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Fakten zur Aufführung 

CATS
(Andrew Lloyd Webber)
4. Juli 2015
(Premiere)

Theater Koblenz


Points of Honor                      

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Auf dem Gefühlsteppich des Glücks

Endlich mal eine Aufführung, bei der man spontan das gerade Gesehene oder Gehörte dem Begleiter gegenüber kommentieren darf. Oder den mitgebrachten Kleinen erklären kann. Bei Cats, der aktuellen Musical-Produktion des Theaters Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein, nimmt ein Sprechen zwischendurch niemand übel. Es herrscht eh Zirkusatmosphäre unter den rund eintausend Besuchern hoch über der Stadt. Nicht wenige der Wissbegierigen sind unter zehn, einige gar nicht einmal im schulpflichtigen Alter. Das Klassik- und Opernpublikum von morgen? Wer weiß? Satt und verführerisch ist der Sound, der aus der Lautsprecheranlage strömt. Eine Brücke womöglich zu anderen populären Genres? Die Zeit wird die Antwort bringen.

Jedenfalls gibt es für alle viel zu bestaunen und nachzuerleben bei diesem spektakulären Levée der Katzengesellschaft von Old Deuteronomy, dem Oberhaupt, bis hin zu Mistoffelees, dem Diabolischen, die sich nach und nach zum Ball, der Jellicle-Party, einfinden. Nach Hair, Evita und der Westside Story haben es der Regie führende Hausherr Markus Dietze und sein Ensemble erneut geschafft, ein Musical auf die Beine zu bringen, über das in Stadt und Region gesprochen werden dürfte. Koblenz auf dem Weg zur heimlichen Hauptstadt dieser bald 100 Jahre alten jungen Form des Musiktheaters? Die immer wieder Geschichten um Träume und Sehnsüchte mit Elementen des Schauspiels, von Musik, Tanz und Gesang kombiniert und erweitert und so ihren autonomen Platz im Angebot der Bühnen gefunden hat? Immerhin, die Aufführungsrechte werden wohl nicht an jedermann gehen.

Seit über 30 Jahren ist Andrew Lloyd Webbers Geniestreich nach T. S. Eliots Old Possum’s Book of Practical Cats, auf den übrigens Eliots Frau Valerie nach dem Tod des Autors großen Einfluss genommen hat, ein Renner des Genres. Dietze macht es dem Koblenzer Publikum noch leichter als üblich, den zahlreichen Episoden um die schnurrenden Wesen zu folgen. Die Aufführung folgt der deutschen Übersetzung von Michael Kunze. So sind gute Voraussetzungen gegeben, sich auf das Entdecken und Verstehen der immerhin zwei Dutzend unterschiedlichen Figuren und Rollen zu konzentrieren. Clou jeder und damit auch dieser Cats-Aufführung sind die Kostüme, mit denen die diversen Aspiranten für die Aufnahme in den Katzenhimmel ausgestattet werden. Großartiges haben hier Marlis Knoblauch sowie die Schneiderwerkstatt geleistet und die Akteure in knalliges Rot, teuflisches Schwarz, dezentes Grau oder allerlei Farbmixturen getaucht. Keine Teilnehmerin der Jellicle-Party ähnelt einer anderen. Entzücken löst speziell das mächtige Kostüm von Old Deuteronomy aus, der zur Freude gerade des ganz jungen Publikums einen wuchtigen Katerschwanz in Wellenbewegungen über die Bühne schrubben lässt. Das übrigens bei Temperaturen bis nah an 35 Grad, was natürlich für alle anderen Darsteller gilt und ein großes Generalkompliment verdient.

Katzen wollen nur fressen, dösen und gekrault werden? Denkste! Die Katzen, die sich diesmal in Koblenz zum jährlichen Jellicle-Ball treffen, wollen mehr. Vor allem: Sie können mehr, nämlich spielen, singen, tanzen und sich in allerlei meist narzisstischen Posen bewegen, die das Herz der Zuschauer rühren. Felidae, wie die Wissenschaftler sagen, begleiten den Menschen seit Jahrtausenden, bedeuten Nähe und zugleich diese eigentümliche Distanz. Dietzes Inszenierung speist sich aus dieser geheimnisvollen Zuneigung, die das Verhältnis von Mensch und Katze bestimmt. Er macht dabei keinerlei Anstalten, den literarischen Stoff geheimnisvoller anzulegen, als er es eh schon ist, oder großen Cats-Inszenierungen seit der Londoner Uraufführung von 1981 Paroli bieten zu wollen. Das wäre auf der Festung unter Open-Air-Bedingungen ohnehin nicht möglich.

Freude am Spiel und der transzendentalen Botschaft bestimmen Regie und Akteure. So findet das Zusammentreffen der Katzen diesmal nicht, wie im Original, auf einer Müllkippe statt. Vielmehr in einer Arena im Stil eines leicht heruntergekommenen Revuetheaters, das Bühnenbildner Dirk Steffen Göpfert gebaut und mit allerlei Requisiten wie Leitern und Logen gefüllt hat, in denen die drolligen Räuber tollen und ruhen können. Gewiss, das Spiel der Katzen hat seinen besonderen Reiz, wenn auch nicht über die ganze Distanz. Insbesondere nach der Pause ist es für jeden Regisseur nicht einfach, die Spannung hochzuhalten, da sich das dramatische Moment in Grenzen hält. Es ist eben sehr früh offensichtlich, dass Grizabella, die vom Schicksal gebeutelte Ex-Glamour-Katze, das Rennen machen wird. Dietze gelingt es gleichwohl, mit den Mitteln des Showtheaters sein Publikum bei Laune zu halten. Die Mittel sind der Einsatz von Puppen, die Ingo Mewes trefflich konstruiert hat, und immer wieder Tanz in allen Varianten, speziell der von Michael Waldrop einstudierten Stepp-Choreographie. Einer der Höhepunkte ist der Stepp-Pas-de-deux, den Raphaela Crossey als Rumpleteazer und Mario Mariano als Mungojerry hinlegen. Großer Jubel.

Gesanglich ist die Aufführung eine famose Ensembleleistung des Theaters, das – mit Ausnahme von drei Gästen – das breite Spektrum an Sänger- und Rollendarstellern aus sich zu besetzen vermag. Respekt! Die 18 Musiker, charmant als Das 72-Pfoten-Orchester apostrophiert, verstehen sich unter der musikalischen Leitung Karsten Huschkes prächtig auf den Webber-Stil, vom satten Big-Band-Sound bis zur einfühlsam-zurückhaltenden Untermalung der Quasi-Arie Memory. Mit diesem Hit, der einst Cats weltweit populär machte, holt sich die Sopranistin Monika Maria Staszak den Lorbeer des Abends.

Im Koblenz der Ära nach der Bundesgartenschau lenkt Cats einmal mehr die öffentliche Aufmerksamkeit auf die trutzige Location, zieht die Produktion neue Besucher an, wohl auch aus der Region. So wird Theater zum plausiblen Marketinginstrument – ein Effekt, den die lokale Politik mit Sympathie quittieren dürfte. Das Publikum ist nach der Show schier hingerissen und dankt allen Mitwirkenden mit tosendem Beifall und allerlei bravi-Rufen. Befriedigt eilen die meisten zu den Gondeln der Seilbahn, die anlässlich der BuGa installiert worden ist. So schweben sie wieder hinab, viele noch auf dem Gefühlsteppich des Glücks, den die schnurrigen Vierbeiner ausgerollt haben. Glück fürwahr, denn keine Regen- oder gar Gewitterwolke hat sich während der Aufführung blicken lassen. Und danach auch nicht. Old Deuteronomy sei Dank.

Ralf Siepmann

 







Fotos: Matthias Baus