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Fakten zur Aufführung 

IL PRIGIONIERO/ EKKLESIASTISCHE AKTION
(Luigi Dallapiccola/
Bernd Alois Zimmermann)
27. März 2015
(Premiere)

Oper Köln, Oper am Dom


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Hoffnungslosigkeit in rosigem Schein

Luigi Dallapiccolas Einakter Il Prigioniero – Der Gefangene – und Bernd Alois Zimmermanns Ekklesiastische Aktion Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne: Zu dieser Werkkombination kann man der Kölner Oper nur gratulieren. Und zu der überragenden Leistung von Bo Skovhus, der die zentralen Baritonpartien beider Werke stimmlich und darstellerisch mit geradezu glühender Intensität gestaltet, nicht minder. Ob eine szenische Realisierung beider Stücke sinnvoll ist, und ob der Schweizer Regisseur Markus Bothe den richtigen Ansatz gefunden hat, steht auf einem anderen Blatt.

Zunächst überwiegen die verbindenden Elemente der unter dem nachhaltigen Eindruck des faschistischen Terrors entstandenen und 1950 in Florenz uraufgeführten Oper von Dallapiccola und der genau 20 Jahre später vollendeten Ekklesiastischen Aktion Bernd Alois Zimmermanns. Fünf Tage nach der Fertigstellung nahm sich Zimmermann 1970 das Leben. Beide Werke sind in der Zeit der spanischen Inquisition angesiedelt, beide stellen die humanitären Botschaften der Kirche in Frage und enden in tiefem Pessimismus. Dallapiccola eher zynisch, Zimmermann in depressiver Hoffnungslosigkeit.

Das von Dallapiccola selbst verfasste Libretto stellt den Gefangenen in den Kerkern von Saragossa als ein Opfer dar, dessen nachlassender Lebenswille durch die sanfte Ansprache des Kerkermeisters als fratello, also Bruder, aufrechterhalten bleibt. Der Wärter öffnet ihm sogar die Kerkertüren. Doch der Gang in die Freiheit erweist sich als Weg zum Scheiterhaufen, als sich der Kerkermeister als Großinquisitor zu erkennen gibt und ihn mit seiner zynisch milden Ansprache dem Tod ausliefert.

Zimmermanns Ekklesiastische Aktion ist nicht als Bühnenwerk gedacht, auch wenn die Partitur Anweisungen für Gesten und Bewegungen enthält. Im Zentrum stehen rezitierte Ausschnitte aus Dostojewskis Erzählung Der Großinquisitor, in der Jesus zur Zeit der Inquisition auf die Welt kommt, von den Klerikern sogleich inhaftiert wird und als „schlimmster aller Ketzer“ hingerichtet werden soll. Am Ende wird Christus entlassen mit Worten, die die Entfremdung der Kirche von ihrem Messias in schonungsloser Schärfe auf den Punkt bringen: „Geh und komm nicht wieder….niemals, niemals.“ Von zwei Sprechern ausgeführte Textstellen, die der Bariton in expressiver Intensität wiederholt, durch Passagen aus dem Buch Prediger vertieft und auf die Befindlichkeit eines sich von Gott und der Welt verlassenen Menschen transformiert. Lässt Dallapiccola die Frage nach der „Freiheit“ am Ende offen, begräbt Zimmermann mit dem brutal geblasenen und nach wenigen Takten abrupt abbrechenden Sterbechoral Bachs Es ist genug jede Hoffnung auf ein sinnvolles Leben im Diesseits.

Beide Komponisten weigerten sich standhaft, sich den dogmatischen Diktaten der Nachkriegs-Avantgarde um Adorno und ihren seriellen Sektierern zu beugen. Dallapiccola bewunderte zwar Schönberg und dessen Zwölftonmusik, geht im Prigioniero aber sehr frei damit um und stellt die Technik in den Dienst einer expressiven, vom ersten bis zum letzten Ton packenden Tonsprache. Zimmermann, der unter den mafiösen Zuständen in den Tonstudios, Redaktionen und Musikfestivals der 1960-er Jahre in besonderem Maß zu leiden hatte, liefert mit seinem letzten Werk das Zeugnis einer in Auflösung befindlichen musikalischen Trümmerlandschaft. Die Musik erklingt wie ein zersplitterter, atomisierter Flickenteppich. Mit kurz aufflackernden Bläserattacken, stillen Momenten und assoziationsreichen Geräuschen, als wolle uns Zimmermann die Nagelschläge am Kreuz Christi in die Ohren meißeln. Platz für ein Hoffnungslicht bleibt da nicht.

Zimmermanns Werk, das sich jeder gattungsspezifischen Einordnung entzieht, ruft auch nicht nach einer szenischen Lösung. Und so wie derartige Aufbereitungen traditioneller Oratorien von Bach bis Nonos Prometeo in der Regel unbefriedigend bleiben, erweist sich auch Bothes Inszenierung als überflüssig und sogar verharmlosend. Wenn sich der einsame Mensch am Ende im Schneegestöber von der Bühne verabschiedet, wird die Verzweiflung von kulinarisch-ästhetischen Schleiern geradezu verhüllt. Da wirkt Zimmermanns Anweisung, der Dirigent habe sich am Ende vom Orchester abzuwenden und passiv auf den Boden zu setzen, erheblich eindringlicher. Ein Effekt, der im Orchestergraben freilich wenig Sinn macht. Auch die Chance, die von Zimmermann zur Improvisation freigegebenen Schlagzeug-Passagen auch optisch bis zu chaotischer Raserei voranzutreiben, wird vertan. Stattdessen muss der Regisseur die beiden Sprecher beschäftigen. Und die spielen mit einer Weltkugel und laufen mehr oder weniger sinnfrei über die Bühne. Dass unter dem unangebrachten Aktionismus auch noch die Textverständlichkeit leidet, verstärkt den zwiespältigen Eindruck der Produktion.

Szenisch wesentlich besser steht es um Dallapiccolas Prigioniero. Auch hier endet der gekreuzigte Protagonist zwar im rosig verklärten Schein des Scheiterhaufens im Unterschied zur pointierten Musik in einem geradezu pittoresk-schönen Ambiente. Aber zuvor bildet der grottenhafte Spalt im kalt-grauen Gemäuer des Bühnenbilds von Robert Schweer eine eindrucksvolle Kulisse für einen eingekerkerten Menschen. Allerdings wird der bigotte Zynismus des Kerkermeisters alias Großinquisitors viel zu mild ausgespielt, so dass der kritisch-anklagende Appell des Stücks zu kurz kommt.

Ein Glück, dass ein Sänger vom Format Bo Skovhus die Hauptpartien mit einer unter die Haut gehenden Eloquenz und Eindringlichkeit gestaltet und den szenischen Zuckerguss ein wenig vergessen lässt. Schade, dass der großartige Raymond Very in der Partie des Großinquisitors seine Fähigkeiten in der profillosen Regie nur eingeschränkt ausspielen kann. Dafür nimmt Dalia Schaechter die Gelegenheit wahr, den großen Monolog der Mutter des Gefangenen mit der ihr eigenen Ausdruckskraft zu gestalten. Die beiden Sprecher in der Ekklesiastischen Aktion, Jörg Ratjen und Stephan Rehm, können nichts dafür, dass ihre Turnübungen von der nihilistischen Verzweiflung des Textes ablenken.

Die weichen Konturen der Inszenierung schlagen sich auch in der musikalischen Leitung durch Gabriel Feltz nieder. Feltz scheint die romantischen Anklänge der Dallapiccola-Partitur deutlicher hervorheben zu wollen, als es der groteske Unterton des Stücks erlaubt. Und die räumlich weit verzweigten, in Nischen verstreuten Chor- und Instrumentalgruppen in Zimmermanns Verzweiflungstat tragen auch nicht zu einem messerscharf konturierten Klangbild bei. Damit wird auch der an sich eindrucksvolle Beitrag des Chors unter Leitung von Marco Medved um seine Wirkung gebracht.

Dennoch darf man dankbar für die Begegnung mit diesen beiden großartigen Stücken sein. Das Publikum reagiert entsprechend begeistert. Den Löwenanteil des Beifalls erhält völlig verdient Bo Skovhus.

Pedro Obiera

 

Fotos: Paul Leclaire