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Fakten zur Aufführung 

DJAIZAT AL SALAM - FRIEDENSPREIS
(Musikdebatte Köln)
16. Mai 2014
(Uraufführung)

Trinitatiskirche, Köln


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Neuer Wein in alten Schläuchen

Reflektierte die Oper in ihren Anfängen die Gesellschaft ihrer Entstehungszeit, ist sie inzwischen längst zu einer überstilisierten Kunstform verkommen, die häufig so elitär daher kommt, dass sie ihre eigenen Ansprüche nicht mehr erreicht. Regietheater kämpft verzweifelt und verkrampft darum, moderne Bezüge jahrhundertealter Stoffe herzustellen – und scheitert mindestens so oft, wie es gerade noch mal gut geht. So in etwa könnte zugespitzt der Befund lauten, den eine Künstlergruppe in Köln erhebt. Frei nach dem Motto: Meckern kann jeder, machen muss man’s besser, gründet die Gruppe sich zur Musikdebatte Köln mit dem Verständnis, ein „Neues Forum für Politische Oper“ zu sein.

Jetzt stellt Musikdebatte Köln ihr erstes Werk vor: Djaizat al Salam - Friedenspreis. Thema ist der Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan. Ahmed Al Jabouri ist irakisch-stämmiger Dichter und wird als Arzt nach Afghanistan entsandt. Nach seiner Rückkehr soll er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Seine langjährige Geliebte Xsuscha, einst Sängerin, die ihre Stimme verlor, als ihr Bruder starb, hat er in einer Redaktion untergebracht, „also wurde ich Dolmetscherin und Journalistin“. Am Vorabend der Preisverleihung trifft sie, verhaftet in den Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, ihn zum Interview. Nach und nach entblättert Al Jabouris Geheimnis, das Xsuscha während der Preisverleihung verraten wird. Das Libretto schrieb Regisseur Christian von Götz auf der Basis von Gesprächen mit der ukrainischen Übersetzerin Xsenja Melnitschuk in der Kombination mit einem Gedicht von Badr Shakir as-Sayyab. Für die „Kammeroper mit arabischen Instrumenten“ komponierte Musikdebatte Köln kollektiv eine Musik, in der sich sowohl Elemente arabischer Musik als auch Jazz-Klänge finden.

Die Trinitatiskirche, zwischen Heumarkt und Schokoladen-Museum gelegen, einst als „evangelischer Dom“ erbaut, war bereits Schauplatz der inzwischen preisgekrönten Inszenierung von Benjamin Brittens Turn of the Screw. Jetzt wird das Publikum nach einer kurzen Ansprache auf die beiden Hochgalerien gebeten, um den ersten Aufzug aus luftiger Höhe zu erleben. Wer das Geschehen im Erdgeschoss erleben will, muss stehen und sich weit über die Brüstung beugen. Die „Bühne“ in der Mitte des Kirchenraums ist ein von Markus Biemann entworfenes überdimensionales Bodentuch, auf dem neben grafischen Gestaltungselementen arabische Schriftzeichen zu sehen sind. Edmund Weber hat hier den Minimalismus zu weit getrieben. Ein mit Sand gefüllter Trog, später zwei Stühle, am Rand mittig untergebracht das Schlagwerk. Zu den Begriffen Krieg, Afghanistan, Islam, Bundeswehr und so weiter hätte einem möglicherweise etwas mehr einfallen können. Ähnlich verhält es sich mit dem Kostüm, das Verena von Götz für Xsuscha entworfen hat. Eine durchbrochene Leggins, dazu ein neongelbfarbenes T-Shirt, darüber eine schwarze Bluse. Schwarze, sandalettenähnliche High-Heels komplettieren ein Bild ohne Aussage. Dazu passen fehlende Frisur und das blasse Make-up. Mag sein, dass sich eine Kostümbildnerin so eine freiberufliche Journalistin vorstellt – in der Figur hätte sicher mehr gesteckt. Ein Ein-Personen-Stück mit drei Musikern über anderthalb Stunden zu führen, ist eine Herausforderung für jeden Regisseur. Christian von Götz fehlt die Inspiration. Und so läuft Xsuscha mal hierhin, mal dorthin, lehnt sich mal an den Sandtrog und setzt sich mal auf einen Stuhl. Die schlechte Akustik führt schließlich dazu, dass einige Zuschauer einfach nicht mehr zuschauen, sondern sich an der Rückwand der Galerie hinsetzen und das Libretto zur Musik mitlesen.

Im zweiten Aufzug werden die Zuschauer nach unten gebeten. Jeder Versuch, sich in Handlung und Musik zu vertiefen, scheitert spätestens zu diesem Zeitpunkt. Fatal: Ein Scheinwerfer blendet das Publikum, das in den Stuhlreihen am Ausgang Platz nimmt. Auch sonst bietet das Licht von Yuan Gao und Michael Werner trotz umfangreichen Equipments wenig Aufregendes. Kurz, bevor man die Blendung nicht mehr hinnehmen möchte, beginnt der dritte Aufzug. Das Publikum wird jetzt gebeten, sich im Altarraum zu versammeln. Endlich kehrt Ruhe ein, und die Zuschauer können sich ganz auf das Finale konzentrieren, viele wieder im Stehen.

Csilla Csövari hat als Xsuscha also eine Menge zu tun, das Publikum gefangen zu nehmen. Stimmlich gelingt ihr das unbedingt, auch wenn inhaltlich kaum etwas zu verstehen ist. Die Akustik ist so schlecht, dass selbst das gesprochene Wort kaum noch verständlich ist. Besser zu hören ist da schon die Stimme von Al Jabouri, die von Ishan Othmann gesprochen und „vom Band“ in den Saal übertragen wird. Letztlich bleibt die Konzentration auf die Musik.

Und da gibt es allerhand zu erleben. Holger Mertin ist für die Percussions und allerlei ungewöhnliche Instrumente wie Klangschalen zuständig. Eindrucksvoll, wie er sein Schlagwerk einsetzt, wenn es, wie bei zeitgenössischer Musik kaum anders zu erwarten, gerade gegen Ende immer stärker zu Crescendi neigt. Alessandro Palmitessa spielt, vor allem auf der Klarinette, berückende Melodien, fasziniert aber auch am Saxophon. Raed Khoshaba entlockt seiner Oud, einer arabischen Laute, wunderbare Klänge.

Als das Licht erlischt, setzt langanhaltender Applaus ein. Christian von Götz lädt das Publikum zur Diskussion bei der nachfolgenden Premierenfeier ein.

Das Programmheft spiegelt die Arbeit des Ensembles wider. Neben dem Libretto enthält es ausführliche Informationen über Begrifflichkeiten zu Afghanistan. Unglaublich ambitioniert, übersieht man gern die zahlreichen Flüchtigkeitsfehler. Aber man wird das Gefühl nicht los, dass hier ein überfälliger Trend begonnen hat.

Michael S. Zerban





Fotos: Roberto Manzi