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Fakten zur Aufführung 

SEMELE
(Georg Friedrich Händel)
14. Juni 2015
(Einmalige Aufführung)

Philharmonie Köln


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Endlose Seligkeit

Lucky omens verkündet der Chor zu Beginn mit polyphoner Raffinesse. Endless pleasures verspricht Semele, die Tochter des thebanischen Königs Cadmus, in ihrer eleganten Gavotte zum Ende des ersten Aktes. Unter glücklichen Vorzeichen agieren nicht nur die Akteure in Händels Oper nach der Art eines Oratoriums. Nimmt doch die Dreiecksgeschichte im antiken Göttermilieu mit allzu irdischem Liebeshändel letztlich ein glückliches Ende. Mehr als glücklich, schlicht superb sind die künstlerischen Vorzeichen, unter denen sich die konzertante Aufführung von Semele in der Kölner Philharmonie entfaltet. Britische Barockkompetenz auf höchstem Level gilt es zu erleben, ergänzt um vokale Klasse der flandrisch-flämischen Schule. Die Formationen sind seit Jahren aufeinander eingespielt und vertraut mit den höchst komplexen Stoffen des Hochbarock. Alles ist angerichtet für ein musikalisch-kulinarisches Mahl. Erst zwei Tage zuvor haben sie Semele bei den Händel-Festspielen Halle präsentiert. Und wieder ereignet sich – dem Phönix aus der Asche gleich, dem finalen Symbol der Handlung – das Wunder einer musikalischen Verzauberung. Es lässt das Publikum staunen und dem Ganzen höchst diszipliniert folgen.

Semele, das 1744 im Theatre Royal in Covent Garden uraufgeführte Musikalische Drama, ist eine Genre-Rarität, deren Stellenwert sich letztlich nur aus Händels jahrelangem verzweifelten Kampf um den Erhalt seines Londoner Opernunternehmens erklären lässt. Nach dem zweimaligen Scheitern seiner Karriere als Theaterimpresario unternimmt der deutsche Komponist einen letzten Versuch, das der italienischen Oper überdrüssige Publikum mit englischsprachigen Stoffen und einem neuen Format zurückzugewinnen. Zwischen 1739 und 1752 entsteht so rund ein Dutzend Quasi-Opern, nun Oratorien genannt, die ihre Story zumeist aus biblischen Stoffen schöpfen. Semele ist darunter neben Hercules die Ausnahme. Das Libretto des Händel-Vertrauten William Congreve nach den Metamorphosen von Ovid fußt auf einem weltlich-mythologischen Stoff, ohne Bezug auf das sonst übliche Alttestamentarische. Heute mutet es als ein englisches Opus mit Migrationshintergrund an, das Fundamente europäischer Kultur vereint. Ein frühes Zeugnis höchster Kunst, die sich erst im interkulturellen Zusammenfließen von Formen und Stilen bildet. Diversity pur.

Die Klangkörper, mit denen der Barockspezialist Ivor Bolton, Dirigent der Aufführung und designierter Musikdirektor des Teatro Real in Madrid, konzertiert, manifestieren ein Stück weit die Vorgeschichte des Werks. Concerto Köln, seit einem Vierteljahrhundert ein Begriff in der höchsten Liga der historischen Aufführungspraxis, ist vor drei Jahren von der EU-Kommission zum kulturellen Botschafter der Europäischen Union ernannt worden. Das von Benjamin Bayl einstudierte Collegium Vocale Gent, 1970 aufgebaut von Philippe Herreweghe, reist unter dem nämlichen Rubrum durch die Konzertsäle der Welt. Sie treten als unaufdringliche Promotoren einer kulturellen Vision von Europa in Erscheinung und zeigen sinnfällig auf, was auf der politischen Ebene zu erodieren droht: Europas Kultur als Summe vielfältiger Wurzeln.

In einheitliches schlichtes Schwarz gekleidet, erscheinen die 35 exzellenten Musiker von Concerto Köln wie ein Understatement ihrer Kunst. Very british irgendwie. Was sich dann aber von Sinfonia zu Sinfonia, Aria zu Aria und in den bedauerlicherweise nur raren Ensemblenummern unter Boltons vitalem wie sensiblem Dirigat aufbaut, packt die Zuhörer auch über den langen Bogen von über drei Stunden. Diese nimmt das Werk ungeachtet geringfügiger Striche – so die Szenen des Cupido – in Anspruch. Die Musiker profitieren von Händels prachtvoller Partitur, die ihnen jegliche Option eröffnet, im Furioso königlich zu brillieren und im stillen Klagen eine Atmosphäre der Verinnerlichung zu schaffen. Kurioserweise profitieren von der Partitur ganz speziell die beiden Hornisten. Händel setzt nur im ersten Akt, der im Tempel der Ino spielt, auf das Horn. Danach bilden allein die Trompeten die Blech-Fraktion, ohne ihre Kollegen vermissen zu lassen.

Famos nicht minder das Collegium Vocale Gent, ebenfalls in vornehmes Schwarz gewandet. Die Stimmgruppen – Sopran, Alt, Tenor, Bass – sind singulär vorzüglich wahrzunehmen, finden freilich überwölbend in einem äußerst homogenen Klangbild zusammen. Händel liebt, jedenfalls in seinen Oratorien, seine Chöre und schreibt ihnen allerlei Bravourstücke auf die Kehlen, die in Semele im Schlusschor Happy, happy shall we be geradezu triumphieren. Das Collegium singt mit Verve, die ultimative Chance voll genießend.

Carolyn Sampson in der Titelpartie und Ruby Hughes als Götterbotin Iris bleibt es vorbehalten, für äußerliche Farbtupfer zu sorgen, die eine in einer gold-braunen Robe, die andere in einem flaschengrünen Kleid. Sampson interpretiert die Semele, wohl eine Inkarnation des Weiblichen an sich und daher die reine Verlockung für Jupiter, seit mehr als einem Jahrzehnt. Auf dieser Grundlage des Professionellen, ohne in Routine zu verfallen, zieht sie alle Register der Virtuosität, singt und spielt sie die der Rolle geschenkten vielfältigen Koloraturen grandios. Ihre Spiegelarie Myself I shall adore erlaubt ihr zudem allerlei Koketterien, die im Saal gut ankommen. Wunderbar harmoniert ihr Sopran im Übrigen mit dem Alt der Susan Bickley als Ino, beispielsweise in dem Duett Prepare then, ye immortal choir. Diese läuft in der Rolle von Semeles Schwester, besser: singt zu großer Form auf. Auch Hughes macht aus den ironischen Akzenten, die Händel und Congreve ihren Protagonisten reichlich mitgegeben haben, das Beste.

Im rein britischen, auf Homogenität gepolten Sängerensemble lassen auch die Herren nichts zu wünschen übrig. James Gilchrist ist als Jupiter und Apollo eine adäquate Besetzung. Sein Tenor ist subtil und flexibel, sein dezent angedeutetes Spiel von ironischer Tiefgründigkeit. Auch er profitiert übrigens von Händels sanfter Frivolität im Umgang mit seinem Sängerpersonal. Fast zwei Stunden ist die Aufführung bereits im Gange, ehe er überhaupt in Aktion tritt. Das aber in Lay your doubts and fears away mit Aplomb. Wie gern die Sänger in einer womöglich inszenierten Fassung Vokales und Spielerisches kombinieren würden, demonstriert auch Andrew Foster-Williams, der als Cadmus, Hohepriester und Somnus auftritt. Sein markanter wohliger Bass ist ein Genuss.

Homogenität aller Mitwirkenden, wie gesagt, ist das leading principle des Stils von Bolton und dieser herausragenden Aufführung. Das so gewollte Primat lässt sich speziell am Countertenor Lawrence Zazzo festmachen. Er gibt den mit Jupiter um Semele konkurrierenden Prinzen Athamas. Zazzo vermeidet sämtliche Showallüren, ohne sein Talent zu spielerischen Aktionen zu verbergen. Er fügt sich nahtlos in den organischen Kontext ein, trachtet nie danach, die Philharmonie mit einer Arena des Zirzensischen zu verwechseln, was für die aktuelle Countertenorszene ja gerade nicht untypisch ist. Natürlich ist er auch am einzigen Quartett des Werks beteiligt. Es entwickelt im ersten Akt eine Art Alleinstellungsmerkmal, den Kronjuwelen der englischen Könige zu Händels Zeiten ähnlich, die ihren Favoriten über viele Jahre förderten.

Das Publikum hat die Künstler schon vor dem ersten Ton mit herzlichem Beifall empfangen, eine Willkommenskultur besonderer Art. Nach dem Finale steigert sich der Applaus ins Enthusiastische. O ecstacy of happiness, singt in der Spiegelarie Seleme, vom eigenen Bild verzückt. Fürwahr ein Eindruck, der von dieser Aufführung bleiben könnte.

Ralf Siepmann