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Fakten zur Aufführung 

L'ARGENT
(Henrik Albrecht)
11. Mai 2015
(Uraufführung)

Literaturoper Köln,
Deutsche Bank Andreaskloster


Points of Honor                      

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Gesang

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Das Geld in der Bank

Was haben wir noch mit einem Roman zu tun, der 1860 in Frankreich erschien? Eine ganze Menge. Schließlich beschreibt Emile Zola in seinem Roman L’ArgentDas Geld – den Tanz um das Goldene Kalb, der inzwischen so heiß geworden ist, dass unter den Füßen der Tänzer offenbar die Bibel verglüht. Sämtliche Werte scheinen inzwischen außer Kraft gesetzt. „Zola legte Strukturen frei, die als soziologische und ökonomische Gesetzmäßigkeiten über die Jahrhunderte hinweg ihre Relevanz behalten haben“, beschreibt Andreas Durban den lernunfähigen Menschen und fühlt sich getrieben, aus dem Erfolgsroman des französischen Romanciers einen Opernstoff zu schaffen. Es gelingt ihm, den Wälzer auf zwei Stunden herunter zu brechen und aus 40 Protagonisten bei Zola 30 Rollen auf der Bühne zu schaffen, die von elf Personen gespielt werden können. Die Musik zur Oper komponiert Henrik Albrecht und beschränkt sich in der Instrumentierung auf Klavier und Harmonium.

Durban lässt im Libretto die Chronologie Zolas hinter sich und präsentiert stattdessen Situationen wie Traumsequenzen, um das Exemplarische und die Psychologie der Personen herauszuarbeiten. Erst so gelingt es ihm, einen grandiosen aktuellen – oder zeitlosen – Bezug herzustellen. Weil er mit situativer Emotion arbeitet, ist es auch nicht wichtig, das Libretto zu kennen. Man kann sich ganz auf das Gefühl einlassen, um der Handlung zu folgen. Und muss sich letztlich nicht damit begnügen, dass alles von vorn beginnt. Wie hat es Albrecht sinngemäß formuliert: Erst kommt der Genuss der Aufführung – die Reflexionsebene kann später stattfinden.

Bei der Literaturoper Köln stehen Studenten der Hochschule für Musik und Tanz Köln auf der Bühne. Durban ist zunächst ihr Dozent, später dann der Regisseur. Die Besonderheit: Die Literaturoper zeigt ihre Stücke an ungewöhnlichen Aufführungsorten. Diesmal hat Durban eine Bankfiliale für die Uraufführung gewählt. Was sich zunächst wenig originell anhört, entwickelt seine Wirkung erst, wenn man den Aufführungsort betritt und die Oper erlebt. Im Bankenviertel nahe des Kölner Doms scheint es mehr Polizei- als private Fahrzeuge zu geben. Das Gebäude ist mit einer Schleuse gesichert, ein Wachmann gibt sich so würdevoll und unnahbar, dass er eher als Karikatur seiner selbst wirkt. Der nächste Wachmann, der notwendigerweise vor dem Aufzug platziert ist, weil man für dessen Benutzung einen Ausweis benötigt, verlegt sich mehr auf den Rambo-Typ. Sein Gesichtsausdruck versucht zu sagen: Tu hier was Falsches, und du bist tot. Ist man zum Konferenzraum im vierten Stock vorgedrungen, wird alles gut. Gekühlte Getränke und kleine, erlesene Snacks werden gereicht. Ausgesucht freundlich-aufmerksames Personal versorgt die Gäste.

Der Aufführungsraum besticht mit modernster Veranstaltungstechnik, zwei Dachschrägen und zugehöriger übermäßiger Erwärmung nach einem Sommertag. In der Mitte des Raumes ein „Catwalk“ mit einem Tisch und vier Stühlen sowie einem zweisitzigen Sofa, alles in weiß gehalten. Vor Kopf ein Klavier und im rechten Winkel dazu ein Harmonium. Hier nimmt Georg Leisse als musikalischer Leiter des Abends Platz. Rechts davon sorgen Paravents für Blickschutz auf Kostüme und Personal. Rechts und links vom Catwalk sind die Stuhlreihen für das Publikum aufgestellt. Noch vor Beginn der Uraufführung wird deutlich: Hier hat sich der Regisseur selbst übertroffen. Allein die Organisation, wer wann hinter welchem Paravent verschwindet, um dort das richtige Kostüm für den nächsten Auftritt zu finden, gleicht einem Wunderwerk. Weitaus weniger bezaubernd fällt das Licht von Thomas Vervoorts aus. Schwerfällige Lichtwechsel mit wenig Dramatik entsprechen eigentlich kaum der zur Verfügung stehenden, sichtbaren Technik. Auch Birgit Pardun möchte mit ihrer Videoprojektion auf die beiden Dachschrägen nicht so recht überzeugen. Allzu Symbolhaftes wird da in miserabler Auflösung geboten. Die Kostüme sind stark typisierend mit einem Einschlag in die 1950-er Jahre bis zur Gegenwart und fügen sich so unauffällig in das Geschehen ein. Eindrucksvoll sind die häufigen Kostümwechsel, die allein schon alles von den Akteuren verlangen.

Hinter den Studenten liegen Wochen anstrengendster Proben, zumal Durban gewohnheitsmäßig die Proben als offene Prozesse gestaltet. Manch einer ist da bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit gegangen. Der oder die eine oder andere hat sich dabei offenbar zu sehr unter Druck gesetzt. Und so gibt es in der Uraufführung alles das, was eigentlich in die Generalprobe gehört: Vom Texthänger über falsche Wege bis zur schiefen Melodie ist alles vorhanden. Erst in den Folgevorstellungen wird sich also die hervorragende Regie mit professioneller Routine verbinden und die Wirkung der Oper voll entfalten. Obwohl man sich hier mit dem Begriff der Oper schwer tut. Sprüht Albrechts Musik in der ersten Hälfte vor Einfällen und Energie – von Leitmotiven über Walzermelodie bis Weill-Sound ist hier alles drin – ist die Musik nach der Pause wie abgeschnitten und das Stück entwickelt sich vollends zum Schauspiel. Erst zum Ende hin fällt dem Komponisten Chorisches ein, um das Stück zu einem guten Ende zu bringen.

Trotz aller Aufgeregtheit ist es ein Vergnügen, das Treiben der Studenten zu erleben. Joel Urch gibt den Aristide Saccard, einen Glücksritter, der die Universalbank gründet und sich viel zu schnell in der Psychologie-Falle verfängt. Anstatt vernünftiger „Produkte“ seiner Bank gibt es die große Vision, das schnelle Versprechen und den Trostversuch in der Krise. Urch hat Ambitionen zu Größerem, und wenn er die richtigen Lehrer findet, wird ihm das auch gelingen. Svea Schenkel gibt den Gutmenschen Karoline, der die Bankgeschäfte nutzen möchte, um aus dieser Welt eine bessere zu machen. Ihre erste schauspielerische Arbeit gelingt formal einwandfrei, die Überzeugungskraft wird sich da nahezu von selbst einstellen. Eine derjenigen, die viele Rollen wahrzunehmen haben, ist Merle Bader. Sie ist auf dem guten Weg von der Arbeiterin zur Künstlerin. Als Baronin Sandorff, der geld- und informationsgeilen Frau, die gern vorn mitmischen will, aber keine Chance bekommt, zeigt Katharina Borsch gute Anlagen zum vamp. Ihre Bühnenpräsenz gefällt. Im Gesamtgefüge fällt vor allem Andrea Graff neben verschiedenen anderen Rollen als Gräfin Orviedo auf. Sie ist so etwas wie ein hidden champion. Mit schöner Stimme und von attraktiver Gestalt zeigt sie eine überraschende Bühnenpräsenz und viel Spielfreude. Vielleicht wird es für sie schwierig, die richtigen Rollen zu finden, aber in denen wird sie uns in Zukunft viel Freude bereiten. Die erste passende Rolle hat sie schon gefunden. Daniel Jeremy Tilch klingt und spielt schön. Ihm wird die Lebenserfahrung sehr viel weiterhelfen. Eine Sonderrolle nimmt Bo Shi ein. Der Bass-Bariton mit wundervollem Klang ist schwer beurteilbar, weil nicht in Deutsch hörbar und in der Rolle höchst marginalisiert. Aber er hat was. Jedenfalls die Sympathie des Kritikers. Laura Cichello, Katharina Fuchs, Leyli Sahintürk und Anna Lautwein fügen sich prima in das Gesamtgeschehen ein. Besonderes Lob gilt den Kindern der Schauspiel-Arbeitsgemeinschaft der Gesamtschule Köln-Mülheim. Trotz aller berechtigter Aufregung geben sie sich höchst diszipliniert und absolvieren ihren Chor-Auftritt vollkommen akzeptabel.

Das Publikum goutiert die Leistung des Abends mit langanhaltendem Beifall. Und wenn Albrecht in der zweiten Hälfte kompositorisch noch einmal gründlich nacharbeitet, kann das eine der ganz wenigen zeitgenössischen Opern werden, die über den Tag hinausreichen. Zu wünschen wäre es der Literaturoper.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Horst Helmut Schmeck