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Fakten zur Aufführung 

DIE LUSTIGE WITWE
(Franz Léhar)
31. Dezember 2014
(Premiere)

Oper Köln, Oper am Dom


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Die Beschwerlichkeit des Seins

Loriots Kommentar zur Sache lautet so: „Erstaunlich wie doch in einer rein konzertanten Aufführung die Phantasie geschult wird.“ Bekanntlich pflegt Widerspruch beim Großmeister des feinsinnig-abgründigen Humors wenig auszurichten. Daher soll auch die Entscheidung der Oper Köln, Die lustige Witwe von Franz Lehár als Operette konzertant in den Spielplan zu rücken und die Premiere auf den Silvesterabend zu terminieren, nicht weiter hinterfragt werden. Produktive Anstöße in Richtung Phantasie bietet das als rauschende Silvesternacht inklusive Festmenü und garantierte Nähe zum Feuerwerk über den Rheinbrücken konzipierte Theaterevent jedenfalls zahlreiche. Natürlich zuvörderst die Urfrage, warum sich ein Publikum von heute – 110 Jahre nach der Uraufführung im Theater an der Wien – immer noch an den Ränken und Frivolitäten eines moralisch und politisch abgewirtschafteten Pseudo-Establishments amüsiert, dessen hohl gewordene Legitimität spätestens im Ersten Weltkrieg auf den Schlachtfeldern endet.1914, diese Erfahrung hat das zu Ende gegangene Jahr gelehrt, ist bedrückend aktuell. Wichtig, aber nicht neu. So liegt die Antwort vielleicht in der Musik, die den Komponisten, das Genre und das walzerselige Milieu der Belle Époque zu Wien hat unsterblich werden lassen.

Die lustige Witwe führt die Liste der Operetten an, die es in das Kernrepertoire der deutschen Musiktheater zur publikumsintensivsten Zeit um Weihnachten und die Jahreswende geschafft haben: Lippen schweigen, ‘s flüstern Geigen: Hab mich lieb! Dazu die Aussicht auf Mazurka-Taumel und Maxim-Cancan. Was kann da noch schief gehen? Wie die Premiere unter dem blauen Opernzelt zeigt, durchaus einiges.

Eine konzertante Lustige Witwe ist fraglos etwas anderes als etwa eine konzertante Norma von Bellini. Der musikalische Geniestreich Léhars trägt über manche Plattitüde des Plots hinweg. Und mit etwas Phantasie – vielen Dank, Loriot! – lässt sich so manches zu dem denken, was die mit ihrer Anständigkeit kokettierende Valencienne mit ihrem Verehrer Camille de Rosillon im Pavillon des Gartens treibt, nur wenige Schritte vom werten Gatten entfernt. Gleichwohl müssen die beiden Hauptakteure, die pontevedrinische femme fatale Hanna Glawari und ihr verführbarer Landsmann Graf Danilo Danilowitsch, das Spiel um Gefühlskälte und Liebesglut idealtypisch als ein perfekt aufeinander eingestelltes Paar von Sängerdarstellern verkörpern, soll sich Operetten-Glück pur einstellen. Dass sich eben das mit dem dänischen Bariton Bo Skovhus, dem seit zwei Jahrzehnten auf den Bühnen der Welt erfolgreichen Danilo schlechthin, und der ihr Rollendebüt gebendes, am Kölner Haus bestens beleumdeten Anne Schwanewilms auf Anhieb ereignen würde, ist das A priori dieser Produktion. Dass sich genau diese Erwartung nicht erfüllt, ist dann die zentrale Enttäuschung des Ganzen.

Schwanewilms, unlängst in der Titelpartie von Ariadne auf Naxos in der Oper Köln eine musikalische Erscheinung, ist in der Rolle der Glawari eine grandiose Fehlbesetzung. Keine Frage – wer die Feldmarschallin und die Kaiserin im Strauss-Fach souverän beherrscht, ist natürlich auch den sängerischen Anforderungen der Witwe gewachsen. Nur geht es hier primär um das Komödiantische und die augenzwinkernde Doppelbödigkeit einer Partie, die den Frauenrollen in der Opéra comique oder den Buffo-Protagonistinnen vom Typ Adina oder Rosina sehr viel näher liegt als den dramatischen Heldinnen bei Strauss oder Wagner. Diese Seite lässt die Sopranistin freilich nicht erkennen oder zum Zuge gelangen. Die Leichtigkeit des Léharschen Seins erscheint ihr fremd. Vielmehr wirkt sie merkwürdig gehemmt, zudem am Tropf der Noten und Regieanweisungen hängend. Hier wird eine Partie erarbeitet, anstatt sie auszukosten.

Die problematische Dimension dieses Rollendebüts wird ausgerechnet durch die formidable Qualität noch tiefgreifender enthüllt, die den Danilo des Bo Skovhus auszeichnet. Sein Bariton ist kraftvoll, sonor und einschmeichelnd präsent, variabel in Ausdruck und Lage, wie es eben der jeweilige Moment der Handlung verlangt. Skovhus, in seiner Wagner-Karriere übrigens Wolfram und Beckmesser hinter sich lassend und die wahrhaft fordernde Partie des Hans Sachs erobernd, bewegt sich zudem beeindruckend. Man nimmt ihm jede Pose ab, die des glatten Diplomaten ebenso wie des Bonvivant, dem das Mediokre seiner Existenz dämmert.

Zu den weiteren Besetzungen gibt es einen selten großen Abstand, aber keinen Ausfall. Aoife Miskelly, eine ernsthafte Hoffnung im leichten Fach, macht mit ihrem vielversprechenden Sopran als Valencienne eine mehr als gute Figur. Ein ausgezeichnetes Rollendebüt! Marco Jentzsch in der Partie des Camille de Rosillon bringt einen an Strauss- und Wagner-Rollen geschliffenen Tenor zur Geltung. Allerdings bewegt er sich ein bisschen hüftsteif. Gänzlich anders ist das im Übrigen bei den weiteren Sängerdarstellern. Insbesondere Ralf Rachbauer als Vicomte Cascada und John Heuzenroeder als Raoul de St. Brioche werfen Temperament und Spielfreude in die Waagschale. Das gelingt im Prinzip auch den sechs Grisetten. Sie setzen allerdings mehr auf den Gesang als den Tanz. Der von Andrew Ollivant einstudierte Chor der Oper Köln agiert ohne Fehl und Tadel, ohne allerdings zu brillieren.

Marc Piollet ist dem Gürzenich-Orchester Köln ein einfühlsamer, wenn auch nicht emotional überbordender Musikalischer Leiter. Dieses wiederum hat seine besten Momente in den Passagen, in denen der Wiener Walzer die Seele und – genau – die Phantasie streichelt. Als wollten die Gürzenicher Hannas Credo beurkunden: Bei jedem Walzerschritt tanzt auch die Seele mit.

Für den Hauch an Inszenierung, die es ungeachtet des Generaletiketts doch gibt, sorgt die Regisseurin Eike Ecker, die mit Arbeiten für die Kinderoper des Haues bekannt geworden ist. Der Schauspieler Burghard Braun gibt mit den Utensilien eines Conférenciers als Njegus eine gekonnte Einführung, die manches verspricht, was aber dann nicht eingelöst wird. Im Verlauf der Aufführung wird klar, dass es sich dabei um eine Art Konzession an die Operettenikone Harald Serafin handelt, der wieder einmal sein Publikum entzücken darf und dafür ein Minimum an Kulisse braucht. Einst als Danilo am Theater an der Wien, jetzt, 83-jährig, in der Rolle des Baron Mirko Zeta. Serafin, geboren in Litauen, durch Otto Schenck zum Wiener „umsozialisiert“, zwei Jahrzehnte bis 2012 Intendant der Seefestspiele Mörbisch, agiert mit brummiger Spielfreude und charmanter Lässigkeit, als hätte der Léhar Franz ihm allein und auf allezeit die Rolle auf den Leib geschrieben.

Das Publikum bejubelt mit einer Elle Zurückhaltung schlussendlich die Mitwirkenden, insbesondere Skovhus und Serafin. Mit ein bisschen Phantasie lässt sich das Erlebte als Vorstufe für eine „richtige Aufführung“ denken. Die würde sich dann aber wirklich lohnen, vielleicht in drei, vier Jahren zu Silvester. Und dann im sanierten Riphan-Bau.

Ralf Siepmann

 

Fotos: Paul Leclaire