Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ROCKY HORROR SHOW
(Richard O'Brien)
29. Oktober 2014
(Premiere)

Lanxess Arena Köln


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Mut zur Größe

Es gibt nichts mehr zu berichten. Es ist wirklich alles gesagt. Seitdem Richard O‘Briens Rocky Horror Show am 16. Juni 1973 auf einer Londoner Studiobühne uraufgeführt wurde, sind zahllose Hymnen darüber geschrieben worden. In unzähligen Stadttheatern dieser Welt sind feuerpolizeiliche Bestimmungen missachtet worden, um das Sensationsstück auf die Bühne zu bringen. Und tausende Kinobesitzer wollten seit 1975 angesichts der Reinigungskosten ihrer Kinosäle schier verzweifeln, bis sie die Einnahmen zählen konnten. Die Generationen wechseln, die Faszination für die Rocky Horror Show nicht.

Dass das Spiel um Identitäten allerdings einmal in der größten Multifunktionsarena Deutschlands in Köln aufgeführt werden könnte, hat sich O’Briens sicher nicht vorstellen können. Das Stück ist über 40 Jahre alt, abgenudelt, wie will man damit 5.000 Plätze füllen? Der pure Wahnsinn. Aber was lernt der Marketingexperte als erstes? Think big. Und weil das Marketing von BB Promotions funktioniert, trotzdem die Stadt Köln offensichtlich derzeit alles daran setzt, mit Straßen- und Brückensperrungen, Radarkontrollen und Geschwindigkeitsbegrenzungen Menschen aus der Stadt fernzuhalten, strömen Fans und Neugierige, vor allem aber Jugendliche in den bekannten Verkleidungen in die Arena. Sie lassen sich nicht abhalten von wucherhaften Parkgebühren und unübersichtlichen Ausschilderungen. Es herrscht Partystimmung schon vor den Eingängen. Und die Veranstalter drehen den Spieß um. Warum sich über Reis, Klopapierrollen, Leuchtstäbe und Wasserpistolen ärgern? Am Eingang bekommen die Gäste eine Tüte mit Logo ausgehändigt, die sie mit Sicherheit mindestens in den nächsten Jahren nicht aus den Händen geben werden.

Weil das, was sie in den nächsten zweieinhalb Stunden erleben werden, so abgedreht und größenwahnsinnig ist, dass sie darüber noch ihren Enkeln berichten werden. Im Vorfeld werden auf einer Leinwand auf der Bühne Trailer von Gruselfilmen in schwarzweiß gezeigt. Das überbrückt leichterdings die Viertelstunde Verspätung, bis die Aufführung beginnt.

Und wenn die Vorstellungen der Rocky Horror Show auf dieser Welt auch variieren, müssen sie im Grunde nur die Schlüsselpunkte zeigen, die Originalkostüme möglichst originalgetreu nachempfinden und dann können die Darsteller mit der Band und dem Publikum die Feier beginnen. In der Inszenierung von Sam Buntrock gibt es alles, was das Herz des Fans begehrt. Ungehemmt laut dürfen die Darsteller und die Band im Sounddesign von Jon Pitt werden. Es scheint keine Begrenzung der Phonzahlen ohne Qualitätsverluste zu geben. David Howe hat dazu ein Licht entworfen, das alle Register zieht. Selbst die Bühnenumrandung ist noch gut für Leuchtbänder. Scheinwerfer setzen die Darsteller – und das Publikum – prall in Szene. David Farley findet nicht nur die archetypischen Merkmale der Kostüme, sondern schafft auf der überraschend kleinen Bühne auch Platz für all die Phantasien, die O’Brien durch den Kopf geschwirrt sind. Dabei lässt er die Musiker auf einer Empore oberhalb der Bühne Platz nehmen und findet bewusst kleinteilige Requisiten, die schnell ausgetauscht werden können. Im „Showteil“ darf es dann ein gerüschter, pinkfarbener, mehrteiliger Vorhang sein, der beim Publikum Begeisterungsrufe beschwört. Es ist die satte Lust, die das Leitungsteam umtreibt. Und es gibt im Publikum viele, die auf die Abläufe eingeschworen sind und lediglich auf ihr Stichwort warten. Ein ideales Zusammentreffen, das die Stimmung im Nu auf den Höhepunkt treibt.

Schon beim Prolog Science Fiction Double Feature von Magenta alias Maria Franzen steigt die Temperatur in der Halle merklich an. Bei Janet scheidet sich in der Regel die Spreu vom Weizen. Da gibt es die Lieblichen, die sich aus der Rolle nicht lösen können. Und da gibt es eine Harriet Bunton, die sich von der Blümchen-Jungfrau zur erwachsenen Frau entwickelt. Stimmlich schafft sie den Spagat locker, aber eben auch darstellerisch. Grandios. Die Rolle der Janet ist dankbar, wenn man die künstlerischen Fähigkeiten besitzt, aber Bunton setzt noch mal eins drauf. David Ribi als Brad singt und spielt rollengerecht. Bekommt Riff Raff Stuart Matthew Price die Grenzen von Buntrock gesetzt oder mag er sich nicht so recht entwickeln? Jedenfalls bleibt die Rolle blass. Anders als die des Frank’n’furter. Rob Fowler spielt sie über die Maßen gut, nutzt die richtigen Gelegenheiten für den Dialog mit dem Publikum, das ihm „aus der Hand frisst“. Er zeigt stimmlich und darstellerisch Souveränität. Er ist der Star, ohne „tuntig“ zu wirken. Großartig. Hannah Cadec als Columbia gelingt ein ausgezeichnetes Falsett, das so glasklar ist, dass die Unterzeichnung der Rolle unbeachtet bleibt. An Rocky gefällt dem weiblichen Publikum in erster Linie der durchtrainierte Körper von Vincent Gray. Trotz Posiererei und güldnem Lockenkopf gelingt es ihm, die Rolle der Albernheit zu entziehen. Wie üblich werden Eddie und Dr. Scott von einer Person dargestellt. Charlie Brunton bekommt das wunderbar hin. Sky Du Mont fehlt die Natürlichkeit – oder besser: Knorrigkeit des Erzählers. Er gibt ihn als „Gentleman“, aber das will nicht so recht funktionieren, und schon gar nicht, wenn er jovial auf das boring des Publikums eingeht. Vor allem die dämlichen Anspielungen auf die Köln-Düsseldorf-Konkurrenz lösen zwar Lacher aus, sind aber wirklich nicht mehr zeitgemäß. Am Ende steht er unbeholfen auf der Bühne rum, und keiner vermisst ihn.

Den Folgeveranstaltungen in anderen Städten ist zu wünschen, dass sie den ungehemmten Sound von Martin Böhm und Ludwig Coss in derselben Qualität genießen können, wie ihn die Band in Köln zelebriert.

Zum Ende der Vorstellung dürfen sie sich alle feiern: Das Publikum, die Darsteller, die Band und das Leitungsteam. Unter zwei frenetischen Zugaben geht eine Ausnahmeaufführung zu Ende, die ihrerseits zum Kult-Ereignis werden wird. Glückwunsch an die, die hier groß gedacht haben.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Thommy Mardo, Jens Hauer