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Fakten zur Aufführung 

DER PROPHET
(Giacomo Meyerbeer)
18. Oktober 2015
(Premiere)

Badisches Staatstheater Karlsruhe


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Eine Bewegung außer Kontrolle

Wer je die Stadt Münster besucht, der wird fast zwangsläufig an der Lambertikirche vorbeikommen und sich eines leichten Grusels nicht erwehren können. Drei Eisenkörbe hängen dort, in ihnen wurden die grausam zugerichteten Körper von den Anführern der Wiedertäufer-Bewegung zur Schau gestellt. 1536 war das, und das Signal galt allen Aufmüpfigen: Seid brav, sonst geht es Euch genauso. Denn die Wiedertäufer-Bewegung entstand nicht nur aus religiösem Wahn, sondern hatte handfeste soziale Ursachen.

Giacomo Meyerbeer hat aus diesem Stoff eine gewaltige Oper geschaffen, die am Badischen Staatstheater Karlsruhe nun eine intensive Premiere erlebt. Regisseur Tobias Kratzer verlegt sie ins Heute, und die Assoziationen und Bilder sind naheliegend. Die Heilsbringer dieser Welt greifen schnell zur Kalaschnikow, wenn ihnen die Menge zujubelt und den Kopf verdreht. Auch der Prophet wird Opfer seines Wahns. Er wollte doch nur seine Berthe lieb haben und heiraten. Doch ein böser Feudalherr tut dem Mädchen im Polizeiauto Gewalt an, und Jean van Leyden gerät außer Kontrolle. Das merken auch die drei Religionsverführer Zacharias, Jonas und Mathisen, die ihn als Heiland ausdeuten und manipulieren. Zeitgemäßer Tricks bedienen sie sich; fertigen Videos an, die quasi als Public Viewing die Menge, den Mob oder auch die Braven per Rudelgucken aufheizen. Jean wird stilisiert, im Büßerhemd und mit der güldenen Dornenkrone steigt er später aus der weißen Stretch-Limousine, und weiß selbst nicht mehr, wie ihm eigentlich ist. Am Ende richtet sich der Prophet selbst per Selbstmordgürtel; Verrückte geben erst Ruhe, wenn sie andere mit in den Abgrund reißen. Die Parallelen zum Nahen Osten sind bedrückend, aber unmittelbar. Diese Inszenierung greift Pervertierungen der Zeitgeschichte auf.

Die von Rainer Sellmaier, der auch die Kostüme von heute besorgt, angerichtete Drehbühne hat zwei Ebenen. Unten die Tiefgarageneinfahrten, wie direkt neben dem Staatstheater, oben eine französische Bar, die zum Pernod einlädt, aber nicht sonderlich einladend wirkt. Daneben das Mehrzweckzimmer, in dem Jean erst einmal döst, ehe ihn Mutter Fidès zur Arbeit ruft und wo das punkige Mädel Berthe sein Herz gewonnen hat. Alles könnte gut sein, doch der Bösewicht Graf Oberthal verweigert die Hochzeitserlaubnis und tut der jungen Frau Gewalt an. Aus Bösem wächst noch Böseres, Jean dürstet nach Rache, Münster fällt und Blut klebt an den Händen des falschen Propheten.

Die Musik von Meyerbeer, groß und manchmal maßlos, vielleicht auch zuweilen ein Tick manieristisch wie in der Ballettnummer der Grand opéra, die in Karlsruhe ganz toll zur Breakdance-Nummer aufbereitet wird, fordert Chor und Orchester. Johannes Willig am Pult hat Überblick, spitzt zu und gibt dem Riesending über viereinhalb Stunden Struktur. Davon profitieren natürlich der von Ulrich Wagner sehr gut vorbereitete, extrem kopfstarke Chor und vor allem die Sänger-Darsteller.

Am Premierenabend schöpft Kammersängerin Ewa Wolak als Mutter Fidès den Rahm des Beifalls. Ihr dramatischer Alt ist blankes Dynamit und trägt großartig. Ihr nahe kommt Kammersängerin Ina Schlingensiepen als Jeans Verlobte Berthe, die tragisches Opfer der Umstände wird. Wunderschön das Duett der beiden im vierten Akt.

In der Titelfigur zeigt Marc Heller Durchhaltevermögen und lyrisches Fingerspitzengefühl. Sein Heldentenor will nicht gewaltsam auftrumpfen, sondern durch Nuancen überzeugen, wodurch er der Figur differenziertes Profil gibt. Sehr gut aufgehoben ist Graf Oberthal als kalter, zynischer Machtmensch bei Armin Kolarczyk. Die drei Wiedertäufer-Drahtzieher Avtandil Kaspeli, Matthias Wohlbrecht und Lucia Lucas gefallen als Technokraten einer pseudo-revolutionären Bewegung. Notebooks und Videokameras sind ihnen zu Diensten, um die Massen aufzuheizen und zu kontrollieren; sie haben auch kein Problem damit, ihren Anführer Jean van Leyden zu verraten, um selbst mit heiler Haut aus der bösen Nummer rauszukommen.

Ein großer Opernabend mit entsprechendem Beifall. 

Eckhard Britsch

 







Fotos: Matthias Baus