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Fakten zur Aufführung 

LES TROYENS
(Hector Berlioz)
23. September 2015
(Premiere am 19. September 2015)

Hamburgische Staatsoper

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Zurückgeworfen auf die Musik

Die Trojaner haben es schwer: die Oper galt lange spieltechnisch und wegen der Länge als unspielbar. Der Komponist hat sein Werk nie komplett auf der Bühne erleben dürfen, und für über 100 Jahre war das komplexe Opus nach der Uraufführung fast ganz von der Bühne verschwunden. Erst nach Erstellung der ersten Gesamtpartitur im Rahmen der neuen Berlioz-Gesamtausgabe 1969 von Hugh Macdonald wurde das Werk mit einer legendären Aufführung an London’s Covent Garden wieder in das Blickfeld gerückt. Es folgten weitere wichtige Aufführungen in Wien, an der Scala, der Met und anlässlich der Eröffnung der Bastille-Oper.

Hamburg hat den französischen zeitgenössischen Komponisten Pascal Dusapin beauftragt, unter dem Motto „less is more“, wie es Kent Nagano ausdrückt, eine konzentrierte Fassung des Werkes zu erstellen. Nagano argumentiert, dass Berlioz‘ Werke eine hohe kompositorische und dramaturgische Dichte und Stringenz aufweisen, die bei den Trojanern nicht gegeben ist. Er geht davon aus, dass Berlioz – hätte er je eine Gesamtaufführung seines Werkes erlebt – eine Weiterbearbeitung in diesem Sinne vorgenommen hätte. Allerdings fühlt sich Nagano nicht selbst berufen, in das Werk einzugreifen, daher die Auftragsvergabe an den französischen Komponisten und Berlioz-Kenner Dusapin. Der sorgt vor allem durch den Wegfall von Wiederholungen und Elementen der Grand Opéra für eine kompaktere, stringentere und auch kürzere Aufführung, die mit gut drei Stunden Musik deutlich unter der Aufführungslänge der Gesamtpartitur mit über vier Stunden liegt.

Der Regisseur Michael Thalheimer überträgt diese Kompaktheit durch weitere Verknappung der Mittel auf die Bühne, zum Beispiel durch die Verwendung nur weniger Symbole wie Blut und Wasser sowie sparsamste Personenführung. Hier ist vor allem der Chor betroffen. Da gibt es unterhaltsamere Konzeptionen. Es entsteht ein Tableau der darstellerischen Abstinenz, auf dem sich die Musik von Berlioz ohne szenische Ablenkung entfalten kann, aber auch für heutige Ohren bewähren muss. Der Zuhörer kann so „ungestört“ für sich selbst erleben, wie intensiv und packend oder aber selbst in der Strichfassung langatmig er den musikalischen Kosmos der Musik und ihrer Entwicklung empfindet. 

Dazu ist es erforderlich, dass Orchester, Chor und die Sänger das Spezifische der Musik von Berlioz packend erfassen und vermitteln können – angesichts der globalen Zusammensetzung jeder Besetzung in der Oper eine Herausforderung.            

Die weiblichen Hauptpartien sind mit Catherine Naglestad als Cassandre und Elena Zhidkova in der Rolle der Didon großartig besetzt. Beide Sängerinnen verfügen über eine außergewöhnliche stimmliche Präsenz und dramatische Darstellungskraft, die den kargen Raum ausfüllt und stimmlich und darstellerisch ergreifen. Torsten Kerl lässt sich als indisponiert ankündigen; die weiteren Partien waren durchweg überzeugend besetzt. Hervorzuheben ist Julian Pregardien als Hylas, der in seiner Arie das französische Idiom am besten und sehr bewegend umsetzt.

Der Chor unter der Leitung von Eberhard Friedrich wird von der Regie extrem statisch geführt und den nicht leichten Aufgaben gerecht.

Nagano gelingt mit den Hamburger Philharmonikern eine durchsichtige, lichte und „fettfreie“ Umsetzung der Partitur, die es dem Zuhörer erlaubt, die Schönheit und Eigenständigkeit der Berliozschen Musik zu hören. Nur stellvertretend seien die Holz- und Blechbläser an dieser Stelle hervorgehoben. Tempo und Dynamik werden von Nagano dabei mit Bereitschaft zum Risiko angegangen.

Das Hamburger Opernpublikum ist für seine norddeutsche Sprödigkeit bekannt – es spendet jedoch dem Chor und den Sängern starken Beifall. Bravorufe gibt es vor allem für Naglestad und Zhidkova, aber auch trotz Indisposition für Torsten Kerl. Kent Nagano wird ebenfalls deutlich mit herzlichem Applaus und Rufen bedacht.

Ein Neustart, bei welchem von den vielen künstlerisch Beteiligten an der Hamburgischen Staatsoper nach zehn Jahren ein kreativer Beitrag erlaubt, gar gefordert war. Der erste Schritt in die neue Ära ist mit einer anspruchsvollen Produktion gelungen. Es gibt allen Grund für das Haus, wieder positiv in die Zukunft zu blicken. Die Romantik lehrt uns, dass auch das Wünschen und Sehnen des Betrachters, also des Publikums, einen Beitrag zur zukünftigen glücklichen Realisierung haben kann.

Achim Dombrowski







Fotos: Hans Jörg Michel