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Fakten zur Aufführung 

IPHIGENIE AUF TAURIS
(Christoph Willibald Gluck)
17. Juni 2015
(Premiere am 13. Juni 2015)

Badisches Staatstheater Karlsruhe


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Strandgut und Hoffnung

Wir reden so gerne von Strandgut, und unbedacht wird der Ausdruck auch auf Menschen angewandt. „Strandgut“: Menschen, die angespült werden, lebendig oder tot, die einer ungewissen Zukunft entgegenblicken und sich der Ungunst des Schicksals beugen müssen. Die Bilder sind aktuell und mächtig, bedrückend und beschämend.

Regisseurin Arila Siegert zeigt am Staatstheater Karlsruhe, dass die (Reform-)Oper Iphigenie auf Tauris von Christoph Willibald Gluck zwar einer uralten Mythologie entlehnt ist, dass jedoch deren Schemata von Bruder- oder Elternmord, von blutrünstigen Ritualen und seltsamen Verstrickungen ferne oder gar albern anmuten mögen, dennoch aktuelle Bezüge aufweisen. Frau Siegert holt aus dem nahen Flüchtlingsheim 19 Gestrandete auf die Bühne, die als Geworfene und Beteiligt-Unbeteiligte dem Geschehen um die meuchelnde Priesterin wider Willen, Iphigenie, die nachdenkliche Grundlage geben. Denn das Thema Nächstenliebe, in unserer materialistischen Welt ungeniert vernachlässigt, kristallisiert sich in dieser Opernsicht heraus.

Die Bühne von Thilo Reuther mit den individuellen Kostümen von Marie-Luise Strandt ist von dunkler Bedrohlichkeit; grauschwarze Quader als Opferaltäre, stufige Elemente suggerieren die Widrigkeiten der Lebenswege; die Halbschalen des Hintergrundes lassen sich öffnen, mittig erscheint dann das goldene Gewand der Diana, in welches am Ende Iphigenie schlüpft, um sich dessen als Akt der Selbstbefreiung wieder zu entledigen. Iphigenie hat sich selbst gefunden, hat Widerstand geleistet gegen die maßlosen Forderungen des Schicksals und dessen diktatorischen Vollstreckers Thoas.

Die Staatskapelle Karlsruhe musiziert unter Leitung von Christoph Gedschold geradezu aggressiv, zugespitzt und außerordentlich passgenau die Stimmungen und Emotionen der Figuren auslotend, zumal Frauen- und Männerchor regelrecht auftrumpfen. Sängerisch überwiegt das Positive, von kleineren Schwächen abgesehen. In der Titelfigur überzeugt Katharine Tier insgesamt durch die Gesamtdarstellung aus Stimme und Gestik. Dennoch, ihren leuchtenden Mezzo setzt sie gelegentlich übersteuert ein, da fehlen dann in den dramatischen Ausbrüchen ein wenig die Farben, auch die Kultur der Phrasen.

Glanzpunkt ist ohne Zweifel Bariton Andrew Finden als Orest, denn er lotet alle Facetten aus zwischen Kraft, Verzweiflung, Zuwendung und Lebenssehnsucht. Sein Männerfreund heißt Pylades, der hoch veranlagte Tenor Jesus Garcia verkörpert ihn. Allerdings etwas unentschlossen, ob er seine Stimme eher als jugendlicher Held oder als sensibler Lyriker profilieren soll. Er kann beides, aber die Synthese fehlt ein wenig an diesem Abend. Seung-Gi Jung singt einen abgründig-herrischen Thoas, und eine Entdeckung ist Yang Xu als Skythe: In der sehr kleinen Partie offenbart er einen frei strömenden, klaren Bass, den man öfter hören will. Die Priesterinnen Camelia Tarlea und Cornelia Gutsche, die Griechin Constanze Kirsch und der Tempeldiener Mehmet Altiparmak sind angemessen gut besetzt.

Das Publikum der B-Premiere applaudiert brav-zufrieden dem Drama um die Nächstenliebe.

Eckhard Britsch







Fotos: Falk von Traubenberg