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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
29. März 2015
(Premiere)

Badisches Staatstheater Karlsruhe


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Ein Orden kämpft ums Überleben

Gurnemanz ist eine Art Oberlehrer, in seinem Klassenzimmer werden die Internatsbuben unterrichtet. Burlington-Strümpfe und graue Einheitskluft – die Zöglinge gehören zu einem Männerorden, dem allerdings die Erosion droht. Keith Warner fügt am Badischen Staatstheater Karlsruhe den vielfältigen Sichtweisen auf Richard Wagners Bühnenweihefestspiel eine weitere hinzu, ohne sich wirklich festzulegen. Er setzt auf die Kraft von Assoziationen, wenn er – beispielsweise – Bilder vorüberziehen lässt: Abraham hat schon das Messer für Isaaks Opferung in der Hand, Jesus schleppt sein Kreuz, Tantalus ist qualvoll an den Felsen gekettet, Buddha sitzt still vor sich hin. Schräge Schalensegmente strukturieren den von Tilo Steffens gefügten Drehbühnen-Raum, dahinter ragt ein seltsames Ding empor: Garchinger Atomei oder Faulturm einer Kläranlage oder die Kuppel des Felsendoms? Jedenfalls muss Amfortas das Gebilde mühsam erklimmen, schon geht ihm irgendwie die Luft aus, leidet er doch an einer unstillbaren Verwundung.

Sängerisch geht ihm natürlich nicht die Luft aus, denn Renatus Meszar verfügt über einen attraktiven Heldenbariton für diese selbstquälerische Figur, wie überhaupt ausnehmend gut musiziert und gesungen wird. Als Kundry gibt Christina Niessen ein hochdramatisches Rollendebüt; die Regie lässt sie als erotisch selbstbewusste, ja emanzipierte Frau agieren, während sie im Schlussbild seltsam desinteressiert auftauchen muss: seitlich sitzend, blättert sie in einem Buch, vielleicht der Bibel, und beäugt gelangweilt die Szene. Das hat seinen eigenen Reiz. In der Titelpartie lässt Erik Nelson Werner seinen baritonal gefärbten Heldentenor kraftvoll aufleuchten, einige Farben und Nuancen wird er sich noch zusätzlich erarbeiten. Alfred Reiter ist ein prächtiger Gurnemanz, intensiv und stabil in dieser großen Partie, während Jaco Venter in Kung-Fu-Kleidung einen abgründigen, bösen, auch schmerzlichen Klingsor singt. Titurel hebt im Glassarg mühsam die anweisende Hand, Avtandil Kaspeli leiht ihm einen seriös aufwölbenden Bass. Blumenmädchen, Knappen und Stimme aus der Höhe sind sehr gut besetzt, teilweise aus dem Opernstudio und vom Cantus Juvenum Karlsruhe.

Justus Brown lässt die Musik wunderbar strömen, die Tempi wirken natürlich aus sich selbst heraus, die leitmotivischen Bezüge sind fein austariert und die Badische Staatskapelle geht hoch konzentriert zu Werke. Da hört man gerne zu, denn die Musik aus dem Graben packt einen, zumal die Chöre dicht und dinglich eingepasst werden.

Insgesamt zeigt Keith Warner die Brüchigkeit einer Ordens-Männer-Gesellschaft, die aus sich selbst heraus nicht reformierbar ist – der Querverweis auf mythologische und biblische Bilder impliziert auch die Enge, die quasi ideologischer, monomaner Fixierung innewohnt. Am Ende lässt Kostümbildnerin Julia Müer nach dem strengen Einheitsgrau durch buntere Farben die Hoffnung auf Erneuerung keimen. Vielleicht ist die Gralsgesellschaft doch noch reformierbar.

Das Premierenpublikum hat auch nach reichlich fünfeinhalb Stunden die Kraft für begeisterten Beifall, was für die Produktion spricht. Dass sie in den Endproben durch Streiks behindert wurde, teilt sich höchstens dem Insider mit.

Eckhard Britsch







Fotos: Jochen Klenk