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Fakten zur Aufführung 

IWAN DER SCHRECKLICHE
(Juri Grigorowitsch)
19. April 2015

Live-Übertragung aus dem
Bolschoi-Theater Moskau

Residenz-Kino Köln


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Die verletzte Seele eines Herrschers

Live-Übertragungen waren lange Jahre die Kernkompetenz des Fernsehmediums. Als es noch keine Aufzeichnungstechnik gab, war es Alltag für Fernsehmacher, ein Ereignis direkt in die Fernsehstuben zu senden. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen Deutschlands erfüllte nach dem Krieg die Sehnsucht der Bevölkerung nach Bildung und Unterhaltung: Live übertragen wurden Produktionen, die die Theater in Reichweite im Programm hatten. Das geschah auch auf internationaler Ebene. Einige Jahrzehnte später sind Live-Übertragungen für das Fernsehen eine Seltenheit, auf die mittels Texteinblendung dauerhaft hingewiesen werden muss. Viel zu riskant, kostspielig und aufwändig scheint ein solches Unterfangen geraten zu sein. Doch wenn das Fernsehen nicht mehr leisten kann oder will, was Zuschauer suchen, dann finden diese andere Wege, zum Livegenuss zu gelangen: Sie gehen ins Kino. Seit einigen Jahren gibt es nun Direktübertragungen von Ballett- und Opernproduktionen in die Kinosäle der Metropolenstädte, und deren Erfolg scheint ihnen Recht zu geben. Im Kölner Residenz ist das Bolschoi-Ballett zu erleben, zuletzt mit der Produktion Iwan der Schreckliche, weitere Produktionen folgen ab Herbst dieses Jahres.

Der Charme einer Live-Übertragung ist hierbei zeitlos schön: Die Kameras erlauben einen ersten Blick auf die Bühne, auf der die Tänzer und Tänzerinnen die letzten Schritte durchgehen. Eine Sicht auf das prunkvolle Auditorium des Bolschoi-Theaters verleiht dem Ereignis Glanz. Eine adrette Moderatorin begrüßt das Publikum in den Kinos in vier Sprachen, um eine kurze Inhaltsangabe des bevorstehenden Ballettabends herunterzuspulen. Das Wirrwarr der Idiome lässt beim Publikum die Erinnerung an längst vergangene Fernsehabende hoch kommen. Die bequemen Kinosessel mit Bänkchen für die Füße lassen rasch vergessen, dass es nicht das heimische Wohnzimmer, sondern ein Kinosaal ist, in dem man sich befindet.

Die historischen Wurzeln der Handlung von Iwan der Schreckliche werden dem Zuschauer nicht gerade auf die Nase gebunden. Jedoch ist nebensächlich, ob in diesem Ballett jede Regung auf historisch belegten Tatsachen basiert: Iwan IV. wird zum Zaren gekrönt, obwohl die Bojaren als seine Gegenspieler diese Krönung lieber verhindern würden. Der Zar nimmt sich die Bojaren-Tochter Anastasia zur Braut und erfährt eine innige Liebesbeziehung zu ihr. Dieses Glück ist jedoch nicht von Dauer: Im zweiten Akt des Balletts wird die Zarin vergiftet und stirbt einen qualvollen Tod. Iwan IV. zerbricht über diesen Verlust und rächt sich an seinen Widersachern mit der ihm nachgesagten Brutalität.

Choreograph Juri Grigorowitsch schuf dieses Ballett 1975 für das Bolschoi-Ensemble zu der Musik von Sergej Prokofiew. Die war ursprünglich für Sergej Eisensteins gleichnamigen Film komponiert worden. Der Übertrag gelang, und das Ballett wurde ein internationaler Erfolg. Seit 2012 hat das Bolschoi-Ballett dieses Stück wieder im Repertoire, und die Solisten konnten ihre Rollen von der Originalbesetzung vermittelt bekommen. Ein strategisch gelungener Zug zur Traditionsbildung des Ensembles.

Mit energiegeladenen Ensembleszenen und Gruppentänzen ist Iwan der Schreckliche ein klassisches Handlungsballett. Jedoch findet weniger Pantomime zum Vorantreiben der Handlung statt, sondern der Tanz steht als Erzählinstrument vollkommen im Fokus. Grigorowitsch nutzt die klassische Ballettsprache und räumt dem Charaktertanz einen gleichberechtigten Platz neben diesem ein. Star des Abends ist Mikhail Lobukhin, der als Iwan IV. die komplexeste männliche Charakterrolle ausfüllt. An seiner Seite tanzt Anna Nikulina die Anastasia. Als Widersacher Iwans ist Denis Rodkin als Prinz Kurbsky zu erleben. Sprunggewaltig und mit jugendlichem Elan fegt er durch das düstere Ballett. Das Bolschoi-Theater-Orchester spielt unter der Leitung von Pavel Sorokin.

In der Pause zwischen den Akten werden Trailer für die neue Saison gespielt und die adrette Moderatorin interviewt Beteiligte. Als das Ballett zu Ende ist, wird sogar im Kinosaal applaudiert. Den Anwesenden hat die Vorstellung gefallen, denn sie haben bekommen, was sie wollten. Dabei sind die Eintrittskarten für solch eine Veranstaltung alles andere als erschwinglich. In Zeiten von Zwangsabgaben, pardon: der einheitlichen Rundfunkgebühren für das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es ein überholtes System ist, das den veränderten Bedürfnissen der Bevölkerung nicht nachkommen will. Sonst wären ähnliche Ereignisse auch im Fernsehprogramm wiederzufinden.

Jasmina Schebesta



Fotos: Damir Yusupov