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Fakten zur Aufführung 

RUSALKA
(Anton Dvořák)
26. September 2015
(Premiere)

Staatsoper Hannover


Points of Honor                      

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Wassermanns gefallene Mädchen

Die Regie von Dietrich W. Hilsdorf kommt unmittelbar zur Sache. Keine romantischen Elfen bevölkern die erste Szene, sondern drei Opfer eines Engelmachers, der in den Gewölben von Schloss Orloc bei Prag seines Amtes waltet, des Ortes von Murnaus Film Nosferatu. Die Szene wird von unscheinbaren Dienern begleitet, die Föten in Alkohol einlegen und Totenmasken von den verstorbenen Frauen nehmen. Offensichtlich geht hier viel schief. Wir blicken mit den Elfen auf die Leichen schwangerer Frauen.

Wenn Rusalka die Szene betritt, ist sie bereits gefallenes Mädchen aus einem vorangegangenen Leben. Sie lebt in der Gemeinschaft mit ihren Schwestern und in der hilflosen Obhut des Wassermanns. Es gibt keine romantische Überhöhung oder Abstraktion. Frauen kommen nur vor als Opfer. Sie werden von den Männern mitgenommen.

Doch noch immer will Rusalka durch Liebe den Menschen nahekommen. Der Wassermann warnt sie. Auch die Hexe Jezibaba, hier als Gouvernante, die seit jeher die offizielle Welt der Gesellschaft und die Unterwelt des Engelmacher-Gewölbes kennt und selbst als Opfer durchlitten hat, kann sie nicht abhalten.       
 
Ein stummes Zwischenspiel vor geschlossenen Vorhang vor dem zweiten Akt bildet ein Scharnier zur Welt der feinen Gesellschaft. Hier probt die Darstellerin einer Wassernixe bei einem Event auf dem bevorstehenden Fest im Schloss mit ihrem Wassergott den Auftritt. Sie zeigt vor allem viel nacktes Fleisch. Nebenher quält sie sich mürrisch mit den Beinen in einen Nixenschwanz. Sie weiß schon, was kommt. Während der Darstellung auf dem Fest im folgenden Akt wird sie von den Zuschauern aus der feinen Gesellschaft lüstern beäugt und schließlich begrabscht. Verklemmte Lüsternheit weit und breit. Man kann sich nicht sicher sein, was sich noch Bahn brechen wird.
   
Auf einer anderen Ebene und in klassischer Doppelung begegnen sich Heger und Küchenmädchen mit denselben Avancen einer gewaltsamen Sexualität und Notwehr.

Auch Wassermann und Hexe spiegeln die Unausweichlichkeit in ihren Schicksalen. Beide verstehen die Welt, die offizielle und die Unterwelt, sind Teil von ihr. Begegnen können sie sich dennoch nicht. Die Hexe ist durch die Hölle der Frauenrolle gegangen, sie kann sich nicht mehr öffnen. Der Wassermann bleibt allein. Er kann nur noch mit einem mächtigen Schutzanzug in sein Naturelement, das Wasser eintauchen, weil es durch die Menschen verdorben ist, ein Sumpf. Doch war auch er Täter? 

Es kommt wie es kommen muss: Der Prinz wird Rusalkas Liebe nicht gerecht. Rusalka, unter der Gewalt des Hexenfluchs, drückt ihm ihre eigene Totenmaske auf, die es bereits nach ihrem vorangegangenen Selbstmord gibt, und unter der er freiwillig stirbt.

Rusalka ist nicht erlöst. Wie oft wird sie diesen Leidenzyklus durchwandern müssen? Wie oft wird sie von einem Mann mitgenommen werden? Es gibt ein schlechtes Omen: die Uhr in den unteren Gewölben, die die Handlung der Akte jeweils von Mitternacht an begleitet, ist in der letzten Szene für die Ewigkeit stehen geblieben.

In der aktuell großen Zahl von Rusalka-Produktionen an den Opernhäusern gibt es Regiekonzepte mit größerer Offenheit für abstraktere, überhöhtere Interpretationen, aber keine so prall gefüllt mit theatergerechten, zwingenden Bildern.  

Das Team um Regisseur Hilsdorf mit dem Bühnenbild von Dieter Richter, den Kostümen von Renate Schmitzer und der Lichtgestaltung von Elana Siberski sowie einer schaurig-schönen Maske setzt das Konzept kongenial um. Die Szenerie kreiert ihre eigene bildliche Sinfonie des Grauens im Dracula-Schloss und schafft einen eigenständigen, stark akzentuierten Rahmen für die Gothic-Elemente der Handlung.

Die Sänger sind durchweg hervorragend besetzt. Allein das Spiel von Sara Eterno als Rusalka besticht. Ihrer geliehenen Stimme von Rebecca Davis gebührt hohe Anerkennung, die Rolle kurzfristig übernommen zu haben, weil Eterno mit einem viral bedingten Stimmausfall zu kämpfen hat. Dem Koreaner Andrea Shin gelingt ein überzeugendes Rollenportrait des Prinzen. Glänzend die tragische Figur des Wassermanns von Tobias Schabel, großartig auch die Hexe der Khatuna Mikaberidze. Brigitte Hahn gibt die Fremde Fürstin. Stimmlich und darstellerisch großartige Rollenportraits präsentieren Mareike Morr als Küchenmädchen und Stefan Adam als Heger. Die Elfen sind glänzend und darstellerisch bitter-lieblich, ganz in Weiß gekleidet, mit Athanasia Zöhrer, Hanna Larissa Naujoks und Julie-Marie Sundal besetzt. 

Der Auftritt des Chores unter der Leitung von Dan Ratiu in der Gesellschaftsstudie als lüsterne Partygäste gelingt auch stimmlich vortrefflich.

Anja Bihlmaier als Dirigentin der Produktion leitet nicht nur das Niedersächsische Staatsorchester konzentriert und durchsichtig, sondern versteht es in engster Abstimmung mit dem Timing der Regie und insbesondere der Personenführung Musik, Sänger und Szene mit großer Wirkung zu führen.
 
Nach langem, betroffenem Schweigen zum Ende der Vorstellung einhelliger Applaus für alle Beteiligten und Bravorufe für viele der Solisten, wie den Elfen, der Hexe, dem Wassermann, der doppelten Rusalka, und nicht zuletzt dem gesamten Leitungsteam.

Der Staatsoper Hannover ist ein glänzender Saisonstart gelungen.

Achim Dombrowski

 

 







Fotos: Thomas Jauk