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Fakten zur Aufführung 

LA DAMNATION DE FAUST
(Hector Berlioz)
7. Dezember 2014
(Premiere)

Oper Köln, Oper am Dom


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Der Zauber des Absoluten

Schon die Introduction ist eine Sensation. Sie ist es bei der Uraufführung in konzertanter Version am Nikolaustag 1846 im Pariser Salle Favart , der späteren Opéra Comique, als Hector Berlioz mit seinem kühnen Wurf Fausts Verdammnis an einem distanzierten Pariser Publikum künstlerisch und vor allem wirtschaftlich kläglich scheitert. Und sie ist es bei jeder Aufführung der Dramatischen Legende in vier Teilen seitdem, ob nun konzertant oder szenisch. Allein aus den Bratschen entwickelt sich das ariose Aufwachen des Faust bei Sonnenaufgang. Hymnisch seine Begrüßung des Frühlings. Keck und schmissig der folgende Reigen der Bauern, womit der Chor den weltfremden Gelehrten aus seiner Kontemplation herausreißt. Und dann schon der ungarische Hit, populär geworden unter seinem Rubrum Rákóczi-Marsch. Keine 15 Minuten benötigt der erste Teil von La Damnation de Faust. Und keine Viertelstunde braucht die konzertante Wiedergabe in der Kölner Oper im Zelt, um das Publikum förmlich zu elektrisieren.

Warum denn der Kölner Opern- und Konzertfan gerade in die Faust-Vertonung gehen solle, die es anders als die Kompositionen etwa von Boito und Gounod über eineinhalb Jahrhunderte nicht wirklich dauerhaft in die Spielpläne der Musiktheater geschafft hat? „Weil auf sie“, lautet die Antwort von Markus Poschner, dem Dirigenten des Spektakels, „ein herzerschütterndes Erlebnis wartet, die sinnliche Gestaltung eines Menschheitsthemas, die in die Knochen fährt.“ Damit meint Poschner, Generalmusikdirektor am Bremer Haus und von der kommenden Spielzeit an Chefdirigent des Orchestra della Svizzera Italiana in Lugano, nicht in erster Linie den Stoff nach Goethes Faust I. Vielmehr die Partitur des grundstürzenden Neuerers unter den Komponisten in der von Verdi und Wagner dominierten Ära, der mit seiner Instrumentationslehre von 1843 die Modernisierung des Orchesters einleitete. Radikal anders und immer wieder aufregend neu ist diese Damnation an der ewigen Grenzlinie zwischen Sinfonie, Oper, Oratorium, die Berlioz übergreifend und überhöhend als Muster einer neuen romantisierenden Kunstform begriffen hat, als deren Vollender er sicherlich gern, eine glücklichere Biographie unterstellt, gegolten hätte.

Im nicht voll besetzten weiten Rund des Opernzeltes bekommt das Publikum ein musikalisches Kolossalgemälde präsentiert, das, unterstützt durch eine sparsame, aber wirksame Lichtregie, die ungestörte, ungeschmälerte Konzentration auf die Musik erlaubt. So entfaltet sich der Zauber des Absoluten, ein Sog des Sich-Versenkens – ein aparter Kontrast zu dem Trubel der Weihnachtsmärkte in diesen Tagen. Primäre Quelle dieses Erlebnisses ist das höher postierte Gürzenich-Orchester Köln. Poschner bringt es früh in Fahrt und vor allem in den großen Tableaus der instrumentalen Beschwörung von Verdammnis und Erlösung auf ein gutes Niveau der Musiksprache von Berlioz. Dabei hat er dem orchestralen Verständnis des Komponisten wirksam Raum gegeben. Die Bratschen finden sich in der Mitte, die Celli ihnen beigesellt. Der Connaisseur erkennt weitere Umgruppierungen. Bezwingend schön und fast luxuriös die zwei Harfen, links am Rande des Orchesterpodiums.

Zu Verdis Il Trovatore gibt es das Ondit, eine Aufführung sei im Prinzip ganz einfach. Man brauche nur die vier besten Sänger der Welt. Vergleichbares lässt sich auch über Fausts Verdammnis sagen. Nun ist der Gedanke natürlich eine Illusion. Vielleicht ein hübsches Spiel an Weihnachten, wenn man sich eh etwas wünschen darf. Und offen bliebe dann immer noch die Frage, ob die „Besten der Welt“ dann auch harmonierten. Bei der Besetzung der Kölner Aufführung ist weitgehend Qualität zu vermelden, große sogar. Mit Burkhard Fritz als Faust, Samuel Youn als Méphistophélès und der die Marguerite interpretierenden Vesselina Kasarova sind höchste Maßstäbe erfüllt, fast. Wohl dem Haus, das einen Samuel Youn zu seinem Ensemble zählen darf. Der Bass-Bariton, Bayreuths aktueller Holländer, gibt den Teufel nicht nur vokal. Er ist die Rolle, die er ohne Noten singt, durch und durch, was sich auch in seinem begleitenden Spiel manifestiert. Fürwahr, so liebt das Publikum den Teufel, wenn es ihm in Gestalt von Youn begegnet, der die große vokale Linie für diese Rolle in all ihren Facetten beherrscht. Großartig sein Part in dem diabolischen Chanson Une puce gentolle. Famos sein süffisantes Ständchen Devant la maison, zusammen mit dem Chor der Irrlichter.

Über Kasarova und ihre steile Karriere im Mezzo-Fach noch etwas Neues zu sagen wollen, hieße Printen zum Aachener Weihnachtsmarkt transportieren. Ihre Marguerite adelt das konzertante Ereignis im Opernzelt. Opernglück pur, wie sie ihre beiden Soloarien angeht und mit stimmlicher Vehemenz zur Vollendung bringt: die Ballade vom König in Thule, eingefasst von der Solobratsche und dem korrespondierendem Cello, sowie die Romanze D’amour l’ardente flamme mit umschmeichelndem Englisch Horn. Vokaler und instrumentaler Glanz, der über alles Irdische hinauszuweisen scheint.

Für die leichten Abstriche, die dann doch festzustellen sind, sorgt ausgerechnet Burkhard Fritz in der Titelrolle. Ausgerechnet, weil seine Karriere spätestens seit seinen Bayreuth-Auftritten 2011 und 2012 nur eine Richtung kennt: nach oben. Der gefragte Tenor bringt stimmlich nahezu alles mit, was Berlioz dieser Partie abverlangt. Nur nicht diesen speziellen Grad an lyrischem Schmelz, der einer Idealbesetzung zu eigen wäre. Opernfans mit langjährigen Erfahrungen dürfte da etwa der amerikanische Tenor David Kuebler in den Sinn kommen, der den Faust in seinen Kölner Jahren mehrfach gesungen hat. Jedoch – auch mit der stärker dramatischen Ausrichtung werden die großen Auftritte des Faust dank Fritz zu einem Erlebnis. So seine Air Merci, doux crépuscule, quasi ein Gebet an die Dämmerung, in das die Klarinette hineinperlt. Signifikanter noch in dem betörenden Duett mit Marguerite Ange adoré, dont la céleste image, das dem Tenor Höhen sondergleichen abverlangt.

Last not least die weiteren Rollen. Luke Stoker, Mitglied des Kölner Opernstudis, hat als Brander nur einen kurzen Auftritt. Sein Bass erledigt diesen indes höchst angenehm. Anrührend der Solo-Sopran Anton Kirchhoff, der die himmlische Erlösung Marguerites verkündet. Womit schließlich die Chorleistungen in den Blick geraten. Wie der von Andrew Ollivant einstudierte Chor der Oper Köln samt Extrachor das raffinierte Spektrum seiner Einsätze bewältigt ist schlicht formidabel. Rhythmisch pulsierend und dann jäh versterbend, ausschwebend im Reigen der Bauern. Völlig anders, nämlich verspielt-ironisch in der Amen-Fuge, eine Parodie auf Branders weinselige Weise von der Ratt im Kellernest in Auerbachs Keller. Dann wieder verführerisch-samten als Chor der Gnomen und Sylphen.

Das Publikum feiert alle Akteure nach dem glücklichen Ausgang der Geschichte anhaltend und mit Emphase. Das Berlioz-Versprechen Poschners hat sich erfüllt. Was will man mehr?

Ralf Siepmann

 

Fotos: Klaus Lefebvre