen Text, sondern mit reiner Lautmalerei beauftragt ist, scheint er für die Handlung unentbehrlich und ist dementsprechend auf der Bühne gegenwärtig. Annina von Pfuel kleidet Solisten wie Chor und Statisterie in einfache, fantasievolle, aber stimmige Kostüme. Die Erotik, die dem Werk innewohnt, wird kurzerhand der Prüderie geopfert. Da hilft auch die Kopulationsszene zwischen Kevin und Harey nicht.

Kris Kevin ist Psychologe und reist auf die Raumstation Solaris. Nikolay Borchev spielt einen jungen Mann, der sich mehr und mehr in die inkorporierte Geistesmaterie verstrickt. Nicht sein Spiel ist das Problem, sondern sein Gesang wie der der anderen Protagonisten. Wird hier schlecht gesungen, oder gibt die Partitur nicht mehr her? Wer Bjarni Thor Kristinsson als leitendem Wissenschaftler der Raumstation zuhört, kommt angesichts eines perfekt ausgeführten Basses auf den Verdacht, dass die Partitur nicht mehr hergibt. Verstärkt wird dieser Gedanke, wenn man Martin Koch als Snaut zuhört, der bereits in Bregenz gesungen hat und auch in Köln ein starkes Spiel abliefert, stimmlich aber nicht herausragt, was nicht an seinen Fähigkeiten liegt. Die Rolle der Harey spielt Debüttantin Aoife Miskelly überzeugend, aber auch stimmlich beliebig. Eine Ausnahme bietet in mehrfacher Hinsicht Hanna Herfurtner, die als Zwerg angekündigt ist. Tatsächlich erlebt man sie als Sklavin von Sartorius, die ihm hörig ergeben ist. Herfurtner, obwohl in der Nebenrolle besetzt, beeindruckt vokal am ehesten. Stimmlich gleichauf Dalia Schächter, die die undankbare Aufgabe hat, „Kot“ aus dem Hintern von Snaut zu holen. Eine mehr als abgeschmackte Provokation des Regisseurs, die nichts zur Handlung beiträgt und damit so überflüssig wie ein Kropf ist.

Was der Partitur in gesanglicher Hinsicht zu fehlen scheint, gelingt Glanert aus musikalischem Blickwinkel. Die „moderne“ Musik kommt fast vollständig ohne Atonalität aus, nutzt sie allenfalls zu dramatischen Zwecken, unterstützt Handlung und Sänger. Zwar droht Glanert damit in den Zwiespalt zwischen Neuer und Alter Musik zu geraten, zeigt aber möglicherweise einen Weg in die Zukunft. Schwer haben es Lothar Zagrosek und das Gürzenich-Orchster damit nicht, das Publikum musikalisch zu beeindrucken. Ob violines Feingefühl oder eindrucksvolles Schlagwerk: Die Akzente und die Unterstützung der Sänger stimmen.

Das Publikum schwankt zwischen „Was hat denn eine Raumstation mit Oper zu tun?“ und Begeisterung. Freundlicher und nachhaltiger Applaus lässt bewusst Buh-Rufe für die Inszenierung aus. Die war einfach gelungen – und irgendwann möchten wir erfahren, wie der Name der Droge lautet, die Glanert und Palm genommen haben, als sie dieses Werk geschaffen haben. Und das ist durchaus als Kompliment gemeint.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Bernd Uhlig