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Fakten zur Aufführung 

ARABELLA
(Richard Strauss)
25. April 2015
(Premiere)

Oper Köln, Blaues Zelt


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Vom Verfehlen des Richtigen

Erst Mitte März Hoffmanns Erzählungen des Regieteams Renaud Doucet und André Barbe am Theater Bonn. Nun, keine sechs Wochen nach dem gelungenen Wurf in der Bundesstadt, folgt die Premiere der Arabella an der Oper Köln. Angesichts der wahrlich nicht problemlosen Bedingungen der Arena am Rhein unter dem blauen Zeltdach per se ein künstlerischer Kraftakt. Das noch um eine Potenz gesteigert, weil alle Sängerdarsteller, immerhin ein veritables Dutzend, ihr jeweiliges Rollendebüt geben. Der musikalisch-vokale Part gelingt dann auch nicht nur überzeugend. Er geht in Einzelleistungen darüber hinaus und offenbart vereinzelt Potenziale für weiterführende Karrieren. Was den Gesamteindruck schmälert und die latente Melancholie des Werks damit in die Gegenwart verlängert, liegt auf einem anderen Feld. Sind Hoffmanns Erzählungen des Franzosen Doucet und seines Partners, des Franko-Kanadiers Barbe, in Bonn als prachtvolles spektakuläres Regietheater zu registrieren, fällt ihre Deutung der Arabella im Musical Dome hinter diesem weit zurück.

Die künstlerische Allianz von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal ist sich in ihrer letzten gemeinsamen Arbeit einig, einen Follower zum Rosenkavalier in der Art einer lyrischen Operette zu schaffen. Der Weg zum späteren Welterfolg Arabella, dessen Uraufführung 1933 in Dresden der vier Jahre zuvor gestorbene Librettist nicht mehr erlebt, ist indes von mancherlei Dissens begleitet. Hofmannsthal ist darauf aus, dem Wien des Kaisertums um 1860 noch einmal eine glanzvolle Bühne zu kreieren. Seine Idee, den noch traditionell bestimmten, aber auch schon auf etwas Neues gerichteten Zeitgeist dramaturgisch zu fassen, bringt die Figur des anfänglich verspielt-naiven Mädchens hervor, das sich durch die Erfahrung der Liebe zu einer gereiften, seelisch integren und durchaus schon modernen jungen Frau entwickelt.

Strauss lehnt sich mehrfach gegen Arabellas „Verwandlung“, diesen Übergang aus der „Präexistenz ihrer Mädchenzeit zum eigentlichen Leben der liebenden Frau“, wie Hofmannsthal es nennt, auf. Einmal tut er den Stoff gar in einem Brief an sein Pendant als „Verlobung mit überwundenen Hindernissen“ ab. Am Ende entsteht das „Charaktergemälde“ einer ausklingenden Epoche. Der Komponist adelt die geniale Theatersprache seines Librettisten durch die Synthese der bipolaren Gegenüberstellung zweier Tonwelten. Hier die laszive Frivolität der k.u.k-Metropole, für die der abgewirtschaftete Graf Waldner und seine irrwitzige Frau Adelaide stehen. Dort die naturverherrlichende Naivität, die sich in Mandrykas Beschwörung kroatischer Eichenwälder und Dörfer „voll reiner Luft“ manifestiert. 

In Köln verlegt das Regie-Duo die Handlung auf den Vorabend des Ersten Weltkriegs. Arabella, so ihre Begründung, „zeigt sich uns als psychologische Studie des Zustands der Weltseele am Ende einer Epoche“. Die Figuren ermöglichten es, „individuell erlebte Geschichte und die Historie als kollektive Erfahrung ineinander verschlingen“ zu lassen. Die Inszenierung zieht mit diesem Persilschein im Rücken dem Ganzen eine Dimension ein, die die Oper gar nicht kennt. Aus der horizontalen Gegenwelt – dekadente Wiener Mischkulanz neben den Vertretern eines unverdorbenen way of life – erwächst so eine vertikale. Auf der Zeitachse verschmilzt die schon spürbare Apokalypse mit der, die zwei Generationen später tatsächlich eintreten wird.

Diesen Oktroy macht vornehmlich das Bühnenbild bewusst. Schauplatz des ersten Akts im Original ist ein Salon in einem Wiener Stadthotel, „reich und neu möbliert, im Geschmack der 1860-er Jahre“. Barbe, Bühne und Kostüme, lässt in Köln das Geschehen rund um den Fiaker-Ball am Faschingsdienstag in einem Riesenraum spielen, den ein Erdbeben zerstört haben könnte. Bruch und Umbruch in einem. Bruchstücke eines überdimensionalen, von der Decke gestürzten Lüsters verbreiten sich über den Boden. Noch schwach erkennen lassen sich Reste eines einstigen Stuckreliefs mit Insignien kaiserlich-königlichen Glanzes in der grotesk nach oben verrissenen Saaldecke. In die Schräge sind wie angeklebt zwei Stühle eingepasst, die jeden Augenblick nach unten zu fallen scheinen. Das mit dem Erdbeben stellt sich danach als keineswegs falsche Assoziation heraus. Im zweiten Akt, im Original ein Vorraum zu einem öffentlichen Ballsaal, „prunkvoll“, aus dem eine Treppe zu einer Estrade führt, weitet sich die Szene zu einer Hügellandschaft mit Schützengräben. In diesen tobt der Krieg Mann gegen Mann, finden sich die Protagonisten des Wien um 1860 in der Katastrophe von 1914-1918 wieder. Im dritten Akt schließlich wird „ein Raum im Hotel“ zu einem Notlazarett umfunktioniert. Dieser „Kunstgriff“ erlaubt das szenische Verschweißen der Handlung der Oper mit der übergestülpten Projektion des Krieges. Bisweilen hat das bizarre Bilder zur Folge. Zum Beispiel dann, wenn Arabella das Bettlaken auf Sandsäcken ausrichtet, die gegen Beschuss dort gedacht sind.

In den Biographien von Strauss und Hofmannsthal hat der Krieg der europäischen Vaterländer gravierende Verstörungen hinterlassen. Sollte das Regieteam es darauf angelegt haben, diesen psychischen Abriss in eine Korrespondenz mit dem Arabella-Stoff zu bringen, so ist es ihnen nicht gelungen, das umzusetzen, geschweige überzeugend. Zu spekulativ ihr gewählter Ansatz, zu willkürlich die Auflösung. Mit dieser Transformation ließe sich eine Vielzahl von Kompositionen aus der Zeit nach 1918 in einen Kontext rücken, der ihnen nicht immanent ist. Gerade mit den leichten Stoffen ließe sich so verfahren, etwa mit Paul Hindemiths Komischer Oper Neues vom Tage, 1929 in Berlin uraufgeführt. Auch dort leben die Protagonisten vergnüglich in den Tag hinein, die morgen dem Untergang geweiht sind. Gerade Arabella eignet sich nicht für die Effekte erhaschende Politisierung. Le Nozze di Figaro und Fidelio dürften da von anderem Kaliber sein, pars pro toto.

Wie grotesk das Resultat in Köln ausfällt, mag exemplarisch die Szene verdeutlichen, in der des Waldners Töchterlein Abschied nimmt von den drei Grafen, die ihr nach- und sonst gar nichts darstellen. In dem Schützengraben-Salon bitten nicht edle Nullen, sondern Kriegsversehrte um den Tanz, der eine mit übel blutendem Bauchschuss, der zweite erblindet, der dritte mit zerschmetterten Beinen im Rollstuhl. Und Arabella? „Das war jetzt unser letzter Tanz für alle Zeit“, weist sie den Grafen Dominik kurz und bündig ab. Absurd, im, unterstellt, realen Leben. Schlechterdings unvorstellbar dürfte eine solche Handlungsweise einer jungen Frau gegenüber Kriegsopfern aus dem persönlichen Umfeld sein. Da passt rein gar nichts zusammen. Weder wird die Inszenierung dem „Charaktergemälde“ noch der Kunst der Lyrischen Komödie gerecht. Eine Verfehlung.

Würde der Arabella-Mythos, die Suche nach dem „Richtigen“, ernst genommen werden, wäre es fürwahr das Richtige eines sich kritisch-reflexiv gebenden Konzepts, den Entwicklungsroman auf die Bühne zu bringen, der die Oper ist und zu jeder Zeit bleibt. Nichts anderes müssen die Teenies heute im Zeitalter von Facebook und Casting-Shows bewältigen, die Wandlung vom wohlverstandenen Mädchentum, „versteckt und in der Schwebe sein“, erklärt Arabella sich das, zur selbstbewussten Frau, vom Mann überhöht und so zugleich ihm untertan, autonom im heutigen Wording und zugleich Partnerin im Bewusstsein ihrer Verantwortung.

Hofmannsthal umwirbt 1928/29 Strauss mit dem Wunsch, dieser möge einen „richtigen Ton fürs Ganze finden, einen gewissen Gesamtton“. Stefan Soltesz findet diesen speziellen Gesamtton mit dem eher schlank besetzten Gürzenich-Orchester Köln über den langen Bogen dieses Dreiakters mustergültig. Herausragend im Vorspiel zum dritten Akt, das so gleißend-verführerisch zwischen den Polen dekadenter Frivolität und naturschwärmerischer Seriosität verläuft. Der ehemalige GMD der Essener Philharmoniker, ein ausgewiesener Strauss-Spezialist, schafft wie ein Architekt des Schönen die süffig-helle Basis für das vokale Charaktergemälde, das die Sängerdarsteller im Stil der Wiener Konversationsoper ganz wunderbar hervorbringen.

In erster Linie beeindrucken die Sopranistinnen Emma Bell in der Titelrolle und Anna Palimina als ihre Schwester Zdenka. Bell strahlt bei ihrem Rollendebüt eine erstaunliche Souveränität in der Aneignung dieser höchst anspruchsvollen Partie aus. Da tut sich ein Potenzial auf, das die Marschallin im Rosenkavalier gerade zwangsläufig zur Folge haben wird. Nicht minder erstaunlich und beglückend Gesang und Spiel der Palimina, die zudem durch große Textverständlichkeit besticht. Beider Dialogstück Aber der Richtige …, der Kern jeglichen Arabella-Opernglücks, baut eine kaum schon glaubliche Intensität und Verzauberung des Auditoriums auf. Kaum glaublich, weil der Alltagslärm rund um den Musical Dome mit fahrenden Autos und Zügen wie eliminiert zu sein scheint, wenn auch nur für Sekunden.

Das Elternpaar Waldner und seine Adelaide ist mit Bjarni Thor Kristinsson sowie Dalia Schaechter rollenadäquat und grundsolide besetzt. Gewisse Zweifel hinterlässt der Mandryka des Egils Silins. Der Bassbariton verströmt zwar die volle vokale Kraft, die man von einem Bärenjäger aus den kroatischen Wäldern erwartet. Doch scheinen ihm der Schmelz und das Kolorit slawischer Volksmelodien wie auch das eigentümliche Parlando des Wiener Stils nicht wirklich zu liegen. Noch zu konturenlos erscheint der junge Tenor Ladislav Elgr, was einerseits zwar zur Figur des Matteo passt, aber Wünsche offen lässt. Im Übrigen ist die Kölner Besetzung ein Erfolg der vorzüglichen weiteren Partien, um den unangebrachten Begriff der Nebenrollen hier zu vermeiden. Jeongki Cho als Elemer, Wolfgang Stefan Schwaiger als Dominik und Lucas Singer als Lamoral meistern auch ihren anspruchsvollen spielerischen Part. Beate Ritter ist eine Fiaker-Milli, die mit knallender Peitsche und prächtigen Koloraturen die Atmosphäre der Wiener Salons heraufbeschwört – ein komödiantisches Talent, das sie als das ausweist, was sie auch ist: Mitglied des Ensembles der Volksoper Wien. Ein für viele willkommenes Wiedersehen gibt es mit Alexandra von der Weth als Kartenaufschlägerin, die mal schwarz, dann weiß gewandet wie eine Mutation der Erda durch die Kulissen wandelt. Zum guten Gesamteindruck passen Alexander Fedin als Welko, Keith Bernard Stonum als Zimmerkellner und der wenig geforderte Chor der Oper Köln in der Einstudierung von Andrew Ollivant.

Das Publikum im blauen Zelt reagiert mit lebhaftem Beifall und vereinzelten Bravo-Rufen. In welcher Intensität der Applaus tatsächlich ausfällt, ist angesichts der besonderen Akustik schwer zu benennen. Auch den Sängerdarstellern ist das kaum anzusehen. Ihre Gesichter sind maskenhaft schwarz-weiß geschminkt, wie bei Leuten, die gleich im Zirkus auftreten oder wie die adlige Sippschaft in der Don-Giovanni-Verfilmung von Joseph Losey. So bleibt manches rätselhaft an dieser Aufführung. Rätselhaft wie die Liebe und das Wunder, dass sie sich manchmal unter die Menschen verirrt.

Ralf Siepmann

 

Fotos: Bernd Uhlig