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Fakten zur Aufführung 

SAMSON ET DALILA
(Camille Saint-Saëns)
13. September 2014
(Premiere)

Theater Koblenz


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Gaza in der Oper oder das robuste Mandat

Ein zurückhaltendes Regiekonzept, damit das Heikle der antiken Causa Hebraica weitgehend vermeidend. Ein grandioser Chor und Extrachor sowie ein glänzend aufgelegtes Orchester. Zwei in den Hauptpartien an ihre Grenzen gehende, sich letztlich bravourös schlagende Solisten. Ein sichtlich und hörbar angetanes Publikum. Das Staatstheater Koblenz ist Ort und Bühne eines verheißungsvollen Einstiegs in die neue Spielzeit, in die 227. seit Bestehen notabene.

Samson et Dalila ist kurioserweise das einzige wirklich populär gewordene Werk unter den gut zehn Kompositionen, die Camille Saint-Saëns, der herausragende Organist und Spezialist für das sinfonische Fach, dem Musiktheater auf die Bretter geschrieben hat. Kurios, weil das Heikle der dramaturgischen Grundidee nach dem biblischen Buch der Richter, die Unterdrückung der Israeliten durch die Philister, Kritik und Theaterbesucher seit der Uraufführung im Weimarer Hoftheater 1877 polarisiert. Hätte sich nicht Franz Liszt, künstlerischen Direktor des Hoftheaters, für Saint-Saëns eingesetzt, wer weiß, ob sich das Unikat an der Schnittstelle von Oper und Oratorium, noch tief in Richard Wagners Kompositionsstil verwurzelt, aber bereits hinreißend offen gegenüber den von der Pariser Musikdynastie diktierten formalen Anforderungen der Grand Opéra, überhaupt durchgesetzt hätte.

„Ausgerechnet“, wenn es so simpel aus heutiger Sicht formuliert werden darf, ist Gaza, der Landstrich am Mittelmeer, der Opern-Schauplatz der Knechtschaft der Israeliten. Es ist die neuerliche Konfrontation mit der Geschichte und ihrer Unentrinnbarkeit, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen. Sind es damals, etwa ein Jahrtausend vor Christus, die in Palästina nach der Vertreibung eingewanderten Hebräer, deren Schicksal rührt, empfinden viele heute mit den Palästinensern, die im Gaza-Streifen von Israel festgesetzt werden. In der Koblenzer Produktion gibt es all die über die Jahrhunderte zu beobachtenden Ingredienzen von Barbarei, Verfolgung, Vernichtung: Schreie, Folter, Hinrichtung, Verstörung und Entsetzen. Nur die Werkzeuge, die Todesmaschinen, haben sich geändert, nicht aber der Kreislauf von Tyrannei und Töten. Eine Erkenntnis, die beklommen macht, ratlos. „Wir haben nur unsere Tränen“, singt der Chor der Hebräer. So oder ähnlich wird manche Mutter in den letzten Monaten gefühlt haben, deren Söhne durch israelische Panzergranaten ausgelöscht worden sind.

Saint-Saëns und sein Librettist Ferdinand Lemaire haben die Motivation für den Stoff und den besonderen Reiz des Sujets aus dem Clash of cultur der verfeindeten Völker bezogen. Hier die düstere Welt der Hebräer. Dort die hedonistische der Philister, mit der sinnlichen Dalila als Prototyp der Femme fatale im Zentrum. Die Regisseurin Waltraud Lehner, schon einmal in Koblenz für Die Nase verpflichtet, geht indes diesem „Drehbuch der Geschichte“ aus dem Weg. Zu riskant offensichtlich die nahe liegende Auseinandersetzung mit den Konfliktparteien, weil die Bezüge zu den heutigen Kriegsgegnern dann kaum auszuklammern wären. Zu heikel die Gefahr einer möglichen krassen Emotionalisierung inklusive Parteinahme durch ein Regiekonzept der bewussten Anspielung auf die Gegenwart. Man erinnere sich nur der Reaktionen, die 2006 die Idomeneo-Inszenierung von Hans Neuenfels an der Deutschen Oper Berlin ausgelöst hat. In Koblenz wird denn auch das Premierenpublikum bei der Einführung in die Inszenierung schonend auf das Konzept der Zurückhaltung hingewiesen.

Lehners Ausweg aus dem Dilemma? Sie fährt die Relevanz der kollektiven, auch der ethnisch-religiösen Konstellation bewusst herunter und fokussiert ihre Inszenierung auf die individuelle Dimension. Bei Samson et Dalila, so ihre Deutung, „werden die Konflikte sehr gut heruntergebrochen auf zwischenmenschliche Konflikte“. Sie sehe in der Oper „ein Kammerspiel im gesellschaftlichen Spannungsfeld zweier Völker“. Folglich agieren der Heerführer Samson und die Priesterin Dalia äußerst vordergründig, in den Szenen à deux weit vorn am diesmal überdeckten Bühnengraben, in der Leidenschaft ihrer Interaktion wie ihres Singens die konturenlosen Volksmassen vergessen machend.

Adäquat fällt aus, welche Lösungen Ulrich Frommhold für die Bühne und Katherina Kopp für die Kostüme gefunden haben. Die Handelnden bewegen sich weitgehend in einem Alltagsgrau moderner Vorstadt- und Bürowelten. Jegliche Anspielungen auf das Milieu heutiger Dschihadisten – abgesehen von den Bärten der Priester und Alten – werden unterlassen. Im ersten Aufzug kommt dabei ein Panorama wie Schwarz-Weiß-Kino der Gründerjahre des Films heraus. Georg Lendorffs Videosequenzen unter dem Elias-Canetti-Nenner Masse und Macht unterstreichen diese Anmutung effektvoll. Erst als mit Dalila in Tal Sorek die ersten Kerzen aufscheinen, kommt Farbe auf. Der Vamp naht, das Leben pur. Nur einer versteht die Symbolik nicht, Samson im Angesicht der Vogelspinne.

So politisch verständlich Lehners Streben sein dürfte, einen dramaturgischen Ausweg aus dem Risiko der Aktualität zu finden, so wenig überzeugt er letztlich. Ob Norma oder Aida – der scheinbare Kunstgriff der Individualisierung des heute schwer vermittelbaren historischen Milieus läuft leer, wenn er einer äußerlichen Absicht und nicht der Wahrheit des Stücks entspringt. Wäre Lehners Regiearbeit eine Sache der Militär- oder Verteidigungspolitik, sie verdiente das Attribut eines robusten Mandats.

Die Hauptpartien sind ohne Zweifel anspruchsvoll wie strapaziös. Die seine meistert der Tenor Deniz Yilmaz um einige Spuren souveräner als Monica Mascus. Yilmaz agiert zudem, durch seine Statur begünstigt, wie eine Idealbesetzung des hebräischen Heerführers. Seine Stimme hat Wucht und Höhe, provoziert Empathie im Irrtum und Scheitern. Mascus, Prinz Orlowsky in der Koblenzer Fledermaus, stellt eher die erste Soldatin ihres Volkes an der Front dar, weniger die fatale Verführerin. Ihre Stimme hat sich die lodernde Mezzo-Partie ernsthaft erarbeitet. Ihre Zukunft dürfte eher im Wagner-Fach liegen, was mehr ist als eine bloße Perspektive. Nahezu eine „Bank“ ist das Ensemblemitglied Michael Mrosek. Der Bariton ist als Oberpriester des Dagon volltönend und in allen Lagen präsent, was auch das Publikum hörbar honoriert. Jongmin Lim hat das Pech, dass er in der Rolle des Abimelech schon im ersten Akt von Samson erschlagen wird. Bis dahin allerdings ist seine Baritonstimme vernehmlich und wohlgefällig zu hören.

Saint-Saëns hat annähernd zehn Jahre seinem Projekt gewidmet. Stets die für ihn verführerische Option vor Augen, die Stilelemente der Grand Opéra mit denen der orientalischen Musik zu mischen. Joseph Bousso am Pult des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie zelebriert diesen musikalischen meltingpot mit Hingabe. Ein großes Plus der Koblenzer Produktion ist dabei die Platzierung der Musiker auf der Bühne, genauer: in deren Hintergrund. So sind einzelne Klanggruppen so intensiv selten zu hören. Wie Nattern umschmeicheln die Flöten Dalila und Samson vor und bei ihrem famosen Duett Mon coeur s'ouvre à ta voix im zweiten Akt sowie im Bacchanal des Schlussaktes. Furchterregend schön baut sich das Schwarz der Kontrabässe auf. Ist die Oper die Fabrik der großen Gefühle, öffnet sie hier aufs prächtigste eines ihrer Werktore.

Das Publikum verwöhnt am Ende alle Akteure, ganz besonders den von Ulrich Zippelius einstudierten Chor mit anhaltendem Applaus. Verheißungsvoll das Ganze, wie gesagt. Und ein starkes Stück Stadttheater, weil es zu Diskussionen einlädt, zu Debatten und mehr. Denn genau das soll es bewirken, das lebendige Theater einer Stadt.

Ralf Siepmann







Fotos: Matthias Baus